Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der Klops der guten Hoffnung
Ein Fleischküchle, das gar keins ist, löst derzeit schier hysterische Zustände aus – Was ist bloß dran am veganen Burger? Wir haben es getestet
Wieder nichts mit Probieren: Das breite Grinsen des Lidl-Verkäufers ist derart entwaffnend, da spielt es jetzt auch schon keine Rolle mehr, dass in seiner Filiale die mysteriösen „Beyond Burger“ebenfalls nach weniger als sechs Stunden ausverkauft sind. „Nein, tumultartig ist es jetzt nicht gerade zugegangen an der Gefriertruhe“, sagt der LidlMann in aller Gelassenheit. Aber schnell weg sei es dann doch gewesen, dieses fleischfreie Fleischprodukt des amerikanische Herstellers „Beyond Meat“. Es ist die vergebens besuchte Lidl-Filiale Nummer drei, die bis auf den letzten Krümel des Anti-Fleischklopses ausverkauft ist. Über dem Tiefkühler hängt noch das deprimierende Schild: „Nur für kurze Zeit“, was fürwahr keine Übertreibung ist. Zwischen Aufbackbrötchen und Fertigpizza klafft das unschöne Loch, das der Burger hinterlassen hat. Der Preis lag für zwei Fleischküchle-Nachahmungen mit einem Gesamtgewicht von 227 Gramm bei 4,99 Euro. Das entspricht einem Kilopreis von 22 Euro – dafür gibt es locker auch schon Bio-Hackfleisch vom echten Rind.
Die erste Verkaufswelle – wegen der hohen Nachfrage schwappte sie über die deutschen Lidl-Märkte nur ein paar Stunden hinweg – hob am 29. Mai an. Die zweite dann Mitte Juni. Jetzt, so erklärt der Verkäufer, wisse er erstmal nichts mehr von neuen Patties – so der übliche Begriff im Englischen für flache, runde Burger-Frikadellen. Für alles weitere sei Auskunft vielleicht bei der Lidl-Pressestelle zu bekommen. Dort meinte eine Sprecherin gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“: „Wir arbeiten an weiteren Beyond-Meat-Aktionen. Aber ein Termin steht dafür noch nicht fest.“Im Übrigen stünden interessante Details zum Produkt in einer Pressemeldung. Dort feiert sich der Konzern aus Neckarsulm in ein paar Zeilen lediglich selbst für diesen Marketing-Geniestreich, ohne sich in die Karten blicken zu lassen, wann es denn wieder soweit sein wird.
Nach intensiver Recherche im Internet tut sich dann doch noch eine Quelle für die Klopse auf, das Probieren rückt wieder in realistischere Nähe: Ein Anbieter – er steht unter dem Namen „Gourmetfleisch.de“tendenziell eher für wahrhaftiges Fleisch – hat die „Beyond Burger“im Sortiment. Allerdings mit einem saftigen Aufschlag im Vergleich zu Lidl: Hier kosten die Dinger pro Packung schon 9,90 Euro, was einem Kilopreis von fast 44 Euro entspricht. Für diesen
Betrag wiederum darf der geneigte Konsument in einer Fachmetzgerei ein Kilo Hack der besonders trockengereiften Art „dry aged“von glücklichen Rind erwarten. Mindestens. Zumal die Transportkosten von 9,90 Euro in der Gefrierbox die „Beyond Burger“preislich weiter in die Höhe treiben. Immerhin: Binnen 18 Stunden klingelt der Kurier an der Tür und überreicht den Karton mit der heißen Ware, die durch eine einwandfreie Kühlkette bei ihrer Ankunft eiskalt und tiefgefroren ist.
Am Telefon sagt Mariusz Licbarski, der bei Gourmetfleisch.de für Presseanfragen zuständig ist: „Doch, das Produkt wird gut angenommen.“Heute heiße fleischlose Ernährung eben nicht unbedingt, dass man auf Fleisch verzichten müsse. „Unsere Kunden sind da sehr aufgeschlossen.“Den Preis findet der Sprecher trotz des hundertprozentigen Aufschlags immer noch angemessen. Darüber hinaus glaube er nicht, dass man sein Kerngeschäft – den Verkauf echten Fleischs – mit den BeyondProdukten kannibalisiere. „Am Ende entscheidet der Kunde mit seiner Nachfrage, ob der vegane Burger dauerhaft im Sortiment bleibt.“
Es ist gar nicht so einfach, einen Lebensmittelchemiker zu finden, der bereit ist, eine Meinung zur Zutatenliste des Klopses zu haben. Verschiedene universitäre Lebensmittelinstitute lehnen das mit der Begründung ab, man wolle keine Beurteilung, die dann als Werbung oder das Gegenteil gelten könne, abgeben. Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg kennt solche Hemmungen nicht. Der Lebensmittelchemiker kommt schnell zu einer Einschätzung: „Die einzelnen Bestandteile sind nicht bedenklich“, sagt er. Namentlich sind das: Wasser, Erbsenprotein-Isolat, Rapsöl, Kokosnussöl, verschiedene Aromen, Stabilisatoren wie Cellulose, Gummi Arabicum und Kartoffelstärke, die Zuckerart Maltodextrin, Hefeextrakt, Salz, Trockenhefe sowie verschiedene Säuren als Antioxidationsmittel. Und: Saft der roten Beete, der später einen Hauch Blutigkeit im Fleischersatzprodukt simulieren soll.
