Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Deutsche Steuergelder für türkisches Bio-Wohlbefinden
Deutschland leistet eine umstrittene Bio-Entwicklungshilfe – Kritiker sehen vor allem Exporteure bevorzugt
- Der deutsche Staat unterstützt – von vielen unbemerkt – den Aufbau des Bio-Systems der Türkei. Viele Steuergelder von mittlerweile mehr als eine Million Euro sind bereits in die Projekte geflossen. Organisationen wie die Forschungsanstalt für biologischen Landbau (FiBl), und auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Bmel) unterstützen seit mehreren Jahren den Strukturaufbau vor Ort mit staatlichen Mitteln.
Warum bemüht sich Deutschland überhaupt um das Bio-Wohlbefinden der Türkei, wenn es daneben auch Unternehmen wie Rapunzel gibt, die seit Jahrzehnten eigene Aufbauprojekte vorantreiben? „Ziel ist die nachhaltige Sicherung des europäischen Öko-Markts für türkische Produzen- ten“, sagt Carsten Reymann vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Damit könnten deutsche Verbraucher verbesserte Qualität auf den deutschen Märkten erhalten. Konkret werden beim Projekt „Deutsch-Türkische Zusammenarbeit Ökologischer Landwirtschaft“die Vermittlung von Kompetenzen und Fachwissen in den Vordergrund gestellt, was man in Zusammenarbeit mit FiBl, einer international anerkannten Beratungsstelle in Sachen Ökolandbau, erreichen möchte.
Außerdem habe man, so Reymann, im Zuge des Projekts auch die Zusammenarbeit der staatlichen Stellen verbessern können. Auf türkischer Seite selbst wurde der Organisationen-Verband für ökologischen Landbau „ETO“durch das Projekt deutlich gestärkt und es wurde ein Kommunikationsnetz unter den Bauern selbst geschaffen.
Das im Dezember 2011 gestartete Projekt wird nach fünf Jahren planmäßig im Dezember 2016 enden und soll anschließend eigenständig von ETO fortgesetzt werden. Insgesamt wurde das Projekt dabei mit 300 000 Euro pro Jahr finanziert.
„Nicht wirklich gut zu messen“
Das Projekt ist allerdings auch umstritten, denn wie Fachwissen und Kompetenzen tatsächlich vermittelt werden, ist zweifelhaft. „Der tatsächliche Erfolg ist nicht wirklich gut zu messen“, sagt die türkische Umweltingenieurin Melek Gültekin, die selbst schon mit FiBl zusammengearbeitet hat. Man könne lediglich abwarten, ob die Zahl der türkischen Biowaren sinke, die in Deutschland wegen zu hoher Pestizidwerte oder anderer Missstände reklamiert werden. Was vor Ort geschehe, lasse sich nicht verfolgen, so Gültekin.
Aus ihrer Sicht setzt das Projekt nicht auf die richtigen Schwerpunkte. Es würden vor allem Exporteure geschult, wie sie am besten durch die Bio-Bürokratie kommen. Bei den Landwirten bleibe von der Aufklärungskampagne aus Deutschland nur sehr wenig hängen.
Für diese ist mit dem Projekt und den geforderten Qualitätsstandards eher ein regelrechter „ZertifikatDschungel“einhergegangen, den sie durchqueren müssen, um ihre Ware auf dem deutschen Markt anbieten zu können. Die angekündigte Hilfe dabei hat – zumindest bis jetzt – noch nicht stattgefunden. Eine von FiBl angekündigte Webseite, die über die Ziele des Projekts informieren und Im- sowie Exporteuren eine „eLearning“Möglichkeit bieten sollte, ist für den Herbst 2014 versprochen worden. Sie steht bis heute nicht im Netz.