Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Burgen in Nöten
Das Beispiel Meersburg zeigt: Die Schließung wegen Corona kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt
GSTUTTGART/MEERSBURG (dpa) - Eigentlich ist die Meersburg am Bodensee um diese Jahreszeit schon gut besucht. Zahlreiche Touristen kommen von Frühling bis Herbst in die älteste noch bewohnte Burg Deutschlands. Doch 2020 ist alles anders: „Wir befinden uns in einer nie zuvor da gewesenen Situation – ohne Besucher, ohne lebhafte Veranstaltungen, ohne jegliche Einkünfte“, sagt die Burgherrin Julia Naeßl-Doms. Wegen der Corona-Pandemie mussten Mitte März das Museum, das Café und die zugehörigen Geschäfte schließen. „Seit über 40 Jahren hat die Burg ganzjährig, täglich, durchgehend geöffnet. Wir empfinden die Lage als ungewiss und existenzbedrohend.“
Die Burg Meersburg, deren Gründung nach alter Überlieferung im siebten Jahrhundert erfolgt sein soll, befindet sich heute in Privatbesitz. „Alle Instandhaltungsmaßnahmen werden zum größten Teil durch die Einnahmen des Betriebes finanziert“, sagt Julia Naeßl-Doms. Die Schließung jetzt komme für die Burg zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. „Da die ganze Saison nur circa sieben Monate dauert, werden wir durch die ausgebliebenen Einnahmen des Ostergeschäfts ungefähr 20 bis 25 Prozent unseres Jahresumsatzes verloren haben.“
Hinzu kommt: Der Erhalt des Unternehmens mit dem denkmalgeschützten Gebäude muss auch ohne Einnahmen weiterlaufen – und das ist teuer. Konkrete Zahlen nennt Julia Naeßl-Doms nicht. Andere Besitzer von Burgen oder Schlössern im Südwesten dagegen schon: So muss beispielsweise das Kloster Kirchberg in Sulz am Neckar (Kreis Rottweil) bei einer Schließung bis Mitte Mai einen Umsatzverlust von 570 000 Euro verschmerzen. „Wenn es bis Juni geht, sind es 720 000 Euro“, teilte der kaufmännische Leiter des Hauses, Lothar Hölzle, mit. Die Burg Katzenstein im Kreis Heidenheim rechnet mit einem Verlust von 130 000 Euro für März bis Mai, das Hohenzollernschloss in Sigmaringen mit Kosten von rund 500 000 Euro bis Ende Juni.
Der Verein Schlösser, Burgen, Gärten Baden-Württemberg fürchtet einen Dominoeffekt, der in Gang gesetzt wurde. „Den Betreibern der Burgen – Privatleute, Kommunen und staatliche Einrichtungen – fehlen Beträge, die zusammengenommen mehrere Millionen ausmachen“, teilte er kürzlich mit. Mit diesem Geld seien vor allem auch im strukturschwachen ländlichen Raum Arbeitsplätze gesichert und die Sehenswürdigkeiten erhalten worden. Zudem könnten Gastronomen und Pächter von Museumsshops ihre Angestellten nicht mehr bezahlen, Konzerte und Theaterstücke müssten abgesagt werden, die
Künstler stünden vor dem Nichts. „Rechnungen an Zulieferer und Handwerker, Beherbergungsagenturen, Versicherungen, Wach- und Schließgesellschaften und viele mehr können nicht oder nur unter großer Anstrengung beglichen werden“, hieß es aus dem Verein.
Sollten einige Unternehmen die Krise nicht überstehen, würde das der Vielfalt im Tourismus in BadenWürttemberg aus Sicht des Vereins schweren Schaden zufügen. „Bei Umfragen zu touristischen Lieblingsthemen
tauchen die Schlösser, Burgen, Klöster und herrschaftlichen Gärten regelmäßig unter den ersten zehn Nennungen auf“, sagte der Vorsitzende des Vereins, Philipp Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, laut Mitteilung. „Sie ziehen Besucher und Besucherinnen aus der ganzen Welt und auch der unmittelbaren Umgebung an und sind ein unverzichtbarer Teil für die Geschichtsvermittlung, die regionale Identität, den Tourismus und die Wirtschaft.“
Ähnlich argumentiert das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. „Schlösser und Burgen sind ein wertvoller Bestandteil unseres kulturellen Erbes“, sagt eine Sprecherin. „Sie spiegeln nicht nur die Geschichte im deutschen Südwesten wider, sondern sind in den unterschiedlichen Epochen ihrer Entstehung auch von großer architektonisch-künstlerischen Bedeutung.“
In den kommenden Monaten müsse es deshalb Ziel sein, wieder Einnahmen generieren zu können, ohne dabei die bereits zu verzeichnenden Erfolge bei der Eindämmung der Infektionsdynamik zu riskieren. Die schrittweisen Lockerungen der coronabedingten Beschränkungen könnten dabei eine Chance sein, sagt die Sprecherin weiter. „Für viele Bürgerinnen und Bürger und ihre Familien wird es in diesem Jahr darum gehen, Alternativen zu bisher geplanten Reisezielen zu finden. Die Burgen und Schlösser in Baden-Württemberg bergen ein großes touristisches Potenzial, oft auch wegen der sie umgebenden wunderschönen Landschaften. Das kulturelle Erbe wird nicht verloren gehen, wenn wir das mit unserem eigenen Verhalten sichtbar machen.“