„Unbedenklich“, wiederholt Valet noch einmal und sieht sich die Nährwerte genauer an. Mit einem Fettanteil von 18 Prozent sei der Beyond Burger in guter Gesellschaft zu seinem Echtfleisch-Verwandten, wie sie bei McDonalds und Co. verkauft würden. Mit 17,7 Prozent Eiweiß sei der Anteil sogar relativ hoch im Vergleich zum echten Fleisch mit zwölf bis 17 Prozent. Kalorien hat die Portion knapp 300. „Warum der Hersteller ausgerechnet auf Erbseneiweiß setzt, wird sicher Gründe haben. Ich kann sie nicht beurteilen. Reines Milcheiweiß schmeckt zum Beispiel nach nichts“, sagt Valet. Trockenhefe werde vermutlich sowohl wegen des Volumens als auch des Geschmacks zugesetzt, glaubt der Chemiker.
Die Hoffnung ist groß, dass der Klops durch seine fleischlose Erzeugung ein globaler Erfolg wird. Denn weniger Fleischkonsum bedeutet weniger Tierhaltung und damit auch weniger Tierleid. Von der Einsparung an CO2 ganz abgesehen. Die Börse hat die Hoffnungen in das Produkt kräftig gefeiert. Nur: Für den langfristigen Erfolg ist vor allem eines wichtig: der Geschmack.
Nach der trockenen Theorie soll Philipp Sontag aus Kißlegg das Produkt nun genau unter seine persönliche Fleischerlupe nehmen. Denn Sontag ist nicht nur Metzger in der sechsten Generation. Der rotbärtige Handwerker hat sich auch als einer der ersten in Süddeutschland zum Fleischsommelier qualifizieren lassen. Fleisch ist also das Gemüse des 39-Jährigen, der zunächst einmal den Kopf schüttelt, während er die Versuchsanordnung zum Testen des veganen Burgers in seinem Hof aufbaut: „Es kommt mir schon sehr komisch vor, dass die Leute bereit sind, für so ein Produkt aus dem Labor mehr als 40 Euro das Kilo zu zahlen. Bei mir gibt es für 28 Euro ein wirklich richtig gutes und dry age gereiftes Burger-Hack. Und das stammt von einem lebendigen Tier.“Spricht’s und schüttet glühende Holzkohle in den Grill und legt den Rost auf.
Jetzt ist der Moment gekommen, sich der Rohware anzunähern. Die tiefgefrorenen Frikadellen sind über Nacht im Kühlschrank aufgetaut. Der Geruch erinnert ein wenig an Wurst. „Vermutlich wegen des Raucharomas“, schätzt Philipp Sontag. Tatsächlich ist der Burger im rohen Zustand echtem Hackfleisch von der Konsistenz her recht ähnlich. Und wie schmeckt die kalte Masse? Sontag probiert und kaut. „Jetzt spürt man das Gummi Arabicum.“Es sorge für einen realistischen Biss. Das war es dann aber schon mit der Ähnlichkeit, denn: „Mit echtem Fleisch hat das nicht das Geringste zu tun“, stellt der Fleischsommelier fest und wirft die Klopse auf den heißen Grill.
Während das Kunstfleisch brät, wird Philipp Sontag nachdenklich: „Ich frage mich halt, warum muss man solche Produkte entwickeln, anstatt einfach Fleisch vernünftig zu konsumieren?“Der Mensch sei für die Verwertung tierischen Proteins wie geschaffen. Während er das sagt, dreht er die Pattys zum ersten Mal und wundert sich: „Komisch. Das gibt gar keine richtigen Grillstreifen.“Tatsächlich bräunt das Produkt eher flächig. Nach rund drei Minuten auf jeder Seite ist es soweit: Philipp Sontag schneidet den Beyond Burger in der Mitte durch, nimmt eine Hälfte in die Hand und drückt sie leicht zwischen den Fingern. Tatsächlich ist die Optik dem fleischlichen Original sehr ähnlich – sogar etwas Saft tritt aus, der allerdings nicht rötlich ist wie aufgrund der Roten Beete zu erwarten gewesen wäre. Und der Geschmack nach dem Grillen? Sontag kaut wieder: „Das Raucharoma ist jetzt natürlich deutlicher.“Wieder zollt der Metzger dem Mundgefühl, das echtem Hack doch recht nahe komme, Respekt. „Grobe Bratwurst“, meint Sontag. Geschmack – bestenfalls in Richtung Corned Beef, wenig gesalzen.
Kaum Eigengeschmack
Weil kaum jemand einen Burger ohne Brötchen und Soße isst, führt der Metzger die Verkostung unter realistischeren Bedingungen fort. Und siehe da: Mit Weckle und Grillsoße tritt der unscheinbare Eigengeschmack des Beyond Burger gänzlich in den Hintergrund und Philipp Sontag grinst: „Jetzt eine Blindverkostung, da wird es für viele schwierig, das echte Fleisch vom Imitat zu unterscheiden.“Ketchup als großer Gleichmacher auf dem Teller wirke ja auch bei Soja-Würstchen und Tofu-Bratlingen.
Für echte Fleischpuristen, die vor allem das Grundprodukt schmecken wollten, sei das aber sicher nichts. Liegt das Patty zu lange auf dem Grill, ergibt sich aus Sicht von Sontag übrigens folgendes Geschmacksund Konsistenzbild: „Irgendwas zwischen Ofenschlupfer und vergessenen Spiegeleiern.“Und so fällt die Antwort des Metzgermeisters, ob er sich von der neuen fleischlosen Konkurrenz bedroht fühle, kurz, ironisch und trotzdem deutlich aus: „Eher nicht so richtig“, sagt er mit breitem Grinsen.
Warum muss man solche Produkte entwickeln, anstatt einfach Fleisch vernünftig zu konsumieren?
Philipp Sontag aus Kißlegg