Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Warnung vor dem Hunde

Vor 125 Jahren ist in München die erste Ausgabe des Satiremaga­zins „Simpliciss­imus“erschienen

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diesem Fall waren das Ludwig Thoma, der Dichter der „Lausbubeng­eschichten“, und Hans Erich Blaich. Der Arzt aus Leutkirch schrieb unter dem Pseudonym Doktor Owlglass pointierte Gedichte und Rezensione­n und bewahrte mit Peter Scher den satirische­n Grundton des „Simpliciss­imus“.

Man kann sich ein Zusammensp­iel so unterschie­dlicher Supertalen­te gar nicht mehr vorstellen. Langen schoss allerdings auch viel aus der Privatkass­e zu, sodass seine Mitarbeite­r exzellent verdienten. Karikaturi­sten erhielten zu Beginn für eine Seite zwischen 50 und 250 Reichsmark, und 1906, mit der Gründung einer GmbH zum Zehnjährig­en, noch einiges mehr. 1911, da war Langen bereits zwei Jahre tot, konnten die „Simpl“-Redakteure einen Gewinn von 150 000 Reichsmark untereinan­der aufteilen.

Ein Arbeiter bekam um die Jahrhunder­twende etwa 60 Mark im Monat. Auch diese Unterschie­de spielten in den Beiträgen eine Rolle. Auf den glanzvolle­n Bällen hat sowieso nur die Oberschich­t getanzt, im Staat gab der unberechen­bare Kaiser Wilhelm den Ton an, und die Stimmung zwischen dem Deutsch-Französisc­hen Gemetzel von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg war ziemlich explosiv.

Blickt man in die Chronik des „Simpliciss­imus“, dann wurde bald jeder Angriff auf die Obrigkeit zum Skandal hochgescha­ukelt. Wobei das dem Erfolg der Zeitschrif­t bestens bekam, und wenn es zu polizeilic­hen Durchsuchu­ngen und Prozessen kam, umso besser. Ludwig Thoma zum Beispiel wurde 1904 zu sechs Wochen Haft verurteilt, weil der die „Sittlichke­itspredige­r in Köln am Rhein“verhöhnt hatte.

Für den größten Eklat sorgte jedoch Kaiser Wilhelms pompöse Palästinar­eise 1898. Sie wurde zum Anlass genommen, den mangelnden Regierungs­willen des Monarchen und die Ziellosigk­eit dieser Orienttour zu kritisiere­n. Eine Anklage wegen Majestätsb­eleidigung ließ nicht lange auf sich warten. Heine und Wedekind bekamen sechs Monate Festungsha­ft, Verleger Langen floh ins Pariser Exil und konnte erst 1903 gegen Zahlung von 20 000 Reichsmark nach München zurückkehr­en.

Doch selbst diese massiven Einschnitt­e konnten dem „Simpl“nicht schaden. Im Gegenteil, die Auflage stieg nach der Palästina-Nummer geradezu sprunghaft. Und es ging ja lange nicht nur um die große Politik. Beliebt wurde das Magazin vor allem durch den Blick auf den Alltag mit all seinen Niederunge­n. Der Widerspruc­h von öffentlich­er Moralpredi­gt und privater Lüsternhei­t, Heuchelei, Verschwend­ung, sprich, die allzu menschlich­en Schwächen wurden von den Lesern goutiert. Bis heute funktionie­ren diese Seiten am besten, während man die aufgeblase­ne Preußen-Politik schon kennen muss, um sich über gezielte Seitenhieb­e zu amüsieren.

Die „Simpl“-Leute hatten etwas zu sagen. Das gilt auf jeden Fall für die Hochphase bis zum Ersten Weltkrieg. Dann griffen Nationalis­men um sich, viel verkam zu platter Propaganda. Doch nach einem gewissen Aufatmen in den Jahren der Weimarer Republik und dem kurzen Aufblitzen der alten Schlagkraf­t in der Weltwirtsc­haftskrise wird es nach 1933 erst recht problemati­sch. Der einst bespöttelt­e Adolf Hitler lässt das Heft gleichscha­lten, und den Unbequemen oder den rassistisc­h Verfolgten wie Heine bliebt nichts anderes, als zu emigrieren. Im gleichen Zug wurde der Witz nun im Sinne des Wortes: simpel.

Nach dem Krieg gab es verschiede­ne Wiederbele­bungsversu­che, doch an die alte Virtuositä­t konnte der „Simpliciss­imus“nie mehr anknüpfen. Und es gab ja auch Malaisen. Die Frauen etwa sind im „Simpliciss­imus“nie gut weggekomme­n, vieles wurde zwischen Schlüpfrig­keit und handfestem Frauenhass verhandelt. Vom heiratswüt­igen Weibsbild, das vor allem nach einem Ernährer schielt, bis zur Glucke, aus deren Gefieder sich der kassierte Gatte kaum mehr befreien kann.

Genauso könnte man die einst so glorreiche­n Hefte nach anderen aktuellen Kardinalve­rgehen durchfiese­ln. Erst im letzten Herbst wurde an der Münchner Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät das Osteuropa-Bild im „Simpl“unter die Lupe genommen, und von „wilden Czechen“bis zu „polnischen Kläffern“kam wenig Akzeptable­s dabei heraus. Die rote Bulldogge biss halt doch nicht immer die Richtigen.

Sämtliche „Simpliciss­imus“-Ausgaben von 1896 bis 1944 sind unter www.simpliciss­imus.info einsehbar.

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 ?? FOTOS: LENBACHHAU­S ?? Oben die legendäre rote Bulldogge, unten ein Selbstbild­nis von Thomas Theodor Heine mit Mops.
FOTOS: LENBACHHAU­S Oben die legendäre rote Bulldogge, unten ein Selbstbild­nis von Thomas Theodor Heine mit Mops.

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