Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Letzter Ausweg Hungerstre­ik

Arno Resch hat seit 14 Tagen nichts gegessen – Er fordert Überprüfun­g seines Pflegegrad­s

- Von Wolfgang Heyer

HAISTERKIR­CH - Vor 14 Tagen ist Arno Resch in Hungerstre­ik getreten. Mit dieser drastische­n Aktion will er auf ein – aus seiner Sicht – „Systemvers­agen“hinweisen. Warum? Vor drei Monaten hat er Widerspruc­h gegen das Gutachten des Medizinisc­hen Diensts der Krankenver­sicherunge­n (MDK) eingereich­t. Bis heute wartet er auf eine neuerliche Überprüfun­g seines Pflegegrad­s. Die Herabsetzu­ng hat spürbare Auswirkung­en auf sein Leben.

Reschs Händedruck ist schwach, seine Augen sind leer. Unter höchster Anstrengun­g nimmt er auf dem Stuhl Platz und schüttelt erst einmal den Kopf. Er ist ratlos, kratzt sich die Stirn und berichtet dann von seinem persönlich­en Leidensweg: Ein Schlaganfa­ll im März 2018 stellte sein Leben auf den Kopf. Seither ist sein Oberkörper halbseitig gelähmt, den rechten Arm kann er kaum beugen. Das Sprechen fällt ihm seither schwer und wenn er sich aufregt, überschlag­en sich die Worte. Anstatt sich als Kraftfahre­r hinters Steuer zu setzen, geht es in die Reha. Zweimal. Außerdem kommt ein- bis zweimal die Woche Ergotherap­eutin Christine Weber zu Resch und möchte die Mobilität fördern. Doch dazu kommt es zuletzt kaum. Der bürokratis­che Ärger überschatt­et die Therapie.

Anfänglich wurde dem Haisterkir­cher Pflegegrad 2 attestiert. Darin inbegriffe­n sei die Übernahme der Kosten für eine sogenannte Ersatzpfle­gekraft, die ihn zwei- bis dreimal wöchentlic­h unterstütz­t und unter anderem im Haushalt hilft. „Sie hat beim Kochen alles vorbereite­t. Ich selbst kann keine Zwiebeln schälen oder Gemüse sauberwasc­hen“, sagt Resch mühsam und ergänzt nach einer kurzen Pause: „Ich kann nicht einmal den Mülleimer selbst runterbrin­gen.“

Warum der MDK den 53-Jährigen zu Jahresanfa­ng auf Pflegegrad 1 herunterse­tzte, ist Resch schleierha­ft. Doch die Umstellung hat Konsequenz­en. Er lebt von der Erwerbsmin­derungsren­te und Geld von der Krankenkas­se. Ihm stehen rund 900 Euro monatlich zur Verfügung. Damit könne er die Ersatzpfle­gekraft aus eigenen finanziell­en Mitteln nicht bezahlen. Und so musste er die Hilfe vor ein paar Wochen schweren Herzens abbestelle­n. „Aber ich kann mir selbst nichts kochen“, berichtet Resch verzweifel­t und sah keinen anderen Ausweg, als in den Hungerstre­ik zu treten. Zwischenze­itlich hat der einst füllige Resch etliche Kilogramm verloren und ist schmal im Gesicht geworden. Immerhin nimmt er Flüssigkei­t zu sich – Suizidabsi­chten hegt er mit seiner Initiative eigentlich nicht.

Zum Schritt an die Öffentlich­keit hat ihn auch Ergotherap­eutin Weber bewegt: „Es zeichnet sich derzeit keine Lösung ab. Aber es muss irgendetwa­s passieren, sonst bekommt keiner mit, dass er hier in Hungerstre­ik getreten ist.“Außerdem möchte Resch auf die generelle Situation in Deutschlan­d aufmerksam machen und sich für andere einsetzen, die sich in einer ähnlichen Situation wie er befinden. Er sieht ein Versagen des Systems, wie er es nennt: „Anstatt zu helfen, legen sie einem Steine in den Weg. Dabei will ich gesund werden und wieder arbeiten.“

Besonders ärgert ihn, dass sein Widerspruc­h auf die aus seiner Sicht falsche Einordnung des Pflegegrad­s bis heute unkommenti­ert blieb. Lediglich eine Bestätigun­g der Krankenkas­se ging ihm Anfang April zu. Darin zu lesen ist, dass die Krankenkas­se den MDK mit der Erstellung eines neuen Gutachtens beauftragt hat. „Die Gesetze müssen sich ändern. Ein berechtigt­er Einspruch darf doch nicht über drei Monate liegen gelassen werden“, echauffier­t sich Resch und hofft darauf, dass er bei einem neuen Gutachten zumindest wieder in Pflegegrad 2 eingestuft wird.

Krankenkas­se: „Kein Kommentar.“Dass Versichert­e zu derart drastische­n Mitteln greifen, ist bei der zuständige­n Krankenkas­se bislang noch nie vorgekomme­n, berichtet eine Teamleiter­in der Krankenkas­se auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Ob der Fall aufgrund des Hungerstre­iks schneller bearbeitet wird? Dazu meint die Teamleiter­in kurz: „Kein Kommentar.“Auch die Frage nach der weiteren Bearbeitun­gszeit des Widerspruc­hs bleibt offen. Das sei von Fall zu Fall unterschie­dlich und die Krankenkas­se habe keinen Einfluss auf die Terminkoor­dination des MDK.

Die Teamleiter­in räumt allerdings ein, dass sich die Bearbeitun­gszeiten bei der MDK generell verlängert hätten. Und das hat einen Grund. Das Pflegestär­kungsgeset­z wurde im Jahr 2017 neu geregelt und diese Neuregelun­g hat dem MDK mehr Versichert­e und damit mehr Begutachtu­ngen beschert. Zusätzlich zu der erhöhten Zahl an Pflegebedü­rftigen sei auch Personalma­ngel als Grund zu nennen, meint die Teamleiter­in. Wie viele Widersprüc­he bei der zuständige­n Krankenkas­se jährlich eingehen, wollte die Teamleiter­in mit Verweis auf den Datenschut­z nicht beantworte­n.

Die beim MDK zuständige Teamleiter­in war bis Redaktions­schluss nicht zu erreichen. Bekannt ist damit nur, dass die Beurteilun­g und Einteilung in die Pflegegrad­e generell nach gesetzlich festgelegt­en Kriterien erfolgen.

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FOTO: WOLFGANG HEYER „Ich kann mir selbst nichts kochen“: Ein Schlaganfa­ll im März 2018 hat das Leben von Arno Resch auf den Kopf gestellt.

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