Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ton vor US-Kongresswahlen wird rauer
65 Wahlkreise sind besonders umkämpft – Trump verschärft Anti-Migrationsrhetorik
WASHINGTON - Falls sich eine alte Faustregel bestätigt, wird Donald Trump am Abend des 6. November nicht viel zu feiern haben. Traditionell dient das Kongressvotum zur Halbzeit zwischen zwei Präsidentschaftswahlen amerikanischen Wählern dazu, der Partei des Präsidenten einen Denkzettel zu verpassen. Seit 1913, dem Jahr, in dem die Zahl der Sitze im Repräsentantenhaus auf die heutige Zahl von 435 aufgestockt wurde, hat die jeweilige Regierungspartei bis auf drei Ausnahmen bei den Zwischenwahlen stets an Boden verloren. So gesehen wäre es fast schon eine Überraschung, sollte es den Demokraten nicht gelingen, den Republikanern die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer streitig zu machen.
Beendet wäre ein Ausnahmezustand, wie ihn die USA immer nur phasenweise erleben. Dass eine Partei Exekutive wie Legislative beherrscht, lässt der Souverän in aller Regel nur für kurze Zeit zu, bevor er es korrigiert. Keine der beiden großen Parteien, so entspricht es dem Grundgefühl des Landes, soll zu lange zu viel Macht zuwachsen.
Zudem sind Halbzeitwahlen immer auch ein Referendum über die Amtsführung des Präsidenten. „Mein Name steht zwar nicht auf dem Zettel. Aber ich will, dass ihr wählen geht“, rief er neulich Anhängern in Mississippi zu. „Also tut einfach so, als stünde ich auf diesem Zettel.“Zum einen stellt er sich in den Mittelpunkt, weil sich nach seinem Verständnis ohnehin alles nur um ihn dreht. Zum anderen versteht er sich als Zugpferd. Der Wähler, so sieht er es, soll Trump, für die boomende Wirtschaft, für die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 50 Jahren belohnen, indem er für konservative Kandidaten stimmt.
Um seine Klientel zu überzeugen, verschärfte Trump seine Anti-Migrationsrhetorik. Künftig solle nicht mehr jedes auf dem Boden der USA geborene Kind automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten, kündigte der Präsident an. Das seit 1868 in einem Verfassungszusatz festgeschriebene Geburtsrecht will er per Dekret kippen. Laut Trump sollen künftig nur noch jene Kinder bei Geburt die Staatsbürgerschaft erhalten, deren Eltern sich rechtmäßig in den USA aufhielten. Zudem kündigte Trump an, dass Asylbewerber in „Zeltstädten“an der Grenze zu Mexiko festgehalten werden sollen.
Die Zustimmungswerte für den Staatschef liegen nach einem Durchschnitt aus mehreren Umfragen, zusammengestellt von der Online-Plattform Real Clear Politics, bei 42 Prozent. Das ist ein vergleichsweise niedriger Wert, der in aller Regel zur Folge hat, dass seine Partei Federn lässt. Trumps schriller Ton, seine Scharmützel mit den Verbündeten in Europa und Kanada, die Art, wie er über Frauen redet: Das alles fällt offenbar stärker ins Gewicht als die Wirtschaftslage. Nur lehrt die Erfahrung des Jahres 2016, dass Umfragen bisweilen nicht allzu viel aussagen über das tatsächliche Wählerverhalten.
Jedenfalls müssen die Demokraten im Repräsentantenhaus 23 Sitze dazugewinnen, wollen sie den Konservativen die Kontrolle abnehmen. Nach einer Übersicht des Cook Political Report, eines angesehenen Analysedienstes, sind 65 Wahlkreise besonders umkämpft. Bei vielen handelt es sich um Gegenden, in denen Hillary Clinton vor zwei Jahren mehr Stimmen holte als Trump. Chancen rechnen sich die Demokraten insbesondere im Speckgürtel um die Großstädte aus, wo sich Wähler mittlerer und höherer Einkommensschichten von der „Grand Old Party“abwenden könnten. Vor allem Wählerinnen, denen Trumps Sexismus auf die Nerven geht. In Florida, Kalifornien, New Jersey und Pennsylvania liegen zwei Dutzend solcher Wahlkreise, in denen republikanische Amtsinhaber zittern müssen.
Zudem will die Opposition mithilfe des Faktors Trump Wählergruppen mobilisieren, die beim Halbzeitvotum häufig zu Hause bleiben. Im Herbst 2014 – die Konservativen siegten so klar wie lange nicht – lag die Wahlbeteiligung bei den 18- bis 29Jährigen nur bei knapp einem Fünftel. „Ist es ein Wunder, dass der Kongress eure Werte und Prioritäten nicht widerspiegelt?“, hat Barack Obama, der Altpräsident, den Jungen dieser Tage ins Gewissen geredet.
Phlegmatische Basis aufgerüttelt
Dann wäre da noch die Causa Brett Kavanaugh, das Ringen um die Besetzung eines Richterpostens am Obersten Gerichtshof. Bevor die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford schilderte, wie der Teenager Kavanaugh sie einst zu vergewaltigen versuchte, hatte sie tagelang mit sich gerungen, wohl aus Angst, auf ein politisches Schlachtfeld gezerrt zu werden. Es dauerte nicht lange, bis Trump sie nachäffte und dem Gespött seiner johlenden Fans aussetzte. Für Frauen dürfte dies ein Grund mehr sein, Trumps Partei abzustrafen. Andererseits hat der sich verschärfende Ton den Republikanern geholfen, ihre bis dahin eher phlegmatische Basis aufzurütteln. In ihrer Version schreckt eine außer Rand und Band geratene Opposition vor nichts zurück, um Kavanaugh fertigzumachen. Prompt gingen die Umfragewerte republikanischer Senatskandidaten nach oben, während sie für demokratische Amtsinhaber auf Trump-freundlichem Terrain nach unten zeigten.
Im Senat kommen die Republikaner auf 51, die Demokraten auf 49 Sitze, rechnet man zwei nominell unabhängige Köpfe hinzu. Neu verteilt werden 35 der 100 Mandate. Es wäre verwunderlich, sollten die Demokraten so viele erobern, dass es für eine Mehrheit reicht. Sie haben 26 Sitze zu verteidigen, die Republikaner nur neun. Von diesen 26 Sitzen entfallen zehn auf Staaten, die Trump vor zwei Jahren gewann, zum Teil mit großem Vorsprung. Folglich müssen Claire McCaskill aus Missouri oder Heidi Heitkamp aus North Dakota oder auch ihr Kollege Joe Donnelly (Indiana) um ihre Wiederwahl bangen. Die Demokraten wiederum träumen von Siegen in Arizona, Nevada, Tennessee und womöglich in Texas, das seit den 1990ern der Inbegriff einer republikanischen Hochburg ist.