Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Rückkehr zur Normalität wäre falsch“
Kultusministerin Eisenmann über Perspektiven für Schulen, Wirtschaft und Breitensport
STUTTGART - Es ist an der Zeit, über weitere Öffnungen der CoronaMaßnahmen zu sprechen. Das sagt die Spitzenkandidatin der CDU für die Landtagswahl Susanne Eisenmann im Gespräch mit Kara Ballarin. Dabei hat die Kultusministerin weit mehr als die Schulen im Blick.
Frau Eisenmann, die CDU liegt nach einer jüngsten Umfrage erstmals seit mehr als vier Jahren vor den Grünen in Baden-Württemberg. Wem hat ihre Partei das zu verdanken?
Umfragen sind immer Momentaufnahmen. Aber die Frage ist: Wie fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger durch die Krise geführt? Das hat sicher mit Berlin zu tun. Offenbar fällt auch auf, dass wir als CDU für das Corona-Virus mit seinen Auswirkungen in Baden-Württemberg Konzepte haben. Da geht es auch ums Krisenmanagement.
Macht Ministerpräsident Winfried Kretschmann also einen schlechten Job als Krisenmanager?
Die Umfrageergebnisse muss jeder für sich selbst interpretieren. Was ich sagen kann: Die CDU ist erkennbar und führungsstark, sonst hätten wir wahrscheinlich andere Werte.
Auch die Union ist uneins im Umgang mit der Krise. Kanzlerin Merkel hat den Begriff der Öffnungsdiskussionsorgien geprägt und kritisiert. Andere stehen für deutlich mehr Lockerungen. Wo stehen Sie?
Zwischen diesen beiden Polen in der Mitte. So lange es keinen Impfstoff gibt, müssen wir vorsichtig bleiben. Eine Rückkehr zur Normalität, als gäbe es keine Pandemie, wäre falsch. Aber wir müssen Perspektiven entwickeln und diese mit klaren Bedingungen verknüpfen. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir bestimmte Bereiche Schritt für Schritt und unter Einhaltung des Abstandsgebots öffnen, sofern sich die Infektionszahlen weiter auf einem niedrigen Niveau bewegen. Das erwarten die Bürger. Denn auch wer auf Sicht fährt, steht nicht, sondern fährt.
Als Kultusministerin könnten Sie doch mit gutem Beispiel vorangehen und einen Fahrplan vorlegen, wann welche Kinder wieder zur Schule und in die Kita gehen sollen.
So lange wir keinen Impfstoff haben und nur wenig über die Ansteckungsund Übertragungsrate von Kindern wissen, müssen wir Vorsicht walten lassen. Wir haben nun die Notbetreuung erweitert, auch die Abschlussklassen kehren ab dem nächsten Montag unter strengen Abstandsund Hygieneregeln in die Schulen zurück – zwei wichtige Schritte. Aber natürlich beschäftigen mich die Fragen: Wie gelingt es uns, dass Kinder aller Jahrgangsklassen bis zu den Sommerferien zeitweise Unterricht haben? Und wie können wir die Betreuung kleinerer Kinder schrittweise ausweiten? Ich könnte mir ein rollierendes System vorstellen, hieran arbeiten wir bereits. Einen regulären uneingeschränkten Unterricht wie vor der Corona-Pandemie halte ich vor den Sommerferien nicht für realistisch. Es wird eine Mischung aus Präsenzund Fernunterricht sein.
Nochmal: Warum geben Sie keine konkreten Perspektiven für weitere Schulöffnungen vor?
Wir stimmen dazu innerhalb der Kultusministerkonferenz ein einheitliches Vorgehen ab, das halte ich auch für richtig. Ein Konzept haben wir nun erarbeitet. Es geht vor allem darum, Abstandsregeln einzuhalten und die Pausenzeiten sowie den Schulbeginn zeitlich zu entzerren. Und auch um Fragen wie: Wie gehen wir im Falle einer Infektion an einer Schule vor?
Wie gut läuft der Fernunterricht?
Mitte März sind wir alle gemeinsam ins eiskalte Wasser gesprungen. Die Situation ist für uns alle neu, auch für meine Kultusverwaltung. Und manches läuft nicht so, wie wir uns das wünschen. Dennoch: Der Fernunterricht läuft insgesamt ziemlich ordentlich. Der Bund hat nun 500 Millionen Euro an zusätzlichem Geld angekündigt, um Kindern Laptops zu geben, die sich keinen eigenen leisten können. Andere Kinder haben gar keinen Internetanschluss oder wohnen im Funkloch. Wir haben da Nachholbedarf, das bestreite ich nicht. Auch Lehrer arbeiten zum Teil über Telefon und über die gute alte Post. Für Schüler, die wir weder digital noch analog erreichen, werden ab Montag Lerngruppen an der Schule eingerichtet, damit sie Anschluss halten können. Das ergänzen wir mit freiwilligen Kursen in den Sommerferien für alle, die Stoff nachholen oder wiederholen wollen.
