Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Bio: Izmir egal
Bio ist in Deutschland überall erhältlich – In der Türkei sieht die „Biowelt“eher düster aus
- Schon beim Betreten des Edeka-Markts in Ochsenhausen lächeln dem Kunden die ordentlich gefüllten Regale entgegen. Zwischen den gezuckerten Cornflakes und den Honig-Pops sind auch hochwertige Bio-Müsli zu finden. Bei fast jedem Produkt hat der Käufer wie selbstverständlich die Wahl zwischen biologischen und konventionellen Waren. Rund 52 Prozent der Deutschen essen laut dem Statistik-Portal Statista regelmäßig Bio. In einer Vier-Millionen-Stadt wie Berlin wären das also etwa zwei Millionen Bio-Käufer pro Woche.
Vier Millionen Einwohner hat auch die türkische Metropole Izmir. Doch um in Izmir einen bewussten und gesunden Lebensstil durchzusetzen, reicht es nicht, in einen der zahlreichen Supermärkte zu gehen. Bio? Fehlanzeige. Dort wird ausschließlich konventionelle Ware verkauft.
Lediglich an zwei Tagen in der Woche haben die Bewohner Izmirs die Möglichkeit, auf einem Markt zertifizierte Biolebensmittel zu kaufen. Beim Betreten der riesigen Markthalle, einer Mischung aus Parkplatz und Gefängnis, kommt leise, türkische Musik aus einem einsamen Lautsprecher.
Saftige Granatäpfel und bunte Paprika – so lecker die Lebensmittel auf den Kartoffelsack ähnlichen Tischdecken auch aussehen, das Leben auf diesem Markt reden die Organisatoren nur herbei. „Pro Tag kommen 400 Kunden auf den Markt. Bis 14 Uhr ist hier alles ausverkauft“, sagt Özpe Cicekli, die Koordinatorin zweier Bio-Märkte in Izmir. Die vollen Tische der Händler am Ende des Tages sagen jedoch etwas anderes. An dem Tag im Oktober, an dem die Schülergruppe aus Ochsenhausen den Markt besucht, kaufen schät- zungsweise 50 Kunden dort ein.
Ein Bio-Markt ohne Kunden wäre in Deutschland undenkbar. Hier werden immer mehr Bioprodukte verkauft, es herrscht geradezu ein BioBoom. Seit der Einführung des staatlichen Bio-Zertifikats im Jahr 2001 floriert die Bio-Welt in Deutschland. Unzählige verschiedene Biosiegel preisen eine gesunde Ernährung an und nicht jede davon hält, was sie verspricht (siehe Infokasten).
Überall gibt es Bio-Märkte, ÖkoEcken in Supermärkten und speziell eingerichtete Reformhäuser. Meldungen über Pestizide im Gemüse und Antibiotika in der Massentierhaltung lassen die Nachfrage immer weiter steigen. Der BioTrend begeistert in Deutschland vor allem die jüngeren Generationen, wie eine Studie im Auftrag des Bundesverbrauchsministeriums ergab. Ergebnis: Fast jeder Vierte der unter 30Jährigen greife nach eigenen Angaben häufig zu Produkten aus ökologischem Anbau.
Keine Spur davon in der Türkei. „Unsere Märkte besuchen vor allem Kranke, Schwangere und Familien mit Kleinkindern“, erzählt Muttalip Bolova, ein Bio-Händler, der seit der Gründung des Marktes dort verkauft. „Bevor ich als Biobauer angeworben und ausgebildet wurde, wusste ich gar nicht was Bio ist“, sagt der 66-Jährige. Sein voller Tisch am Marktende zeigt, dass er damit nicht alleine ist. Für die allermeisten Türken ist Bio ein Fremdwort. Deswegen muss das Umweltbewusstsein der Einwohner derzeit auch von oben erzeugt werden. „Wir haben mit der Förderung von Bio begonnen, als wir erkannt haben, dass wir etwas gegen verschmutztes Ackerland und verseuchtes Wasser unternehmen müssen“, erklärt Azmi Akbaytürk von der Stadtverwaltung Izmir. Inzwischen würden die Bauern nicht nur Knowhow erhalten, sondern auch direkte finanzielle Hilfe: beim Saatgut, beim Dünger, bei der Vermarktung. Die Stände auf dem Bio-Markt in Izmir sind kostenlos.
„Alles aus Liebe zur Umwelt und aus Verantwortung für kommende Generationen.“So wirbt Edeka für seine Bioprodukte hierzulande. In Deutschland kommt das Biomarketing nicht zu kurz. Durch aufwendige Strategien und alltägliche Präsenz der Bio-Lebensmittel ist der gesunde
„Bevor ich als Biobauer angeworben und ausgebildet wurde, wusste ich gar nicht was Bio ist.“
Biohändler Muttalip Bolova aus Izmir
Lebensstil so beliebt wie nie zuvor.
„Was? Hier gibt es einen BioMarkt?“, fragt Asrin Kuleli in Izmir erstaunt. Die 17-jährige Schülerin wohnt schon seit einigen Jahren in Karshyaka, wo wöchentlich ein BioMarkt stattfindet. Von diesem hat sie, wie die meisten Bewohner des Stadtteils, noch nie gehört. Plakate und Werbeanzeigen sucht man in Izmir vergeblich.
Deutschlands Bio-Problem hingegen liegt nicht in der Nachfrage. Im Gegenteil: Der Ökolandbau in Deutschland hinkt der steigenden Nachfrage nach Biolebensmitteln hinterher. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft werden nur sechs Prozent der Äcker in Deutschland ökologisch bewirtschaftet. Die dabei entstehende Lücke im Angebot wird durch importierte Ware aus der ganzen Welt geschlossen. In der schillernden Biowelt bei Edeka sind beispielsweise auch rote Granatäpfel und süße Feigen zu finden. Herkunftsland: Türkei.
Bio-Export boomt in der Türkei
Dementsprechend boomt Bio in der Türkei vor allem beim Export, etwa 80 Prozent der Bioerzeugnisse werden ins Ausland exportiert, bei vielen Produkten ist das Land sogar BioWeltmeister. So wird zum Beispiel die größte Menge an Öko-Baumwolle in der Türkei gepflückt. „Die Schattenseite dieser an sich ja schönen Entwicklung ist, dass unsere heimische Biobranche darunter leidet“, sagt Melek Gültekin, Expertin für nachhaltige Entwicklung. Für die Händler ist das Geschäft mit dem Ausland nämlich ertragreicher, als vor Ort zu verkaufen. Die Biopreise, die Deutschland zahlt, können sich dort nicht viele leisten. Stattdessen treten umweltschonende Produkte eine lange Reise an und verschlechtern so wieder ihre Ökobilanz. Das ist die Kehrseite der globalisierten Biowelt.