Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Viele Hürden auf dem Weg nach Jamaika
In ihren Sondierungsgesprächen müssen Union, FDP und Grüne Streitpunkte ausräumen
BERLIN - Am Sonntagnachmittag treffen sich die Spitzen von CDU und CSU zur „Paartherapie“, wie Grünen-Parteichefin Simone Peter lästerte. Tatsächlich muss sich zunächst die Union auf eine gemeinsame Linie einigen. Erst dann können kommende Woche die Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen über eine mögliche Jamaika-Koalition starten. Klar ist: Ein solches Regierungsbündnis erfordert Zugeständnisse von allen Beteiligten. Denn es gibt wesentliche Knackpunkte, an denen die erste schwarz-gelb-grüne Koalition auf Bundesebene scheitern könnte.
Asylbewerber:
Die CSU beharrt auf ihrer Forderung nach einer Obergrenze von 200 000 Asylsuchenden pro Jahr. Nach dem massiven Stimmenverlust bei der Bundestagswahl und mit Blick auf die Landtagswahl 2018 in Bayern weiß CSU-Chef Horst Seehofer, dass er liefern muss. Die Grünen verweisen indes auf das Grundgesetz, das für ein Recht auf Asyl keine Grenzen kennt. CDU und FDP sind ebenfalls gegen die Obergrenze. Möglicherweise könnte die CSU von dieser Forderung abrücken, wenn konsequentere Abschiebungen beschlossen würden. Das wäre etwa dadurch möglich, dass weitere Länder als sichere Drittstaaten ausgewiesen werden. Die Grünen haben sich bislang dagegen gewehrt, den Maghreb-Staaten diesen Status zu verleihen.
Migration:
Ein Einwanderungsgesetz kann ein weiterer Schritt sein, das Streitthema Asyl-Obergrenze beizulegen. Es könnte dabei helfen, die unterschiedlichen Gruppen an Flüchtlingen klarer zu trennen und den Zuzug der Menschen zu regeln, die nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern vor Armut flüchten. Grüne und FDP sind für ein solches Gesetz. Die Union will nicht ganz soweit gehen, aber auch sie hat sich für ein „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ausgesprochen. Wie dieses ausgestaltet werden soll, wird ein Streitthema sein.
Klimaschutz:
Dies ist der Kernbereich der Grünen. Hier werden sie liefern müssen, um sich in den Augen ihrer Wählerschaft nicht aus machttaktischen Gründen zu verraten. Ihre Forderungen: Abschalten der 20 Kohlekraftwerke mit den höchsten CO2-Emissionen und ein Ende des Verbrennungsmotors bis 2030. Beim zweiten Punkt zeigen die Grünen allerdings Kompromissbereitschaft, was die Jahreszahl angeht. Dennoch wird beides zu einem Zankapfel mit der Union, vor allem aber mit der FDP werden.
Innenpolitik:
Hier sind sich die Gesprächspartner nur darin einig, dass sie alle mehr Polizeistellen schaffen wollen. Eine massive Trennlinie verläuft indes entlang der Frage, wie transparent der Bürger für den Staat werden soll. FDP und Grüne wollen starke Bürgerrechte. Sie sind gegen eine Ausweitung der Videoüberwachung und gegen die Vorratsdatenspeicherung. Die Union fordert das aber.
Soziales:
Während die Grünen die gesetzliche und die private Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung zusammenfassen wollen, lehnt die FDP diese Fusion vehement ab. Auch die CDU ist für ein weiteres Nebeneinander der beiden Versicherungsarten. Die Union hält daran fest, dass das Rentenalter bis 2030 auf 67 Jahre steigen soll. Eine Rentenkommission soll Vorschläge für die Zeit nach 2030 erarbeiten. Die Grünen fordern eine Rente für langjährig Versicherte, die über der Grundsicherung liegt. Die FDP setzt indes auf individuellere Absicherung und spricht sich für ein flexibleres Rentenalter aus.
Europa:
Die FDP steht für einen strengen Sparkurs, wie ihn zuletzt auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vertrat. Die Liberalen sind strikt gegen einen gemeinsamen europäischen Haushalt und einen EU-Finanzminister, wie dies jüngst der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat. Dass Schäuble designierter Bundestagspräsident ist und seinen Posten als Finanzminister räumt, gilt als Signal an die FDP, dass sie den von ihr begehrten Posten in einem möglichen Jamaika-Bündnis bekommen könnte. Die Grünen stehen indes hinter Macrons EU-Reformvorschlägen, auf die auch die Kanzlerin positiv reagierte. Weite Teile ihrer CDU und der CSU sind indes deutlich skeptischer.
Steuern:
Hier scheinen Kompromisse möglich, denn alle Parteien streben Steuerentlastungen an. Am Widerstand von Union und FDP werden die Grünen aber wohl mit ihrer Forderung scheitern, Besserverdiener höher zu besteuern. Auch ihren Wunsch nach einer Vermögenssteuer werden sie in einem JamaikaBündnis nicht umsetzen können. Den realpolitischen Grünen aus dem Südwesten würde das allerdings kein Kopfzerbrechen bereiten.
Bildung/Digitalisierung:
Eine Hürde ist das grundgesetzlich verankerte Kooperationsverbot, denn Bildung ist Ländersache. Das wollen FDP und große Teile der Grünen aufweichen – nicht aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die Union ist gegen eine generelle Aufweichung. Konkrete Hilfe könnte der Bund den Ländern dennoch gewähren – etwa zur Digitalisierung der Klassenzimmer. Dafür hatte NochBildungsministerin Johanna Wanka (CDU) vier Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Einig sind sich alle Parteien darin, den Ausbau schneller Internet-Leitungen voranzutreiben.
Landwirtschaft:
In diesem Bereich stehen die Grünen bei ihren Wählern im Wort.
Sie stehen für eine Agrarpolitik, die Dünger und Pflanzenschutzmittel einschränkt, um so etwa die Wasserqualität zu verbessern. Zudem wollen sie die Massentierhaltung in den kommenden 20 Jahren abschaffen. Die Union fördert ebenfalls ökologische Landwirtschaft, steht aber auch für die konventionell arbeitenden Landwirte ein. Sie stellt sich gegen Forderungen der Grünen, Direktzahlungen an Landwirte in die sogenannte zweite Säule umzuschichten. Die zweite Säule umfasst Förderprogramme für die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung.