Schwäbische Zeitung (Laupheim)
#Merklingen und der Hass auf Flüchtlinge
Flüchtlingsgegner tauschen sich bei Twitter unter dem Hashtag #Merklingen aus
MERKLINGEN - Wer sich beim Kurznachrichtendienst Twitter über Merklingen informieren möchte, entdeckt Tweets, die für Verwunderung sorgen. In den maximal 140 Zeichen langen Nachrichten heißt es zum Beispiel: „#AfD für Bayern, wir haben die Schnauze voll von #Merklingen“. Oder auch: „Deutschland: Kriminalität an Bahnhöfen steigt deutlich anein #Nazi wer behauptet das hat was mit #Merklingen zu tun“. Was hat das zu bedeuten?
Bei der Suche nach dem Schlagwort „Merklingen“, aber auch dem Hashtag „#Merklingen“, ploppt eine Vielzahl von Meldungen auf. Der Großteil der Kurznachrichten beschäftigt sich mit der Gemeinde Merklingen und den dortigen Geschehnissen: Diskussion um den Bahnhalt, Stuttgart 21 und sonstige lokale Nachrichten. Bei vielen Meldungen geht es auch um Ereignisse aus der Stadt Weil der Stadt in der Region Stuttgart. Dort gibt es einen Stadtteil, der ebenfalls Merklingen heißt.
Bei mindestens 30 Tweets geht es jedoch keineswegs um Themen rund um die Gemeinde oder den Stadtteil Merklingen. Sie sind zum Teil fremdenfeindlich und richten sich gegen deutsche Spitzenpolitiker. Fragen und Antworten:
Was steckt hinter #Merklingen?
Wer sich die Tweets durchliest, die nichts mit der Gemeinde oder dem Stadtteil Merklingen zu tun haben, versteht schnell, welche Bedeutung „Merklingen“noch haben könnte: Das Wort „Merklingen“setzt sich demnach zusammen aus Merkel – also Angela Merkel, die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland – sowie dem Wort „Flüchtlinge“: Merk-lingen. Es handelt sich beim Hashtag #Merklingen also um eine Wortverschmelzung, mit der die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel gemeint ist.
Wer twittert den Hashtag #Merklingen?
Die mindestens 30 Tweets mit dem Wort „Merklingen“, die weder die Gemeinde noch den Stadtteil betreffen, werden von vielleicht gerade mal zehn Twitter-Nutzern verwendet.
Ein Twitter-Nutzer, der sich zu dem Schlagwort geäußert hat, schreibt in seiner Profilbeschreibung: „Lasse mir nicht den Mund verbieten! Art. 20/4 GG! AfD! BVB! Für direkte Demokratie, gegen Masseneinwanderung, Fakefugees und Islamisierung!“In Absatz vier des Artikels 20 des Grundgesetzes der Bunderepublik Deutschland heißt es: Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Ein anderer Twitter-Nutzer beschreibt sich in seinem Profil so: „Libertär. Wer mich Listen zufügt, wird geblockt.“Und wieder ein anderer sagt von sich: „Ich wähle AfD, weil ich keiner anderen Partei zutraue, Deutschland vor der Islamisierung zu bewahren und meinen Kindern eine sichere Zukunft zu bieten.“
Um was geht es bei #Merklingen?
Es handelt hier sich um teils fremdenfeindliche Äußerungen, aber auch um Meinungen, die sich gegen deutsche Spitzenpolitiker richten. Einen Tweet der Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sahra Wagenknecht, beantwortet ein Twitter-Nutzer so: „Ja, aber deine roten Vasallen wollen zu den Merklingen noch deren Familien herholn, was glaubst du denn, wer die alle pflegt. Du nicht, okay“. Wagenknecht hatte darauf geschrieben: „Neue Zahlen des Statist. Bundesamtes zur #Pflege zeigen Ausmaß der Verantwortungslosigkeit der letzten Regierungen“.
Der aktuellste Tweet mit dem Schlagwort „Merklingen“– „Merklingen in Action“– ist eine Reaktion auf einen vorangegangenen Tweet, in dem es heißt: „6 dunkelhäutige stürmen auf Mann am Zigarettenautomaten zu – prügeln auf ihn ein, rauben sein Geld“– beigefügt ist ein Link auf eine Meldung, die auf der Webseite politikstube.com hinterlegt ist. Die dort dargestellten Themenfelder: Multikulti, Nachrichten und Politik. Der Reiter Politik ist unterteilt in die Bereiche: Alle, AfD, Politik.
Was sagt der Bürgermeister dazu?
Sven Kneipp ist seit acht Jahren Bürgermeister der Gemeinde Merklingen im Alb-Donau-Kreis. Vor Kurzem ist er wiedergewählt worden. Mit Twitter kenne er sich nicht aus, sagt er. Von den Twittermeldungen habe er bis zum Anruf der „Schwäbischen Zeitung“nichts gewusst. „Das hat auch gar nichts mit uns als Kommune zu tun“, sagt Kneipp. Er hält diese Tweets und auch die Wortverschmelzung für „Quatsch“: „Das Netz ist manchmal auch Platz für viele hemmungslose, oftmals auch niveaulose Wortmeldungen“, sagt er und warnt davor, alles nur „blindlinks“zu lesen.
Es gibt Merklingen tatsächlich?
Zwischen all den Tweets, die für Verwunderung sorgen, gibt es jedoch eine Kurznachricht, die Licht ins Dunkel bringt. Ein aufmerksamer Twitter-Nutzer mag es wohl kaum glauben, stellt aber fest: „Ach herrje, es gibt tatsächlich eine Stadt namens Merklingen?“Fast richtig: Merklingen ist eine Gemeinde.