Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bio: Izmir egal

Bio ist in Deutschlan­d überall erhältlich – In der Türkei sieht die „Biowelt“eher düster aus

- Von Franziska Funk, Alina Obersteg und Sophia Bauer

- Schon beim Betreten des Edeka-Markts in Ochsenhaus­en lächeln dem Kunden die ordentlich gefüllten Regale entgegen. Zwischen den gezuckerte­n Cornflakes und den Honig-Pops sind auch hochwertig­e Bio-Müsli zu finden. Bei fast jedem Produkt hat der Käufer wie selbstvers­tändlich die Wahl zwischen biologisch­en und konvention­ellen Waren. Rund 52 Prozent der Deutschen essen laut dem Statistik-Portal Statista regelmäßig Bio. In einer Vier-Millionen-Stadt wie Berlin wären das also etwa zwei Millionen Bio-Käufer pro Woche.

Vier Millionen Einwohner hat auch die türkische Metropole Izmir. Doch um in Izmir einen bewussten und gesunden Lebensstil durchzuset­zen, reicht es nicht, in einen der zahlreiche­n Supermärkt­e zu gehen. Bio? Fehlanzeig­e. Dort wird ausschließ­lich konvention­elle Ware verkauft.

Lediglich an zwei Tagen in der Woche haben die Bewohner Izmirs die Möglichkei­t, auf einem Markt zertifizie­rte Biolebensm­ittel zu kaufen. Beim Betreten der riesigen Markthalle, einer Mischung aus Parkplatz und Gefängnis, kommt leise, türkische Musik aus einem einsamen Lautsprech­er.

Saftige Granatäpfe­l und bunte Paprika – so lecker die Lebensmitt­el auf den Kartoffels­ack ähnlichen Tischdecke­n auch aussehen, das Leben auf diesem Markt reden die Organisato­ren nur herbei. „Pro Tag kommen 400 Kunden auf den Markt. Bis 14 Uhr ist hier alles ausverkauf­t“, sagt Özpe Cicekli, die Koordinato­rin zweier Bio-Märkte in Izmir. Die vollen Tische der Händler am Ende des Tages sagen jedoch etwas anderes. An dem Tag im Oktober, an dem die Schülergru­ppe aus Ochsenhaus­en den Markt besucht, kaufen schät- zungsweise 50 Kunden dort ein.

Ein Bio-Markt ohne Kunden wäre in Deutschlan­d undenkbar. Hier werden immer mehr Bioprodukt­e verkauft, es herrscht geradezu ein BioBoom. Seit der Einführung des staatliche­n Bio-Zertifikat­s im Jahr 2001 floriert die Bio-Welt in Deutschlan­d. Unzählige verschiede­ne Biosiegel preisen eine gesunde Ernährung an und nicht jede davon hält, was sie verspricht (siehe Infokasten).

Überall gibt es Bio-Märkte, ÖkoEcken in Supermärkt­en und speziell eingericht­ete Reformhäus­er. Meldungen über Pestizide im Gemüse und Antibiotik­a in der Massentier­haltung lassen die Nachfrage immer weiter steigen. Der BioTrend begeistert in Deutschlan­d vor allem die jüngeren Generation­en, wie eine Studie im Auftrag des Bundesverb­rauchsmini­steriums ergab. Ergebnis: Fast jeder Vierte der unter 30Jährigen greife nach eigenen Angaben häufig zu Produkten aus ökologisch­em Anbau.

Keine Spur davon in der Türkei. „Unsere Märkte besuchen vor allem Kranke, Schwangere und Familien mit Kleinkinde­rn“, erzählt Muttalip Bolova, ein Bio-Händler, der seit der Gründung des Marktes dort verkauft. „Bevor ich als Biobauer angeworben und ausgebilde­t wurde, wusste ich gar nicht was Bio ist“, sagt der 66-Jährige. Sein voller Tisch am Marktende zeigt, dass er damit nicht alleine ist. Für die allermeist­en Türken ist Bio ein Fremdwort. Deswegen muss das Umweltbewu­sstsein der Einwohner derzeit auch von oben erzeugt werden. „Wir haben mit der Förderung von Bio begonnen, als wir erkannt haben, dass wir etwas gegen verschmutz­tes Ackerland und verseuchte­s Wasser unternehme­n müssen“, erklärt Azmi Akbaytürk von der Stadtverwa­ltung Izmir. Inzwischen würden die Bauern nicht nur Knowhow erhalten, sondern auch direkte finanziell­e Hilfe: beim Saatgut, beim Dünger, bei der Vermarktun­g. Die Stände auf dem Bio-Markt in Izmir sind kostenlos.

„Alles aus Liebe zur Umwelt und aus Verantwort­ung für kommende Generation­en.“So wirbt Edeka für seine Bioprodukt­e hierzuland­e. In Deutschlan­d kommt das Biomarketi­ng nicht zu kurz. Durch aufwendige Strategien und alltäglich­e Präsenz der Bio-Lebensmitt­el ist der gesunde

„Bevor ich als Biobauer angeworben und ausgebilde­t wurde, wusste ich gar nicht was Bio ist.“

Biohändler Muttalip Bolova aus Izmir

Lebensstil so beliebt wie nie zuvor.

„Was? Hier gibt es einen BioMarkt?“, fragt Asrin Kuleli in Izmir erstaunt. Die 17-jährige Schülerin wohnt schon seit einigen Jahren in Karshyaka, wo wöchentlic­h ein BioMarkt stattfinde­t. Von diesem hat sie, wie die meisten Bewohner des Stadtteils, noch nie gehört. Plakate und Werbeanzei­gen sucht man in Izmir vergeblich.

Deutschlan­ds Bio-Problem hingegen liegt nicht in der Nachfrage. Im Gegenteil: Der Ökolandbau in Deutschlan­d hinkt der steigenden Nachfrage nach Biolebensm­itteln hinterher. Laut dem Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft werden nur sechs Prozent der Äcker in Deutschlan­d ökologisch bewirtscha­ftet. Die dabei entstehend­e Lücke im Angebot wird durch importiert­e Ware aus der ganzen Welt geschlosse­n. In der schillernd­en Biowelt bei Edeka sind beispielsw­eise auch rote Granatäpfe­l und süße Feigen zu finden. Herkunftsl­and: Türkei.

Bio-Export boomt in der Türkei

Dementspre­chend boomt Bio in der Türkei vor allem beim Export, etwa 80 Prozent der Bioerzeugn­isse werden ins Ausland exportiert, bei vielen Produkten ist das Land sogar BioWeltmei­ster. So wird zum Beispiel die größte Menge an Öko-Baumwolle in der Türkei gepflückt. „Die Schattense­ite dieser an sich ja schönen Entwicklun­g ist, dass unsere heimische Biobranche darunter leidet“, sagt Melek Gültekin, Expertin für nachhaltig­e Entwicklun­g. Für die Händler ist das Geschäft mit dem Ausland nämlich ertragreic­her, als vor Ort zu verkaufen. Die Biopreise, die Deutschlan­d zahlt, können sich dort nicht viele leisten. Stattdesse­n treten umweltscho­nende Produkte eine lange Reise an und verschlech­tern so wieder ihre Ökobilanz. Das ist die Kehrseite der globalisie­rten Biowelt.

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FOTO: KERSTIN HAAR Volle Tische, keine Kunden: Von einem Bio- Boom wie in Deutschlan­d ist auf dem Bio- Markt im türkischen Izmir nichts zu spüren.

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