Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Letzter Ausweg Hungerstreik
Arno Resch hat seit 14 Tagen nichts gegessen – Er fordert Überprüfung seines Pflegegrads
HAISTERKIRCH - Vor 14 Tagen ist Arno Resch in Hungerstreik getreten. Mit dieser drastischen Aktion will er auf ein – aus seiner Sicht – „Systemversagen“hinweisen. Warum? Vor drei Monaten hat er Widerspruch gegen das Gutachten des Medizinischen Diensts der Krankenversicherungen (MDK) eingereicht. Bis heute wartet er auf eine neuerliche Überprüfung seines Pflegegrads. Die Herabsetzung hat spürbare Auswirkungen auf sein Leben.
Reschs Händedruck ist schwach, seine Augen sind leer. Unter höchster Anstrengung nimmt er auf dem Stuhl Platz und schüttelt erst einmal den Kopf. Er ist ratlos, kratzt sich die Stirn und berichtet dann von seinem persönlichen Leidensweg: Ein Schlaganfall im März 2018 stellte sein Leben auf den Kopf. Seither ist sein Oberkörper halbseitig gelähmt, den rechten Arm kann er kaum beugen. Das Sprechen fällt ihm seither schwer und wenn er sich aufregt, überschlagen sich die Worte. Anstatt sich als Kraftfahrer hinters Steuer zu setzen, geht es in die Reha. Zweimal. Außerdem kommt ein- bis zweimal die Woche Ergotherapeutin Christine Weber zu Resch und möchte die Mobilität fördern. Doch dazu kommt es zuletzt kaum. Der bürokratische Ärger überschattet die Therapie.
Anfänglich wurde dem Haisterkircher Pflegegrad 2 attestiert. Darin inbegriffen sei die Übernahme der Kosten für eine sogenannte Ersatzpflegekraft, die ihn zwei- bis dreimal wöchentlich unterstützt und unter anderem im Haushalt hilft. „Sie hat beim Kochen alles vorbereitet. Ich selbst kann keine Zwiebeln schälen oder Gemüse sauberwaschen“, sagt Resch mühsam und ergänzt nach einer kurzen Pause: „Ich kann nicht einmal den Mülleimer selbst runterbringen.“
Warum der MDK den 53-Jährigen zu Jahresanfang auf Pflegegrad 1 heruntersetzte, ist Resch schleierhaft. Doch die Umstellung hat Konsequenzen. Er lebt von der Erwerbsminderungsrente und Geld von der Krankenkasse. Ihm stehen rund 900 Euro monatlich zur Verfügung. Damit könne er die Ersatzpflegekraft aus eigenen finanziellen Mitteln nicht bezahlen. Und so musste er die Hilfe vor ein paar Wochen schweren Herzens abbestellen. „Aber ich kann mir selbst nichts kochen“, berichtet Resch verzweifelt und sah keinen anderen Ausweg, als in den Hungerstreik zu treten. Zwischenzeitlich hat der einst füllige Resch etliche Kilogramm verloren und ist schmal im Gesicht geworden. Immerhin nimmt er Flüssigkeit zu sich – Suizidabsichten hegt er mit seiner Initiative eigentlich nicht.
Zum Schritt an die Öffentlichkeit hat ihn auch Ergotherapeutin Weber bewegt: „Es zeichnet sich derzeit keine Lösung ab. Aber es muss irgendetwas passieren, sonst bekommt keiner mit, dass er hier in Hungerstreik getreten ist.“Außerdem möchte Resch auf die generelle Situation in Deutschland aufmerksam machen und sich für andere einsetzen, die sich in einer ähnlichen Situation wie er befinden. Er sieht ein Versagen des Systems, wie er es nennt: „Anstatt zu helfen, legen sie einem Steine in den Weg. Dabei will ich gesund werden und wieder arbeiten.“
Besonders ärgert ihn, dass sein Widerspruch auf die aus seiner Sicht falsche Einordnung des Pflegegrads bis heute unkommentiert blieb. Lediglich eine Bestätigung der Krankenkasse ging ihm Anfang April zu. Darin zu lesen ist, dass die Krankenkasse den MDK mit der Erstellung eines neuen Gutachtens beauftragt hat. „Die Gesetze müssen sich ändern. Ein berechtigter Einspruch darf doch nicht über drei Monate liegen gelassen werden“, echauffiert sich Resch und hofft darauf, dass er bei einem neuen Gutachten zumindest wieder in Pflegegrad 2 eingestuft wird.
Krankenkasse: „Kein Kommentar.“Dass Versicherte zu derart drastischen Mitteln greifen, ist bei der zuständigen Krankenkasse bislang noch nie vorgekommen, berichtet eine Teamleiterin der Krankenkasse auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Ob der Fall aufgrund des Hungerstreiks schneller bearbeitet wird? Dazu meint die Teamleiterin kurz: „Kein Kommentar.“Auch die Frage nach der weiteren Bearbeitungszeit des Widerspruchs bleibt offen. Das sei von Fall zu Fall unterschiedlich und die Krankenkasse habe keinen Einfluss auf die Terminkoordination des MDK.
Die Teamleiterin räumt allerdings ein, dass sich die Bearbeitungszeiten bei der MDK generell verlängert hätten. Und das hat einen Grund. Das Pflegestärkungsgesetz wurde im Jahr 2017 neu geregelt und diese Neuregelung hat dem MDK mehr Versicherte und damit mehr Begutachtungen beschert. Zusätzlich zu der erhöhten Zahl an Pflegebedürftigen sei auch Personalmangel als Grund zu nennen, meint die Teamleiterin. Wie viele Widersprüche bei der zuständigen Krankenkasse jährlich eingehen, wollte die Teamleiterin mit Verweis auf den Datenschutz nicht beantworten.
Die beim MDK zuständige Teamleiterin war bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen. Bekannt ist damit nur, dass die Beurteilung und Einteilung in die Pflegegrade generell nach gesetzlich festgelegten Kriterien erfolgen.