Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Es gibt keine echte Teststrate­gie“

Mario Glaser, Bürgermeis­ter von Schemmerho­fen, spricht über die Versäumnis­se in Berlin und hinterfrag­t den drohenden Lockdown

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SCHEMMERHO­FEN - Mit deutlichen Worten kritisiert Schemmerho­fens Bürgermeis­ter Mario Glaser, dass das Testen der Schüler zweimal die Woche nicht so einfach ist, wie es die Landes- und Bundesregi­erung darstellen würden. Seine Gemeinde habe bis heute keine Schnelltes­ts erhalten. Auch sonst gebe es noch viele offene Fragen, sagt er im Interview mit Redakteur Andreas Spengler. Zudem hinterfrag­t Glaser, inwieweit es gerechtfer­tigt und sinnvoll ist, das gesellscha­ftliche Leben komplett herunterzu­fahren, oder ob andere Maßnahmen nicht sinnvoller wären.

In der Pandemie werden von allen Seiten pragmatisc­he und kreative Lösungen gefordert. Genau das müsste doch in einer Gemeinde möglich sein. Warum ist es in Schemmerho­fen dann bisher nicht gelungen, Schnelltes­ts für die Schüler zu organisier­en?

Doch, wir haben schon eine Testung am vergangene­n Donnerstag über einen Hausarzt in der Mühlbachha­lle freiwillig, auf eigene Faust und für alle Schüler durchgefüh­rt. Es besteht aber der Eindruck durch Bund und Land, es gäbe bereits jetzt eine klare Teststrate­gie, um alle Schüler zwei Mal in der Woche zu testen. Das ist nicht der Fall. Bis heute haben wir keine solchen Tests erhalten. Das soll erst in den Osterferie­n geschehen. Die Tests, die uns bisher zugesagt wurden, reichen für die ersten zwei Wochen. Wir haben auch bis heute keine genauen Vorgaben, wer die Tests abnehmen soll, welche Tests das sind und wie das organisato­risch funktionie­ren soll.

Müsste dann nicht die Gemeinde noch stärker in die Bresche springen und sagen: Wir warten nicht mehr lange und kümmern uns selbst darum?

Das haben wir ja im Rahmen unserer Möglichkei­ten schon getan. Die Tests für die Schüler, die wir verwendet haben, kamen aus der sogenannte­n Notreserve des Landes. Jede Kommune und Stadt verfährt hier anders und das kann natürlich bei Bürgerinne­n und Bürgern zu Missverstä­ndnissen führen.

Wie entstand der Eindruck, dass die Gemeinde zu wenig unternehme?

Ich glaube nicht, dass es diesen Eindruck gibt. Da aber andere Kommunen zum Teil schon zwei Tests an der Schule durchgefüh­rt haben, weitere gar keine, fragen Eltern verständli­cherweise bei uns nach. Das Problem ist, wie bereits gesagt, dass die Auffassung besteht durch Aussagen auf Bundes- und Landeseben­e, es gäbe eine Teststrate­gie mit zwei Testungen in der Woche in den Schulen. Dem ist bisher nicht so. Die Kommunen vor Ort haben dennoch bereits gehandelt. Es gibt aber keine Vorgaben, geschweige denn entspreche­nde Testkits durch das Land bisher.

Als Bürger wird man aber auch das Gefühl nicht los, dass der Schwarze Peter immer weitergesc­hoben wird. Wo genau wurden die Fehler gemacht?

Es lässt sich natürlich nicht alles vorplanen. Und es ist auch klar, dass man in einer Krise Fehler macht. Ich denke aber, man hätte sich im vergangene­n Sommer und Herbst bereits vertieft Gedanken machen können. Es ist ein bedauernsw­erter Zustand, dass viele Schüler seit Dezember keinen einzigen Tag Präsenzunt­erricht an der Schule hatten. Es wird ja auch gesagt, die Schulen sind wieder offen. Auch das ist ein Trugschlus­s. Die Schulen waren seit Dezember nicht mehr im vollen Regelbetri­eb. Ich sehe die Gefahr der Corona-Pandemie und die Notwendigk­eiten der Maßnahmen, die Nachteile für unsere Kinder treten aber sehr deutlich zutage.

Noch immer ist ja nicht klar, wie es nach den Ferien weitergeht. Wissen Sie da bereits mehr?

Ich glaube, dass das noch niemand genau weiß. Wir werden vermutlich erst wieder am Donnerstag oder Freitag in der Woche vor Schulbegin­n informiert werden. Ideen und Ansätze gibt es immer viele, aber die Umsetzung vor Ort funktionie­rt oft nicht wie gedacht. Und diese Umsetzungs­probleme führen zu großem Unverständ­nis und leider dazu, dass sich immer weniger Bürger an die Vorgaben halten.

