Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Nazis raus“und „Halt die Fresse“
Beatrix von Storch in Neu-Ulm – 200 Gegendemonstranten halten lautstark dagegen
NEU-ULM - Klima- und Gender-Politik, die Europäische Union, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan: Die stellvertretende Bundessprecherin der AfD, Beatrix von Storch, hat bei einem Wahlkampfauftritt auf dem Petrusplatz am Mittwochabend in NeuUlm mit der politischen Konkurrenz abgerechnet – blieb dabei aber im Ton zurückhaltend. Nach Angaben der Polizei verfolgten etwa 50 Besucherinnen und Besucher die Kundgebung. An einer Gegen-Demo nahmen etwa 200 Menschen teil.
Die Pfiffe und „Nazis raus!“-Rufe der Gegendemonstranten, die auf dem Petrusplatz zu hören sind, nimmt von Storch mit demonstrativer Gelassenheit hin. „Es macht erst richtig Spaß, wenn die Atmosphäre etwas dichter wird“, kommentiert sie das „Geschrei“. Dieses sei der Beweis für das völlige Scheitern der deutschen Bildungspolitik. Denn nichts könne mit dem industriellen Massenmord verglichen werden, den die Nationalsozialisten begangen hätten, und auch die AfD wolle keine Nazis.
Dass ihr in Neu-Ulm politisch Paroli geboten wird, heißt die AfD-Politikerin sogar ausdrücklich gut: Demokratie brauche den freien Austausch von Meinungen, den Diskurs, im Parlament und auf der Straße. „Gut, dass es verschiedene Meinungen gibt.“Welche die AfD vertritt, macht sie bei der Kundgebung im Regen deutlich: „Wir sind der Meinung, dass eine Familie aus Vater, Mutter und Kindern besteht.“Die AfD wolle Deutschland als Deutschland erhalten, „in seiner
Tradition und Kultur“.
Deutschland solle so viel wie möglich helfen, könne aber nicht alle Probleme der Welt lösen. „Wir ändern die Verhältnisse nicht, wenn wir ein, zwei oder fünf Millionen Menschen aus Afghanistan aufnehmen.“Schwere Vorwürfe erhebt sie in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung: Was in dem Land in Asien passiert sei, „war ein Scheitern mit 20 Jahren Ansage“.
Die Klimapolitik, die von Deutschland derzeit betrieben werde, sei reine Symbolpolitik. „Wir brauchen Tag und Nacht Strom, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht“, so von Storch. „Wir sind kein Vorbild, sondern wir sind bekloppt, wenn wir so etwas tun“, sagt sie zur Stilllegung von Kohlekraftwerken. Sie spricht sich ausdrücklich für Atomkraft in Deutschland aus. Und sie beschreibt die AfD quasi als Gegenentwurf zu allen anderen Parteien – sie biete ein vollständig anderes Angebot als diese, was Bildung, Familien- und Außenpolitik, Energie- und Umweltpolitik angehe. An der Europäischen
Union lässt sie kein gutes Haar: „Diese EU halten wir nicht mehr für reformierbar und auch nicht für demokratisch.“
Gerd Mannes, der Kandidat der AfD im Wahlkreis Neu-Ulm, wirft der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung vor, sie habe mit ihrer Corona-Politik ein „wirtschaftspolitisches Massaker“angerichtet. Jegliche Corona-Maßnahmen müssten aufgehoben werden. „Wir wünschen uns, dass Deutschland wieder normal wird“, sagt Mannes. „Wir müssen uns gegen den Merkel-Söder-Sozialismus wehren.“
Die Gegendemo zieht Vom HeinerMetzger-Platz die über Bahnhofstraße und Hermann-Köhl-Straße zum Petrusplatz. Ein Großaufgebot der Polizei ist mit dabei. Am Metzger-Platz steht ein Dutzend Polizeibusse. Beamtinnen und Beamte eskortieren die Kundgebung im Auto, auf dem Motorrad, auf dem E-Bike und zu Fuß.
„Nazis raus“, skandieren die Demonstrantinnen und Demonstranten, „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“und „Ob Ost, ob West, nieder mit der NaziPest“. Es sind überwiegend junge Menschen, die gegen die AfD-Kundgebung auf die Straße gehen. Sie tragen Fahnen und Abzeichen der Grünen, der SPD, der Partei Volt, der Linken, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), der Antifa.
Ein Mann hat Trillerpfeifen und Ohrenstöpsel verteilt, die Gegen-Demo ist laut. Er hält am Petrusplatz an, zieht weiter Richtung Donaucenter und von dort zurück zum Petrusplatz. Der Zug hat dort kaum zum zweiten Mal Halt gemacht, als Beatrix von Storch die Bühne betritt. Es wird noch lauter als zuvor: Wieder „Nazis raus“und „Halt die Fresse“.
Gerd Mannes geht ein paar Schritte in Richtung der Demonstranten. Er fotografiert seine Gegnerinnen und Gegner mit dem Handy und lacht. Später kommt Markus Mössle, der für die AfD im Ulmer Gemeinderat sitzt. Er hat eine Fahne dabei, wie sie der Widerständler Josef Wirmer vor dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 als Flagge für ein neues Deutschland entworfen hat. Seit zwei Jahrzehnten ist sie ein Symbol von Rechtsextremen, bei Pegida-Demonstrationen war sie viel zu sehen. Mannes macht eine vage Handbewegung und verzieht das Gesicht. Mössle verlässt den für die Kundgebung abgegrenzten Bereich und stellt sich mit seiner Fahne daneben auf.
Am anderen Ende des Platzes skandieren die Demonstrantinnen und Demonstranten nicht mehr, sie hören zu: Neu-Ulms Grünen-Ortssprecher Arno Görgen sagt ins Mikrofon, die Vielfalt von Meinungen sei ja absolut gut. „Aber Hass und Hetze sind keine Meinung.“Emilie vom Kollektiv 26 spielt auf den AfD-Slogan „Deutschland. Aber normal“an: „Diese Normalität ist mein persönlicher Albtraum“, ruft sie. Dann geht es lautstark zurück zum Heiner-Metzger-Platz. Dort spricht als Letzter Volt-Kandidat Florian Lipp: „Die sind der Rand, wir sind normal“, sagt er.