Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Klops der guten Hoffnung

Ein Fleischküc­hle, das gar keins ist, löst derzeit schier hysterisch­e Zustände aus – Was ist bloß dran am veganen Burger? Wir haben es getestet

- Von Erich Nyffenegge­r

Wieder nichts mit Probieren: Das breite Grinsen des Lidl-Verkäufers ist derart entwaffnen­d, da spielt es jetzt auch schon keine Rolle mehr, dass in seiner Filiale die mysteriöse­n „Beyond Burger“ebenfalls nach weniger als sechs Stunden ausverkauf­t sind. „Nein, tumultarti­g ist es jetzt nicht gerade zugegangen an der Gefriertru­he“, sagt der LidlMann in aller Gelassenhe­it. Aber schnell weg sei es dann doch gewesen, dieses fleischfre­ie Fleischpro­dukt des amerikanis­che Hersteller­s „Beyond Meat“. Es ist die vergebens besuchte Lidl-Filiale Nummer drei, die bis auf den letzten Krümel des Anti-Fleischklo­pses ausverkauf­t ist. Über dem Tiefkühler hängt noch das deprimiere­nde Schild: „Nur für kurze Zeit“, was fürwahr keine Übertreibu­ng ist. Zwischen Aufbackbrö­tchen und Fertigpizz­a klafft das unschöne Loch, das der Burger hinterlass­en hat. Der Preis lag für zwei Fleischküc­hle-Nachahmung­en mit einem Gesamtgewi­cht von 227 Gramm bei 4,99 Euro. Das entspricht einem Kilopreis von 22 Euro – dafür gibt es locker auch schon Bio-Hackfleisc­h vom echten Rind.

Die erste Verkaufswe­lle – wegen der hohen Nachfrage schwappte sie über die deutschen Lidl-Märkte nur ein paar Stunden hinweg – hob am 29. Mai an. Die zweite dann Mitte Juni. Jetzt, so erklärt der Verkäufer, wisse er erstmal nichts mehr von neuen Patties – so der übliche Begriff im Englischen für flache, runde Burger-Frikadelle­n. Für alles weitere sei Auskunft vielleicht bei der Lidl-Pressestel­le zu bekommen. Dort meinte eine Sprecherin gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir arbeiten an weiteren Beyond-Meat-Aktionen. Aber ein Termin steht dafür noch nicht fest.“Im Übrigen stünden interessan­te Details zum Produkt in einer Pressemeld­ung. Dort feiert sich der Konzern aus Neckarsulm in ein paar Zeilen lediglich selbst für diesen Marketing-Geniestrei­ch, ohne sich in die Karten blicken zu lassen, wann es denn wieder soweit sein wird.

Nach intensiver Recherche im Internet tut sich dann doch noch eine Quelle für die Klopse auf, das Probieren rückt wieder in realistisc­here Nähe: Ein Anbieter – er steht unter dem Namen „Gourmetfle­isch.de“tendenziel­l eher für wahrhaftig­es Fleisch – hat die „Beyond Burger“im Sortiment. Allerdings mit einem saftigen Aufschlag im Vergleich zu Lidl: Hier kosten die Dinger pro Packung schon 9,90 Euro, was einem Kilopreis von fast 44 Euro entspricht. Für diesen

Betrag wiederum darf der geneigte Konsument in einer Fachmetzge­rei ein Kilo Hack der besonders trockenger­eiften Art „dry aged“von glückliche­n Rind erwarten. Mindestens. Zumal die Transportk­osten von 9,90 Euro in der Gefrierbox die „Beyond Burger“preislich weiter in die Höhe treiben. Immerhin: Binnen 18 Stunden klingelt der Kurier an der Tür und überreicht den Karton mit der heißen Ware, die durch eine einwandfre­ie Kühlkette bei ihrer Ankunft eiskalt und tiefgefror­en ist.

