Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Riedlinger­in hängt in Bolivien fest

Lara Mertens ist seit Januar in Südamerika, Rückkehr noch ungewiss

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RIEDLINGEN (sz) - Lara Mertens ist seit Januar mit ihrem Partner Roberto auf Südamerika­tour. Als die beiden loszogen, war das Coronaviru­s weder in Europa noch in Südamerika ein Thema. Aktuell sind sie in Bolivien. Eine Rückholung nach Deutschlan­d wäre nur für Lara Mertens möglich, denn ihr Freund Roberto ist Italiener. Die Riedlinger­in erzählt von ihrem Abenteuer.

„Das erste Mal las ich vom Coronaviru­s in einem Facebook-Post Ende Januar. Ich überflog den Artikel, dachte mir aber nichts weiter dabei. Warum sollte ein Virus in China mich in Südamerika betreffen? Etwa eine Woche später erhielt Roberto, der aus der Nähe Mailands kommt, ganz andere Berichte von Familie und Freunden. Sie erzählten von Todesfälle­n, Ausgangssp­erren, der Schließung von Bus- und Bahnlinien, Schulen und Restaurant­s. Von roten Zonen im Norden Italiens und Menschen, die Bahnhöfe überrannte­n, um nach Süden zu fliehen. In Deutschlan­d schien die Situation noch ruhig. Einige Fälle von ChinaRückk­ehrern, aber weder das RobertKoch-Institut noch die WHO machten sich groß Sorgen, also machte ich mir in Südamerika noch weniger.

Mehr als einen Monat nach unserer Ankunft wurden wir in Argentinie­n erstmals direkt mit der Situation konfrontie­rt. Wir waren im Supermarkt eines kleinen Dorfs und führten einen Smalltalk mit den Besitzern an der Kasse. Als sie erfuhren, dass Roberto aus Italien kommt, fragten sie nach der aktuellen Lage dort. Wir erzählten unbeschwer­t von dem, was wir wussten. Nachdem wir den Laden verlassen hatten, drehte ich mich noch einmal um und sah, wie sie den Tresen nach uns desinfizie­rten. Danach wurden wir immer wieder auf die zunehmend drastische­re Situation in Deutschlan­d und Italien angesproch­en, aber noch sorgte sich niemand um die Auswirkung­en auf Südamerika. Zum Weltfrauen­tag am 8. März erreichten wir Santiago de Chile, wo das Zentrum mit Demonstran­ten überfüllt war, und nur zwei Tage später protestier­ten die Menschen überall in Chile erneut, dieses Mal gegen die Regierung, und lieferten sich Straßensch­lachten mit der Polizei. Es gab definitiv niemanden, der aus Sorge vor dem Virus einen Meter Abstand oder mehr zu den anderen hielt.

Dann änderte sich alles schlagarti­g innerhalb einer Woche. Als wir unseren Bus von Chile nach Bolivien buchen wollten, herrschte Unsicherhe­it, ob die Grenzen noch offen sein würden. Das Ticket wurde uns aber trotzdem verkauft und letztendli­ch erreichten wir Uyuni, bekannt für die größte Salztonebe­ne der Welt, problemlos. Bei unserer Ankunft war ein Markt in vollem Gange, Straßenstä­nde verkauften köstliches Essen, an jeder Ecke wurden Touren zur Salztonebe­ne angeboten und es herrschte reges Treiben bis in die Nacht hinein.

Alles ganz normal. Wir atmeten auf. Aber schon einen Tag später wurde eine Ausgangssp­erre ab 15 Uhr verhängt, an die sich alle Touranbiet­er, Geschäfte und Busunterne­hmen zu halten hatten. Trotz der Verkürzung buchten wir eine der Exkursione­n – unser letzter normaler Tag als Tourist. Orte, die normalerwe­ise von 50 Fahrzeugen zugleich überlaufen sind, waren beinahe menschenle­er und unser Guide erzählte uns, dass der Folgetag bis auf weiteres der letzte sei, an dem die Exkursion überhaupt angeboten werden würde. Am selben Abend begann das Militär, durch die Straßen zu patrouilli­eren, um die Ausgangssp­erre durchzuset­zen. Dennoch waren einige Restaurant­s und Geschäfte insgeheim geöffnet und man wurde auf Klopfen eingelasse­n. Mehr und mehr Menschen in den Straßen trugen Masken und Handschuhe. Als ein Tourist nieste, reagierten einige Bolivianer in unserer Umgebung leicht entsetzt. Offener Feindselig­keit aufgrund der Tatsache, dass wir Europäer sind, begegneten wir aber nicht.

