Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Investieren, investieren und nochmals investieren
Gegen die Corona-Depression raten Wirtschaftsforscher zu einem großen staatlichen Konjunkturprogramm
GBERLIN - Wärmepumpen statt Ölheizungen. Das ist eine Idee, mit der die einheimische Wirtschaft aus der Corona-Krise herauskommen soll. Der Staat würde Privathaushalte und Vermieter finanziell unterstützen, wenn sie die fossil befeuerten Heizkessel aus- und ökostrombetriebene Wärmepumpen einbauen, um die Häuser zu beheizen und das Duschwasser zu erwärmen.
Den „gedanklichen Rahmen“für ein großes Konjunkturpaket der Bundesregierung haben am Donnerstag fünf Wirtschaftsforscherinnen und -forscher veröffentlicht. „Konkret sollten private und öffentliche Investitionen in den Sektoren Gesundheit, Wohnen, erneuerbare Energie, emissionsarme Verkehrsinfrastruktur, digitale Infrastruktur und Bildung zusätzlich gefördert werden“, schreiben Sebastian Dullien (Institut für Makroökonomie), Michael Hüther (Institut der Deutschen Wirtschaft), Tom Krebs (Uni Mannheim), Barbara Praetorius (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) und Katharina Spieß (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung).
Angesichts des Abebbens der ersten Corona-Welle und der Wiedereröffnung des öffentlichen Lebens dreht sich die wirtschaftspolitische Debatte gerade um die Fragen: Wie lassen sich die ohnehin schon hohen ökonomischen Schäden begrenzen? Was sollte die Regierung zusätzlich tun, um die Wirtschaft anzuschieben? Die fünf Ökonomen sagen, verstärkte Investitionen könnten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage fördern, neue Wachstumspotenziale erschließen und die ökologische Transformation voranbringen. Ohne staatliche Impulse drohe ein „erheblicher und dauerhafter Schaden“für Wirtschaft und Politik in Deutschland, warnte Tom Krebs von der Universität Mannheim. Dabei drängten die Forscher auf ein rasches Handeln der großen Koalition. „Eine Politik des Abwartens kann hohe Kosten verursachen“, erklärten sie.
Ein wichtiges Feld ist dabei die Energiepolitik. Praetorius schlägt eine „Abwrackprämie für Ölheizungen“vor. Beispielsweise Immobilienbesitzer könnten höhere Zuschüsse
vom Staat erhalten, um die alten Brenner im Keller auszutauschen. Im Gegensatz zu diesen verursachen moderne Wärmepumpen beim Betrieb keinen Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids.
Ein zusätzlicher Ansatzpunkt besteht darin, die Unternehmen, die Wärmepumpen herstellen, mit besseren steuerlichen Abschreibungsbedingungen zu unterstützen. Sie könnten die Investitionen in die Produktion dann schneller von ihren Gewinnen absetzen. Die Hoffnung: Die Firmen wachsen wieder, sichern Arbeitsplätze, beenden die Kurzarbeit und stellen weitere Beschäftigte ein. Ähnliche Mechanismen ließen sich in anderen Branchen anwenden, beispielsweise der Chemie-, Stahlund Zementindustrie, sagte Hüther. Eine neue staatliche Gesellschaft solle die Weiterentwicklung der Wasserstofftechnologie fördern, damit die Grundstoffindustrien wegkommen von Kohle, Erdöl und Erdgas als Energielieferanten.
Außerdem fordern die Ökonomen, die Bremsen bei den Erneuerbaren Energien zu lockern. Derzeit ist eine Obergrenze für Solarstrom in Kraft, und Windräder an Land werden kaum gebaut. Politische Unterstützung kann auch in dieser Branche Arbeitsplätze schaffen, anstatt sie zu gefährden.
Mit ihren Forderungen nach langfristig orientierten Ausgaben sind die Institute nicht die Ersten. Umweltverbände trommeln schon lange dafür, die nun anstehenden Milliardenund sogar Billionen-Ausgaben in den Abschied von Kohle, Öl und Erdgas zu stecken. Auch aus der Industrie, der Finanzwirtschaft und Gewerkschaften kommen immer wieder Rufe nach klimafreundlichen Konjunkturhilfen. Aber nicht nur. Der Industrieverband BDI etwa will die Klimaziele 2030 „auf den Prüfstand“stellen.
Ökonomen an der Universität Oxford veröffentlichten diese Woche eine Analyse, der zufolge klimafreundliche Wirtschaftshilfen oft insgesamt mehr Wirkung erzielten – auch unabhängig vom Klimaschutz. „Grüne Projekte“schaffen demnach mehr Arbeitsplätze, bringen kurzfristig mehr Rendite und sparen langfristig mehr Kosten als zum Beispiel traditionelle Anreize über Steuersenkungen. Hinter der Untersuchung steckten unter anderem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Star-Ökonom Nicholas Stern.
Die Entscheidung über neue Kaufprämien für Pkw könnte zur ersten Messlatte dafür werden, welche Rolle der Klimaschutz in den deutschen Konjunkturhilfen spielt. Während die Autobauer und die „Autoländer“Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen auch Prämien für den Kauf neuer Diesel und Benziner wollen, laufen Umweltschützer dagegen Sturm. Bis Anfang Juni soll entschieden werden, ob und wie genau Autokäufer mit Steuergeldern bezuschusst werden.
Für den Verkehrssektor schlug Dullien unter anderem vor, eine neue Infrastrukturgesellschaft des Bundes zu gründen, um Straßen, Schienen aber auch Digitalleitungen zu modernisieren oder zu bauen. Speziell die Kommunen bräuchten Unterstützung, weil ihnen durch die Corona-Krise hohe Kosten entstehen, die Einnahmen der Gewerbesteuer wegbrechen und ihrer Neuverschuldung enge Grenzen gesetzt sind. Deshalb müsse der Bund auch daran mitwirken, finanzschwachen Städten und Gemeinden die alten Schulden abzunehmen, so Dullien.
DIW-Ökonomin Spieß riet dazu, mehr staatliche Mittel in Kitas und Schulen zu investieren, unter anderem um die Digitalisierung voranzubringen. Außerdem müsse in Betreuung, Bildung und Pflege die Bezahlung des Personals deutlich verbessert werden. Wie viel das Programm kostet, haben die Ökonomen nicht berechnet. Zur Finanzierung schlagen sie mehr Schulden vor.