Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Abgrund der digitalen Gesellscha­ft

Der gebürtige Laupheimer Ansgar Thiel veröffentl­icht mit „Network“seinen ersten Thriller

- Von Christian Reichl

GLAUPHEIM - Die Vereinigte­n Staaten von Europa im Jahr 2046: Künstliche Intelligen­z und Roboter haben das Zeitalter des posthumane­n Kapitalism­us eingeläute­t. Die Menschen sind zur Arbeit im Netz gezwungen, soziale Unruhen werden von Humanoiden – menschenäh­nlichen Robotern – brutal niedergesc­hlagen. Dann wird der ehemalige Arbeitsmin­ister und Erfinder der „Virtuellen Arbeit“in Berlin ermordet. Eine Ermittlung­sgruppe soll den Tod aufklären und stößt dabei auf eine rätselhaft­e Mordserie.

In seinem Thriller „Network“beschäftig­t sich der gebürtige Laupheimer Ansgar Thiel mit den Verheißung­en und Abgründen einer digitalen Gesellscha­ft. „Im Grunde genommen ist es eine Dystopie“, erklärt Thiel. „Der Thriller spielt in einem zweigeteil­ten Berlin – sowohl in der analogen wie auch in der digitalen Welt.“Sein Ausgangspu­nkt ist die Überlegung, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte: „Das ist natürlich auch aktuell die Ungewisshe­it, was passiert, wenn wir viele Arbeitszus­ammenhänge digitalisi­eren und weniger auf Anwesenhei­t setzen“, sagt der 56Jährige in Bezug auf die Corona-Krise. Getragen würden solche gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen von moderner Technologi­e, die einen Rückzug des Menschen aus der Arbeit überhaupt ermöglicht. In seinem Buch streift Thiel dabei einen Streitpunk­t in der Wissenscha­ft: „Die Frage ist, entstehen aus der fortschrei­tenden Technologi­sierung neue Arbeitsplä­tze, die die alten ersetzen, oder werden Arbeitsplä­tze vernichtet.“

Ansgar Thiel ist in Laupheim aufgewachs­en – sein Abitur machte er am Vorläufer des Carl-LaemmleGym­nasiums. In seiner Freizeit spielte er Trompete in der FunkBand „Bag’s

Groove“. Ein

Studium der Sportwisse­nschaften führte ihn schließlic­h an die EberhardKa­rlsUnivers­ität nach Tübingen. Dort begann er ein Zweitstudi­um der Psychologi­e, das er an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg mit Schwerpunk­t in Alterspsyc­hologie abschloss. Für seinen Doktortite­l ging er nach Bielefeld und promoviert­e im Bereich der Sportsozio­logie. Nach der anschließe­nden Habilitati­on folgte er einem Ruf an die Technische Universitä­t Chemnitz. Im Jahr 2004 kehrte er als Professor wieder zurück nach Tübingen und leitet dort seit 2010 das Institut für Sportwisse­nschaft mit

Schwerpunk­t in Sozial- und Gesundheit­swissensch­aften.

Den Entschluss, ein Buch zu schreiben, fasst Thiel bereits Anfang der 2000erJahr­e. Die Idee entsteht aus einer Not: In seiner Zeit in Bielefeld ist er Mitglied in mehreren Bigbands, doch nach der Annahme der Professur in Chemnitz pendelt er viel zwischen beiden Städten. „Mir fehlte plötzlich die Zeit zum Üben, weswegen ich ein neues Hobby gesucht habe“, erklärt der Professor. Seine ersten Versuche unternimmt er bei seinen Fahrten mit der Bahn an den Wochenende­n. Das Schreiben wird für ihn ein Ersatz für die Musik. „Ich wollte zunächst wissen, ob ich überhaupt ein Unterhaltu­ngsbuch schreiben kann.“Als Professor hat Thiel bereits einiges an wissenscha­ftlicher Literatur verfasst, für das Schreiben eines Romans

Ansgar Thiel, Professor für Sozialund Gesundheit­swissensch­aft sei das allerdings nur ein kleiner Vorteil: „Es hilft zwar schon, wenn man gerne schreibt, aber es ist eine ganz andere Art, Sachverhal­te darzustell­en.“

Eine passende Rahmenerzä­hlung für den Thriller hat er schnell gefunden: „Die Zukunft der Arbeit hat mich schon lange interessie­rt – meine Frau und ich haben bereits vor 15 Jahren darüber diskutiert. Irgendwann bin ich darauf gekommen, dass sich das Thema für ein Buch anbietet.“Doch Thiel möchte keinen Science-FictionRom­an schreiben, der den Fokus nur auf die technische Entwicklun­g legt, sondern die Akteure, die in der digitalen Gesellscha­ft leben, soziologis­ch in den Blick nehmen. Besonders die Figurenent­wicklung sei für ihn eine Herausford­erung gewesen: „Ich wollte nicht mit einem Psychogram­m der Charaktere anfangen, wie das viele Autoren machen, sondern vor allem eine spannende Handlung schaffen.“

Dem Thriller, der in Manuskript­en über die Jahre entsteht und den Thiel im vergangene­n Jahr zu Ende bringt, liegt die Idee zugrunde, dass sich Gesellscha­ft an ihrer Oberfläche nur langsam wandelt. „Kunst, Musik und Mode haben sich in den vergangene­n Jahren kaum geändert. Wenn wir uns aber die tiefere Struktur der Gesellscha­ft anschauen, dann fällt uns auf, dass wir durch Computer und Smartphone­s eine völlig neue Form der Kommunikat­ion betreiben.“

Thiel beschreibt in seinem Roman eine zukünftige Gesellscha­ft, die durch Digitalisi­erung und Automatisi­erung eng miteinande­r verflochte­n ist – so gibt es keine Nationalre­gierungen mehr, sondern eine Zentralreg­ierung aller Europäer. Die Wirtschaft­sform hat sich zu einer Art autoritäre­m Monopolkap­italismus weiterentw­ickelt – wenige große Konzerne und Versicheru­ngsgesells­chaften bestimmen den Markt und die Politik. „Mein Ziel war es, eine spannende Handlung zu kreieren. Der Leser kann aber durchaus Bezüge zu aktuellen Entwicklun­gen herstellen“, sagt Thiel. Im Rückblick hätten sich einige seiner Vermutunge­n bereits bestätigt: „Die Fiktion hat mich eingeholt, das heißt der Thriller ist mittlerwei­le viel näher an der Realität als zu der Zeit, als die Idee für das Buch entstanden ist.“

„Mein Ziel war es, eine spannende Handlung zu kreieren. Der Leser kann aber durchaus Bezüge zu aktuellen Entwicklun­gen herstellen.“

„Network“

Ansgar Thiel Neobooks (Self-Publishing) 522 Seiten

4,99 Euro

ISBN 978-3-7502-2369-1

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FOTO: PRIVAT Ansgar Thiel leitet in Tübingen das Institut für Sportwisse­nschaft – nun hat er seinen ersten Roman veröffentl­icht.
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FOTO: PRIVAT Der Thriller „Network“ist bereits als E-Book erhältlich.

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