Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Hauptsache Protest
Wohin die AfD steuert – diese Frage ist nach dem Bundesparteitag am Wochenende in Hannover bis auf Weiteres beantwortet. Um zu erfahren, wie die Partei wirklich tickt, musste man lediglich einige kernig-nationalistische Sätze der weitgehend unbekannten Landespolitikerin Doris von SaynWittgenstein hören. Der Fünf-Minuten-Auftritt der Vorsitzenden des Landesverbandes Schleswig-Holstein reichten aus, um dem Realo-Lager den Wind aus den Segeln zu nehmen. Bezeichnend der Jubel nach ihrer Forderung, die anderen Parteien müssten um eine Regierungsbeteiligung der AfD „betteln“. Bezeichnend der Beifall für ihren Satz, sie wolle nicht, dass die AfD in der „sogenannten Gesellschaft“ankomme.
Die größte Begeisterung gibt es bei der AfD für Protest und Nationalismus. Kompromissbereitschaft und das Streben nach Regierungsverantwortung sind nicht en vogue. Als Hoffnungsträger der sogenannten Moderaten zum Parteitag gereist, kehrt Georg Pazderski als gedemütigter Herausforderer von Rechtsaußen Björn Höcke nach Berlin zurück, weil er sich nicht gegen Partei-Novizin von Sayn-Wittgenstein durchsetzen konnte, die Höcke ins Rennen geschickt hatte.
Mit dem alten und neuen Parteichef Jörg Meuthen und dem nun an die Spitze gewählten Fraktionschef Alexander Gauland wird die Partei von einem Duo geführt, das gemeinsam hinter dem nationalistischen Kurs der Scharfmacher steht und verhindern will, dass Höcke wegen seiner antisemitischen Provokationen aus der Partei ausgeschlossen wird. Bezeichnend auch, dass darüber in Hannover gar nicht gesprochen wurde.
Der umstrittene Höcke konnte seine Position an diesem Wochenende deutlich stärken, an ihm dürfte nun auch in den kommenden Jahren niemand vorbeikommen. Zugleich hat sich, auch wenn Meuthen dies bestreitet, der Graben in der Partei vertieft. Die AfD bleibt ein „gäriger Haufen“. Ob es Meuthen und Gauland gelingen wird, den Gärprozess zu kontrollieren, ein Umkippen des Gebräus zu verhindern, ist offen.