Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Leben im Camper
Weingartener Architektin lebt ihren Traum und verbindet eine gesellschaftliche Vision
WEINGARTEN - „Ich hab die Blumen weggeworfen und die Katzen verschenkt. Lass uns aufbrechen, Baby!“Nein, so einfach wie in diesem Lied von Dota Kehr, ist es bei Isabel Zintl nicht gelaufen. Die gebürtige Weingartenerin hat die Entscheidung vor zwei Jahren ganz bewusst getroffen, mit ihrer Familie in einem Camper zu leben und durch Europa zu ziehen. „Ich wollte nicht immer von einem anderen Leben träumen“, sagt die Architektin. „Ich wollte es tun.“Und das mit aller Unsicherheit, wie das sein wird. Doch die 34-Jährige will damit die Gesellschaft verändern.
Eine Wissenschaftlerin, die im Wohnmobil lebt. Geht das? „Ja, es geht“, sagt sie. „Wenn man sich traut, das zu tun, was man sich wünscht, dann geht das. Und ich kann nur sagen: Es ist toll!“Ihr Mann ist Fotograf und ist ebenfalls ortsunabhängig.
In gewisser Weise hat die CoronaPandemie zu der Entscheidung beigetragen, sich nun unabhängig zu machen. Sie kann ihre Seminare per Zoom anbieten und weiter wissenschaftlich arbeiten. Es braucht dafür keinen fest Ort. Auch die Geburt ihrer Tochter spielte eine Rolle. „Wir saßen davor in einer sehr, sehr teuren Wohnung in Berlin“, erzählt die 34-Jährige. „Es war klar, ich werde sehr viel arbeiten müssen, damit wir uns diese Wohnung leisten können, und sehe dann meine Tochter nicht aufwachsen.“Das habe sie depressiv gemacht. Nein, das ist es nicht, sagte sie sich. „Jetzt lebe ich meine tiefste Sehnsucht, und dann schauen wir mal, was passiert.“
Ein Leben im Camper, war schon immer ein Traum von Isabel Zintl: „Einfach so lange fahren, bis ich nicht mehr möchte.“Das Familienleben ist dadurch sehr intensiv. „Wir sind die ganze Zeit zusammen und machen alles allein ohne Unterstützung durch die Großeltern“, sagt sie. Noch hat sie einen festen Wohnsitz. Ihre Familie ist bei den Eltern in Weingarten gemeldet. Aber ihr Heim ist ein kleines Wohnmobil, „unser kleines Refugium, in den man gut leben kann“, wie sie sagt. Dies meiste Zeit halten sie sich draußen auf. Im Winter sind sie in Portugal oder Spanien.
Bis zum Alter von 20 Jahren lebte sie in Weingarten. Zunächst war sie auf der Realschule und hat sich ziemlich schwer getan. Sie ist Legasthenikerin. Danach war sie an der EdithStein-Schule und hat eine Ausbildung als Floristin gemacht. Dann folgte das Fachabitur. Zunächst hat sie an der Uni in Stuttgart studiert und dann mit Mitte zwanzig Stadtplanung unterrichtet. Anschließend ging sie zum Promovieren nach München.
„Ich bin promovierte Legasthenikerin“, sagt sie und lacht. „Das hätte ich mir nie träumen lassen.“„Vertikale Freiräume“ist der Titel ihrer Doktorarbeit, ein passendes Thema zu ihrem selbstbestimmten Leben, weil sie sich darin mit Architektur und Freiräumen beschäftigte. „Wenn man über die Zukunft der Stadt nachdenkt, denkt man auch über sein persönliches Leben nach“, sagt sie. „Das lässt sich gar nicht verhindern.“
Und wie sieht die Stadt der Zukunft ihrer Meinung nach aus? „Wir brauchen viel, viel mehr Grünraum“, sagt sie. Es gebe ja derzeit massive Probleme mit Hitze und Feinstaub in der Stadt. Beim Bau von neuen Gebäuden würden Ressourcen verschwendet. Wenn man in Freiräumen denke, gehe es darum, Bestehendes umzugestalten und weniger neu zu bauen. Der Bausektor macht derzeit laut UNO-Bericht 38 Prozent des CO2-Ausstoßes aus. Deshalb ihr Plädoyer für den Freiraum.
Dazu brauche es aber einen radikalen Wandel, ein radikales Umdenken. Und zwar in allen Bereichen. Wenn sich nichts ändert, sehe die Zukunft ziemlich trübe aus, um nicht zu sagen dystopisch, sagt sie. Kurz, eine Welt in der Menschen unter schrecklichen Bedingungen leben. „Was mich erschreckt, ist, dass sich junge Frauen gegen Kinder entscheiden, weil sie die Prognosen ernst nehmen, die eine Dystopie vorhersagen. Auch in meinem Bekanntenkreis“, sagt sie.
Gerade auch weil sie selbst Mutter ist, sei es für sie eine große Antriebskraft für eine andere, lebenswerte Welt zu arbeiten. In der Mutterschaft sieht sie eine große Antriebskraft für eine Wende, für
Veränderung. „Ich möchte, dass meine Tochter Zukunft hat“, sagt sie. „Deshalb schreibe ich Plädoyers für Freiräume.“Das Leben im Camper ist ein Teil davon.
Zintl arbeitet auch als Mentorin und gibt Seminare, in denen sie Menschen in die Freiheit begleitet, wie sie es bezeichnet. Darin geht es vor allem darum, dass Veränderung vor allem bei einem selbst beginnt. „Das ist meine Vision“, sagt sie, „dass Nachhaltigkeit erst einmal in uns selbst anfängt.“Sie vergleicht das mit einem inneren Hausbau. Wenn das jeder begreife, dann sei eine bessere Welt möglich. Man hat früher viel mehr repariert: Häuser, Gegenstände, Kleidung bis es eben nicht mehr ging. Das ist dann für Zintl eine naturnähere Lebensweise, zu der man auch heute zurückkehren könne.
Zwei Jahren ist die kleine Familie jetzt unterwegs. In Berlin hat sie eine Zweizimmerwohnung im Hinterhof 1200 Euro gekostet. Eine Dreizimmerwohnung wäre um ein Vielfaches teurer gewesen. Jetzt – im Camper – ist das Leben günstiger. In Portugal beispielsweise kostet die Miete für einen Campingplatz 200 bis 300 Euro pro Monat. „Wenn du jemanden kennst, ist es für ein bisschen Hilfe kostenlos“, sagt Zintl. Seit zwei Monaten leben sie in der Nähe von Genua. In Italien ist das Leben zwar treuer, aber Zintl kann es sich leisten nur zwei Tage pro Woche zu arbeiten. Spätestens im Jahr 2023 zieht es sie nach Venedig. Dort hat sie ein Stipendium am Deutschen Studienzentrum bekommen. Leben wird die Familie aber weiterhin im Camper.