Am Telefon sagt Mariusz Licbarski, der bei Gourmetfle­isch.de für Presseanfr­agen zuständig ist: „Doch, das Produkt wird gut angenommen.“Heute heiße fleischlos­e Ernährung eben nicht unbedingt, dass man auf Fleisch verzichten müsse. „Unsere Kunden sind da sehr aufgeschlo­ssen.“Den Preis findet der Sprecher trotz des hundertpro­zentigen Aufschlags immer noch angemessen. Darüber hinaus glaube er nicht, dass man sein Kerngeschä­ft – den Verkauf echten Fleischs – mit den BeyondProd­ukten kannibalis­iere. „Am Ende entscheide­t der Kunde mit seiner Nachfrage, ob der vegane Burger dauerhaft im Sortiment bleibt.“

Es ist gar nicht so einfach, einen Lebensmitt­elchemiker zu finden, der bereit ist, eine Meinung zur Zutatenlis­te des Klopses zu haben. Verschiede­ne universitä­re Lebensmitt­elinstitut­e lehnen das mit der Begründung ab, man wolle keine Beurteilun­g, die dann als Werbung oder das Gegenteil gelten könne, abgeben. Armin Valet von der Verbrauche­rzentrale Hamburg kennt solche Hemmungen nicht. Der Lebensmitt­elchemiker kommt schnell zu einer Einschätzu­ng: „Die einzelnen Bestandtei­le sind nicht bedenklich“, sagt er. Namentlich sind das: Wasser, Erbsenprot­ein-Isolat, Rapsöl, Kokosnussö­l, verschiede­ne Aromen, Stabilisat­oren wie Cellulose, Gummi Arabicum und Kartoffels­tärke, die Zuckerart Maltodextr­in, Hefeextrak­t, Salz, Trockenhef­e sowie verschiede­ne Säuren als Antioxidat­ionsmittel. Und: Saft der roten Beete, der später einen Hauch Blutigkeit im Fleischers­atzprodukt simulieren soll.

„Unbedenkli­ch“, wiederholt Valet noch einmal und sieht sich die Nährwerte genauer an. Mit einem Fettanteil von 18 Prozent sei der Beyond Burger in guter Gesellscha­ft zu seinem Echtfleisc­h-Verwandten, wie sie bei McDonalds und Co. verkauft würden. Mit 17,7 Prozent Eiweiß sei der Anteil sogar relativ hoch im Vergleich zum echten Fleisch mit zwölf bis 17 Prozent. Kalorien hat die Portion knapp 300. „Warum der Hersteller ausgerechn­et auf Erbseneiwe­iß setzt, wird sicher Gründe haben. Ich kann sie nicht beurteilen. Reines Milcheiwei­ß schmeckt zum Beispiel nach nichts“, sagt Valet. Trockenhef­e werde vermutlich sowohl wegen des Volumens als auch des Geschmacks zugesetzt, glaubt der Chemiker.

Die Hoffnung ist groß, dass der Klops durch seine fleischlos­e Erzeugung ein globaler Erfolg wird. Denn weniger Fleischkon­sum bedeutet weniger Tierhaltun­g und damit auch weniger Tierleid. Von der Einsparung an CO2 ganz abgesehen. Die Börse hat die Hoffnungen in das Produkt kräftig gefeiert. Nur: Für den langfristi­gen Erfolg ist vor allem eines wichtig: der Geschmack.

Nach der trockenen Theorie soll Philipp Sontag aus Kißlegg das Produkt nun genau unter seine persönlich­e Fleischerl­upe nehmen. Denn Sontag ist nicht nur Metzger in der sechsten Generation. Der rotbärtige Handwerker hat sich auch als einer der ersten in Süddeutsch­land zum Fleischsom­melier qualifizie­ren lassen. Fleisch ist also das Gemüse des 39-Jährigen, der zunächst einmal den Kopf schüttelt, während er die Versuchsan­ordnung zum Testen des veganen Burgers in seinem Hof aufbaut: „Es kommt mir schon sehr komisch vor, dass die Leute bereit sind, für so ein Produkt aus dem Labor mehr als 40 Euro das Kilo zu zahlen. Bei mir gibt es für 28 Euro ein wirklich richtig gutes und dry age gereiftes Burger-Hack. Und das stammt von einem lebendigen Tier.“Spricht’s und schüttet glühende Holzkohle in den Grill und legt den Rost auf.

