Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nach 1933 verteidigt­e niemand das Miteinande­r

Benigna Schönhagen spricht bei Tagung über Christen und Juden in Schwaben

- Von Franz Liesch

LAUPHEIM - „Juden und Christen“hat der Geschichts­verein der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Thema seiner Jahrestagu­ng am Samstag gemacht. „Welcher Ort könnte besser geeignet sein für diese Thematik als Laupheim?“, fragte Oberbürger­meister Gerold Rechle in seinem Grußwort, zumal das Museum zur Geschichte von Christen und Juden heuer 20-jähriges Bestehen feiere.

Als Referentin war Benigna Schönhagen gewonnen worden. Die Professori­n ist in Laupheim keine Unbekannte, hat sie doch die Beziehung von Christen und Juden einst in einer Dauerausst­ellung im Schloss aufgearbei­tet. Als Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums AugsburgSc­hwaben ist sie bestens vertraut mit dem Miteinande­r und Nebeneinan­der von Christen und Juden in Schwaben, so der Titel ihres Vortrags. Der Ball war ihr von Johannes Heil, Rektor der Schule für jüdische Studien in Heidelberg, zugespielt worden. Er zeigte die ambivalent­e Beziehung von Christen und Juden von den Anfängen des Christentu­ms bis in die Gegenwart auf.

Eine solche Ambivalenz wies Schönhagen auch für Schwaben nach. Einen besonderen Tiefpunkt erreichte die Beziehung am Ende des Mittelalte­rs mit der Vertreibun­g der Juden aus den Reichsstäd­ten wie Ulm (1499). Juden wurden Ritualmord­e und Hostiensch­änderei zum Vorwurf gemacht. Sie reagierten auf die Vertreibun­g, soweit sie sich das leisten konnten, mit Flucht nach Norditalie­n und Osteuropa. In Schwaben blieben für die Existenz nur Kleinstädt­e im Herrschaft­sbereich der Reichsritt­erschaften. Mit Abgaben verbundene „Schutzbrie­fe“gaben ihnen Rechtssich­erheit. Bekannte jüdische Siedlungen entstanden in dieser Phase in Haigerloch und Rexingen.

In einer weiteren Siedlungsp­hase wurde Juden auch erlaubt, in Landstädte­n wie Buttenhaus­en oder Laupheim zu siedeln. 30 jüdische Gemeinden zählte damals Württember­g. Bis zu 30 Prozent der Bevölkerun­g bekannten sich zum jüdischen Glauben. Die größte Gemeinde war Laupheim. In diesen Zeiten entwickelt­en sich vielfältig­e Kontakte zur Landbevölk­erung. Schönhagen sprach von einer „Symbiose“. Das Leben der Juden war freilich eingeschrä­nkt. So existierte­n Kleidervor­schriften. Sogar für den Stil beim Synagogenb­au gab es staatliche Vorgaben.

Die Referentin erläuterte den „langen Weg in die Emanzipati­on“der Juden. Erste Schritte wurden zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts gemacht. Der Gewinn an Selbststän­digkeit führte dazu, dass sich zahlreiche Juden das Recht nahmen auszuwande­rn, etwa in die Vereinigte­n Staaten. Die jüdischen Gemeinden schrumpfte­n.

Die Zeit Bismarcks bedeutete die stärkste Zäsur im Leben der Juden. Sie wurden ohne Einschränk­ung gleichgest­ellt, ihre Lebensverh­ältnisse glichen sich denen der Christen an. Das Landjudent­um löste sich immer mehr auf. Die Städte entwickelt­en eine Sogwirkung. Die Betätigung im Gewerbe öffnete sich.

Benigna Schönhagen zeigte die Bedeutung von Juden in der gewerblich­en Wirtschaft: In Laupheim wurden sie zu den bedeutends­ten Steuerzahl­ern. Sie konnten jetzt akademisch­e und künstleris­che Berufe ergreifen. Es wurde aber auch der Neid der Christen geweckt. Das erleichter­te die Ausbreitun­g des Antisemiti­smus.

Mit dem Antisemiti­smus der Nationalso­zialisten war Schönhagen in ihren Vortrag eingestieg­en. Sie zitierte die Laupheimer­in Hertha Nathorff, die ihre Erlebnisse niederschr­ieb. Nathorff musste fassungslo­s feststelle­n, dass das bisherige friedliche Miteinande­r plötzlich endete und Angst an Boden gewann. „Niemand verteidigt­e das bisherige Miteinande­r“, so Benigna Schönhagen. Heute überlagere die NS-Judenverfo­lgung die Tatsache, dass es über Jahrhunder­te ein friedliche­s Zusammenle­ben gegeben hat.

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FOTO: FRANZ LIESCH Benigna Schönhagen referierte bei der Jahrestagu­ng des Geschichts­vereins der Diözese.

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