Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Im Blindflug
Wirtschaftsforschern fehlen Daten für gültige Prognose
DGie Wirtschaftsforschungsinstitute hatten es grundsätzlich leicht: Um aktuell eine Rezession zu diagnostizieren, braucht es keinen Doktortitel in Ökonomie. Im Detail machen die Zahlen jedoch misstrauisch. Der vorhergesagte Rückgang der Wirtschaftsleistung von vier Prozent wirkt in diesem Jahr noch zu optimistisch. Es lässt sich bezweifeln, ob darin schon das ganze Ausmaß des Einbruchs erfasst ist.
Wer sich unter Privatleuten, Managern und Bankern umhört, bemerkt die Vorzeichen gewaltiger Folgeeffekte: Praktisch alle wollen erst einmal weniger ausgeben. Manchmal scheint die Krise sogar nur der Auslöser für eine willkommene Einschränkung oder Einsparung zu sein. Das ist Gift für das Bruttoinlandsprodukt. Dazu kommen die Schäden in den Exportmärkten.
Die Wirtschaft muss zwar nicht immer gewaltig wachsen, das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für das Wohlergehen einer Gesellschaft gilt ohnehin als veraltet. Doch diese Krise trifft die Leute da, wo es wehtut. Sie schadet vor allem denen, die ohnehin besonders hart arbeiten: alleinerziehenden Müttern, Kleinunternehmern und Gründern, Ladenbesitzern, Freiberuflern und Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Ihnen nützen die Instrumente nichts, die sich an den organisierten Strukturen von mittleren und großen Unternehmen orientieren. Sie werden es auch nach Ende der Kontaktbeschränkungen schwerer haben, wieder auf die Beine zu kommen.
Es wird wohl niemanden überraschen, wenn die Ökonomen ihre Vorhersagen im Jahresverlauf noch weiter nach unten schrauben. Für das laufende Quartal von April bis Juni rechnen sie mit einem Rückgang von nur einem Zehntel. Wirklich? Der Dienstleistungssektor macht sieben Zehntel der Wirtschaft aus und beruht in vielen Fällen auf persönlichen Kontakten. Das kann die Sonderkonjunktur der Klopapierherstellen wohl kaum auffangen.
Die Wirtschaftsweisen haben bei der Einschätzung der aktuellen Situation ein Problem, das mit ihrer seriösen Herangehensweise zu tun hat. Sie müssen ihr Gutachten auf Fakten stützen – auf Daten, Prognosen und Modellen. Doch derzeit verändert sich die Lage eher stündlich als täglich. Das aktuelle Szenario hat sich zudem so noch nirgendwo abgespielt. Es fehlen Daten, und die Modelle passen nicht so recht zur Realität. Bei allem Wunsch nach Optimismus ist die Erwartung einer schnellen Erholung dann doch verfrüht.
Fast sicher richtig ist dagegen die Annahme der Wirtschaftsforscher, dass 2021 das Wachstum hochschnellt. Eigentlich ist es jetzt, wo so viele Existenzen bedroht sind, zu früh, darüber zu sprechen, aber die Zerstörung hat im Gesamtbild – wie so oft – auch eine schöpferische Seite. Viele Wirtschaftszweige erhalten gerade einen Schnellkurs in Digitalisierung. Schwächere Wettbewerber verschwinden aus dem Markt, was die betreffenden Branchen effizienter macht. Kurzfristig verursacht das Leid bei den Betroffenen, doch letztlich sind solche Bereinigungen auch die Voraussetzung für eine dynamische Weiterentwicklung statt Verknöcherung des Wirtschaftslebens.
Wenn das Schlimmste dann erst überstanden ist, tun sich – mit etwas Glück – neue Möglichkeiten auf. Vielleicht merkt mancher, dass ein Geschäftsmodell, das sich digital von zu Hause aus betreiben lässt, viel befriedigender ist. Und wenn die Wirtschaftspolitik die Anreize richtig setzt, wird sich der Arbeitsmarkt im kommenden Jahr wieder erholen. So wie jetzt vorhergesagt.