Auch Lehrer sind abgetaucht. Haben Sie deshalb Schulämter und Regierungspräsidien beauftragt, nachzuhaken?
Es geht vor allem mal um einen Überblick, wo es funktioniert und wo nicht. Und dann möchte ich betonen: Es gibt sehr viele Lehrer, die Fernunterricht mit großem Engagement gestalten und ihre Schüler unterstützen. Aber zur Wahrheit gehört, dass es leider auch andere gibt.
Warum haben Sie zu Beginn keine Vorgaben gemacht, wie Fernunterricht gestaltet werden soll, wann Lehrer etwa erreichbar sein müssen für ihre Schüler?
Wir haben gleich zu Beginn eine Erreichbarkeit der Schulen angewiesen und auch klar kommuniziert, dass die Lehrer nicht im Urlaub sind, sondern von Zuhause aus arbeiten. Es war eine völlig neue Situation für uns alle, aber wir kommen zunehmend besser in Tritt.
Könnten die Abschlussprüfungen doch noch abgesagt werden?
Nein, davon gehe ich nicht aus. Das gilt für alle Schularten. Stand heute haben sieben Bundesländer Prüfungen bereits geschrieben, andere sind mittendrin, wir sind mit Bayern zusammen hintan. Ich möchte nicht, dass meine Schüler einen Nachteil haben, weil sie etwa ein Durchschnittsabitur ohne Abschlussprüfungen haben. Ich sage den Schülern faire Bedingungen zu. Es geht mir auch darum, dass unsere Schüler ihr Leben lang nicht den Stempel aufgedrückt bekommen, dass sie es besonders leicht hatten. Es gibt ja zwei Nachschreibtermine, die man diesmal ausnahmsweise ohne Gründe dem ersten Termin vorziehen kann.
Andere Länder preschen vor und haben bereits Tennisplätze wieder geöffnet. Was sagen Sie als Sportministerin den Vereinen im Land?
Wenn wir darüber diskutieren, in der Fußball-Bundesliga Geisterspiele zuzulassen, dann müssen wir auch dem Breitensport eine Perspektive geben. Ich halte es für möglich, kontaktfreie Sportarten wie Golf oder Tennis auszuüben – immer mit Abstand und ohne etwa die Umkleide zu benutzen. Die Öffnung von Spielplätzen sind auch so ein Thema, das ich mir unter klaren Bedingungen als nächsten Schritt vorstellen kann.
Sind solche unterschiedlichen Lockerungen vermittelbar?
Ich finde es durchaus richtig, dass vieles auf Bundesebene abgestimmt wird – etwa, wenn es um die Frage geht: Was ist eigentlich eine Großveranstaltung? Aber die Bundesländer haben unterschiedliche Infektionsgeschehen. Bayern und BadenWürttemberg waren am stärksten betroffen. Es ist auch eine Stärke des föderalen Systems, darauf unterschiedlich zu reagieren. Erst wenn ich auf einer Leiter sicher Tritt gefasst habe, kann ich die nächste Sprosse nehmen.
Was lehrt und die Corona-Krise?
Wir brauchen einen Stresstest für die Wirtschaft, etwa mit Blick auf die Zulieferketten. Ich glaube, wir müssen unabhängiger werden. Wir haben zudem eine unglaubliche Präsenzkultur im Beruf, die man hinterfragen kann. Muss ich wirklich für einen oder zwei Termine nach Berlin fliegen? Geht das nicht auch per Videokonferenz? Weniger Reisen und weniger Präsenzpflicht würde auch den Berufsverkehr reduzieren. Das hätte positive ökologische und ökonomische Folgen.
Unterstützen Sie die SPD-Forderung nach Recht auf Homeoffice?
Ich bin dafür, es dort, wo es geht, zu ermöglichen. Eine gesetzliche Regelung halte ich aber für schwierig. Ich setze darauf, dass die Arbeitgeber selbst im Blick haben, dass sich Homeoffice positiv auf Motivation und Produktivität auswirken kann.
Gilt das auch für die Schulen?
Gerade für ältere Schüler kann ich mir vorstellen, Fernunterricht künftig stärker zu gewichten. Dafür müssen aber die digitalen Möglichkeiten stimmen und die Voraussetzungen gleich sein: Wir brauchen schnelles Internet überall in Baden-Württemberg.