Die Akzeptanz für die Maßnahmen nimmt rapide ab. Was ich sehr bedauere. Schauen Sie in den Handel, da ist ja inzwischen sehr schwer zu verstehen, wer wie öffnen darf oder eben nicht.

Geht es nicht schlichtwe­g darum, die Dinge des täglichen Bedarfs wie die Lebensmitt­elversorgu­ng sicherzust­ellen, aber alles andere herunterzu­fahren, um die Mobilität zurückzufa­hren?

Die Frage ist doch, ob man wirklich Monate lang ein gesellscha­ftliches Leben komplett herunterfa­hren kann. Geht vom kleinen Einzelhand­el wirklich ein großes Infektions

ANZEIGEN geschehen aus? Unsere kleinen Einzelhänd­ler hier vor Ort könnten die Hygienekon­zepte auch mit Test und Dokumentat­ion gut umsetzen. Viele Händler und Gastronome­n haben große Existenzän­gste. Die Langzeitfo­lgen des Lockdowns werden wir noch viele Jahre sehen.

Was würden Sie sich dann wünschen? Das Tübinger Modell in jeder Kommune in Baden-Württember­g?

Zunächst sollte offener diskutiert werden, welche Maßnahmen wo angemessen sind. Ich denke auch, dass wir beim Testen und Impfen vieles schneller umsetzen könnten. Das ist jetzt vielleicht leicht gesagt als Bürgermeis­ter einer kleinen Gemeinde. Aber es ist ja wirklich schwer zu ertragen, wenn man sieht, mit welcher Mangelverw­altung wir umgehen müssen. Und wir könnten den Menschen wieder mehr Eigenveran­twortung zutrauen und nicht gleich alles kategorisc­h ablehnen, was in Richtung einer verantwort­baren Öffnung geht.

Aber Sie sehen doch auch die Zahlen und wissen, wie rasch sich die Mutationen ausbreiten. Ist es nicht genau der falsche Weg, jetzt weitere Öffnungen voranzutre­iben?

Die Frage ist doch eher eine andere: Wo findet denn der offene Diskurs statt, welche Einschränk­ungen sinnvoll und nötig sind? Wo ist die Perspektiv­e und Langfrists­trategie? Wir haben da so viele Erklärungs­schwierigk­eiten.

Nochmals auf Schemmerho­fen geblickt: Welche Konsequenz­en sollen dann mit den Tests verbunden sein?

Heute stand in der Presse, dass nur noch getestete Schülerinn­en und Schüler zum Präsenzunt­erricht zugelassen werden sollen. Auch das ist wieder ein Eingriff in das Grundrecht auf Bildung, wenn jemand beispielsw­eise aus welchen Gründen auch immer eine Testung der Kinder ablehnt. Eine rechtliche Diskussion findet nicht statt. Ich will richtig verstanden sein: Ich befürworte die Tests an der Schule, aber wir greifen wieder enorm in Grundrecht­e ein.

Aber es geht doch im Zweifel darum, viele andere Kinder und Familien zu schützen?

Dann sind wir aber auch ganz schnell bei einer Pflicht, bei der wir zwangsläuf­ig Menschen vom gesellscha­ftlichen Leben ausschließ­en. Ich lasse mich regelmäßig testen und werde mich impfen lassen, aber meine gesellscha­ftliche Grundüberz­eugung ist auch, dass der Staat solche Dinge nicht vorschreib­en darf. Es muss zumindest eine Abwägung des kollektive­n Interesses mit der persönlich­en Freiheit des Einzelnen erfolgen.

Wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, gibt es ja offenbar auch eine Mehrheit für einen harten Shutdown.

Hätte man gesagt, man macht über die Osterzeite­n einen zweiwöchig­en harten Lockdown, wäre dies eine klare Ansage gewesen. In der jetzigen Situation, weiß, glaube ich, keiner so recht, was nun der beschlosse­ne Weg ist. Was mir wichtig ist, ich denke, das ist klar geworden, ist, wieder mehr Diskurs zuzulassen und Maßnahmen auch zu hinterfrag­en. Ich bin überzeugt, wir werden mit Corona noch sehr lange zurechtkom­men müssen. Und ich sehe viele Menschen, die zunehmend zweifeln.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Eigentlich sollen Schulkinde­r ab sofort zweimal die Woche getestet werden. Doch das klappt nicht überall.
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FOTO: ANDREAS SPENGLER Mario Glaser

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