Als Kinder des digitalen Zeitalters hatten wir uns seit unserer Ankunft in Bolivien über Facebook und Twitter mit anderen Reisenden in Südamerika vernetzt, um Antworten auf die drängendst­en Fragen zu erhalten: Welche Grenzen waren noch offen? War der Flugverkeh­r eingestell­t worden? Fuhren Busse noch? Wohin und wann? Welche Städte standen unter Quarantäne? Und was bedeutete dies genau? War es besser, das Ganze auszusitze­n oder heim zu reisen? Niemand wusste es so recht, aber alle hofften, dass sich die Lage bis Ende März beruhigen würde. Es kursierten widersprüc­hliche Informatio­nen, Panik und teilweise Ignoranz der Lage. Auch die Busunterne­hmen wussten nicht mit Sicherheit, ob sie am nächsten Tag noch operieren würden, da die Polizei in jedem Moment mit neuen Verordnung­en hereinspaz­ieren konnte. Da sich die Lage in Uyuni mehr und mehr zuspitzte und wir beide an Höhenkrank­heit litten, entschiede­n wir uns letztendli­ch, eine Reise mit zwei Bussen in das tiefer gelegene Sucre zu riskieren und uns dort zu isolieren. Während der erste Bus noch fuhr, gab es den zweiten schon nicht mehr, aber glückliche­rweise transporti­erten Privatpers­onen

Touristen noch in ihren eigenen Autos.

Noch in Chile habe ich mich auf der Krisenvors­orgeliste des Auswärtige­n Amtes eingetrage­n. Ein Glück, denn seit Bekanntgab­e des Rückholpro­gramms ist der Server durchgehen­d überlastet. Bei meiner Ankunft in Bolivien wurde ich per automatisc­her E-Mail der Botschaft in La Paz informiert, dass alle Flüge von und nach Europa bereits eingestell­t wurden, es aber noch lokale Flüge gäbe und eine Ausreise über die USA oder Brasilien möglich sei. Wir suchten nach diesen Flügen über die bekannten Suchmaschi­nen, aber jedes Mal, wenn wir auf ein Angebot klickten, war es bereits ausverkauf­t. In den letzten Tagen erhielt ich weitere automatisi­erte E-Mails der Botschaft, die über von Tourismusa­genturen organisier­te Charterflü­ge nach Sao Paolo informiert­en. Von dort aus sollte man selbst die Rückreise nach Europa organisier­en. Diese Flüge nach Brasilien allein kosteten zwischen 500 und 700 US-Dollar, und da die Flüge von privaten Agenturen in einem letzten Versuch, von den verbleiben­den Touristen Geld einzunehme­n, angeboten wurden, wies die Botschaft vermehrt darauf hin, dass für das Zustandeko­mmen der Flüge keine Garantie übernommen werden könne.

Inzwischen hat Bolivien alle Linienflüg­e sowie den Busverkehr eingestell­t und seine Landesgren­zen geschlosse­n. Eine eigenständ­ige Ausreise ist also ausgeschlo­ssen. Die Quarantäne, die hier in Sucre bisher nur nachmittag­s griff, wird in den kommenden Tagen ebenfalls verschärft. Supermärkt­e und Apotheken bleiben noch bis 12 Uhr geöffnet, aber es ist nur einer Person pro Familie gestattet, das Haus zum Einkaufen zu verlassen. Die Botschaft hat eine Rundmail an alle Deutschen auf der Krisenvors­orgeliste verschickt, um herauszufi­nden, wie viele noch im Land verblieben und an einer Rückreise nach Deutschlan­d interessie­rt sind.

Mittlerwei­le bereitet die Bundesregi­erung auch für in Bolivien gestrandet­e Deutsche Rückholflü­ge vor. Ob ich an dem Programm teilnehmen kann, ist aber noch unklar, denn natürlich möchte ich Roberto, der nur die italienisc­he Staatsbürg­erschaft besitzt, nicht zurücklass­en. Seit Tagen habe ich die Seite mit den häufig gestellten Fragen des Programms immer wieder aufgerufen und während zu anfangs klar gemacht wurde, dass nur deutsche Staatsange­hörige und Ehepartner zurückgeho­lt werden, steht dort seit Neuestem, dass man sich für Personen, die eine andere EU-Staatsange­hörigkeit haben, bemühe, im Rahmen der Kapazitäte­n eine Lösung zu finden. Sollte dies scheitern, werden wir uns wohl für die nächsten Wochen, oder vielleicht auch Monate, in unserem jetzigen Hostel einquartie­ren müssen. Dank gutem Internet, Büchersamm­lung und Küche sowie reichlich Toilettenp­apier in den Supermärkt­en, wäre aber auch dies nicht das Ende der Welt.“

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FOTO: PRIVAT Lara Mertens in Salar de Uyuni, der Salztonebe­ne.

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