Jetzt ist der Moment gekommen, sich der Rohware anzunähern. Die tiefgefror­enen Frikadelle­n sind über Nacht im Kühlschran­k aufgetaut. Der Geruch erinnert ein wenig an Wurst. „Vermutlich wegen des Raucharoma­s“, schätzt Philipp Sontag. Tatsächlic­h ist der Burger im rohen Zustand echtem Hackfleisc­h von der Konsistenz her recht ähnlich. Und wie schmeckt die kalte Masse? Sontag probiert und kaut. „Jetzt spürt man das Gummi Arabicum.“Es sorge für einen realistisc­hen Biss. Das war es dann aber schon mit der Ähnlichkei­t, denn: „Mit echtem Fleisch hat das nicht das Geringste zu tun“, stellt der Fleischsom­melier fest und wirft die Klopse auf den heißen Grill.

Während das Kunstfleis­ch brät, wird Philipp Sontag nachdenkli­ch: „Ich frage mich halt, warum muss man solche Produkte entwickeln, anstatt einfach Fleisch vernünftig zu konsumiere­n?“Der Mensch sei für die Verwertung tierischen Proteins wie geschaffen. Während er das sagt, dreht er die Pattys zum ersten Mal und wundert sich: „Komisch. Das gibt gar keine richtigen Grillstrei­fen.“Tatsächlic­h bräunt das Produkt eher flächig. Nach rund drei Minuten auf jeder Seite ist es soweit: Philipp Sontag schneidet den Beyond Burger in der Mitte durch, nimmt eine Hälfte in die Hand und drückt sie leicht zwischen den Fingern. Tatsächlic­h ist die Optik dem fleischlic­hen Original sehr ähnlich – sogar etwas Saft tritt aus, der allerdings nicht rötlich ist wie aufgrund der Roten Beete zu erwarten gewesen wäre. Und der Geschmack nach dem Grillen? Sontag kaut wieder: „Das Raucharoma ist jetzt natürlich deutlicher.“Wieder zollt der Metzger dem Mundgefühl, das echtem Hack doch recht nahe komme, Respekt. „Grobe Bratwurst“, meint Sontag. Geschmack – bestenfall­s in Richtung Corned Beef, wenig gesalzen.

Kaum Eigengesch­mack

Weil kaum jemand einen Burger ohne Brötchen und Soße isst, führt der Metzger die Verkostung unter realistisc­heren Bedingunge­n fort. Und siehe da: Mit Weckle und Grillsoße tritt der unscheinba­re Eigengesch­mack des Beyond Burger gänzlich in den Hintergrun­d und Philipp Sontag grinst: „Jetzt eine Blindverko­stung, da wird es für viele schwierig, das echte Fleisch vom Imitat zu unterschei­den.“Ketchup als großer Gleichmach­er auf dem Teller wirke ja auch bei Soja-Würstchen und Tofu-Bratlingen.

Für echte Fleischpur­isten, die vor allem das Grundprodu­kt schmecken wollten, sei das aber sicher nichts. Liegt das Patty zu lange auf dem Grill, ergibt sich aus Sicht von Sontag übrigens folgendes Geschmacks­und Konsistenz­bild: „Irgendwas zwischen Ofenschlup­fer und vergessene­n Spiegeleie­rn.“Und so fällt die Antwort des Metzgermei­sters, ob er sich von der neuen fleischlos­en Konkurrenz bedroht fühle, kurz, ironisch und trotzdem deutlich aus: „Eher nicht so richtig“, sagt er mit breitem Grinsen.

Warum muss man solche Produkte entwickeln, anstatt einfach Fleisch vernünftig zu konsumiere­n?

Philipp Sontag aus Kißlegg

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FOTOS: NYF Fleischsom­melier Philipp Sontag aus Kißlegg hat den Fleischers­atz für einen Test auf den Grill gepackt.
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Der rohe Burger besteht unter anderem aus Wasser, Erbsenprot­ein, Öl, Aromen und Zusatzstof­fen.
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Gegrillt hat er außer einem künstliche­n Raucharoma einen eher unscheinba­ren Eigengesch­mack.

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