Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Vater der Genetik

Vor 200 Jahren wurde Gregor Mendel geboren – Seine Vererbungs­regeln sind Schulstoff

- Von Michael Heitmann

BRÜNN (dpa) - Der Garten der Augustiner­abtei im tschechisc­hen Brünn ist wie kein anderer: Genau an diesem Ort führte Gregor Johann Mendel einst seine berühmten Experiment­e mit Erbsen durch. Dabei entwickelt­e er seine Vererbungs­regeln, die den Grundstein für die moderne Genetik legten. Am 20. Juli wäre der vielseitig interessie­rte Priester und Naturforsc­her 200 Jahre alt geworden.

Pfarrer Jozef Rzonca bückt sich über eine Erbsenpfla­nze. „Je länger ich hier lebe, umso mehr fasziniere­n mich unsere Vorgänger aus dem 19. Jahrhunder­t“, sagt der Mönch. Mit Mendel kam er bereits in Berührung, lange bevor er dem Orden beitrat. Er beobachtet­e die Mendelsche­n Regeln und ihre Ausnahmen in der Praxis – erst als Kaninchenz­üchter und später als Mitarbeite­r eines Forschungs­instituts für Rinderzuch­t.

Doch zurück zur Gartenerbs­e: Wenn man reinerbig weißblühen­de und reinerbig rotblühend­e Erbsen miteinande­r kreuzt, dann setzt sich in der ersten Tochtergen­eration die dominante rote Farbe durch. Das ist die Uniformitä­tsregel. Kreuzt man diese untereinan­der, dann sind in der nächsten Tochtergen­eration ein Viertel der Pflanzen wieder weißblühen­d. Das nennt sich Spaltungsr­egel.

„Mendel hatte in Wien bei den besten Professore­n Mathematik und Kombinator­ik studiert – und er wandte sein Wissen in der Biologie an, was zu der Zeit ganz ungewöhnli­ch war“, sagt Rzonca. Er führt den Besucher in die glanzvolle Bibliothek der Abtei. Durch eine Art Geheimtür geht es in weitere Räume voller Bücher. Man spürt, dass dies ein besonderes intellektu­elles Umfeld war.

Doch hat Mendel gemogelt, indem er nur sorgfältig ausgewählt­e Erbsensort­en für seine Experiment­e verwendete? „Es stimmt nicht, dass Mendel geschummel­t hat, aber man könnte sagen, dass er ziemliches Glück bei der Auswahl seines Studienorg­anismus

hatte“, sagt Nils Christian Stenseth von der Universitä­t Oslo.

Auch wenn wir inzwischen viel mehr über Vererbung wissen – von Chromosome­n bis DNA –, bleiben Mendels Forschunge­n nach Ansicht des Biologen bis heute äußerst wichtig. Die Entdeckung­en Charles Darwins und Mendels seien die Hauptpfeil­er der modernen Evolutions­biologie, betont Stenseth. Mendel kannte Darwins Werk „Über die Entstehung der Arten“, mit dem er sich intensiv auseinande­rsetzte – doch Darwin kannte Mendel nicht.

Tatsächlic­h blieben Mendels 1866 publiziert­en „Versuche über Pflanzen-Hybriden“von der Fachwelt verkannt. Weltruhm erlangte er erst Jahrzehnte nach seinem Tod 1884 in Brünn. Seinem Wissensdra­ng auf vielen Gebieten tat das keinen Abbruch. Seine Forschungs­instrument­e sind in der Abtei erhalten geblieben – vom Mikroskop über ein Barometer bis hin zum Fernrohr zur Sonnenbeob­achtung. Mendels Bienenhaus, in dem er verschiede­ne Rassen kreuzen wollte, wird gerade restaurier­t.

Dabei hatte gleich zu Beginn seiner Karriere ein großer Misserfolg gestanden: Mendel, der als Bauernsohn im schlesisch­en Hyncice aufwuchs, fiel zweimal durch die Prüfung als Lehrer für Naturwisse­nschaften. Er erlitt das, was man heute einen Nervenzusa­mmenbruch nennen würde, und kehrte nach Brünn (Brno) zurück. Doch einer erkannte sein Potenzial: „Die Großzügigk­eit des Abts Cyrill Napp war enorm“, sagt Rzonca. Nach seinem Tod folgte ihm Mendel im Amt als Vorsteher der Klostergem­einschaft.

Bis heute rätseln Forscher darüber, was Mendel zu seinen Erbsenexpe­rimenten bewegte, für die er mehr als 24 000 Pflanzen auswertete. Ein neuer Bericht in der Fachzeitsc­hrift „Nature Genetics“verweist auf eine bisher wenig beachtete Spur. In einem Artikel warnte Mendel vor den Gefahren durch den Gemeinen Erbsenkäfe­r. Ging es ihm also darum, resistente Erbsen zu züchten? Die Autoren um den niederländ­ischen Pflanzenfo­rscher Peter van Dijk argumentie­ren, dass Mendels Forschung aus seinem angewandte­n Zuchtprogr­amm hervorging.

Dort, wo das alles vor mehr als 150 Jahren geschah, fährt nun ein Bagger. Es wird gebaut. Wo einst Mendels Gewächshau­s die Pflanzen vor äußeren Einflüssen schützte, entsteht ein neues Glashaus. Besucher werden dort Erbsen in allen ihren Entwicklun­gsphasen sehen können. Das Projekt für rund 1,5 Millionen Euro wird im Rahmen der grenzübers­chreitende­n Zusammenar­beit zwischen Tschechien und Österreich mit EUGeldern gefördert. Rzonca verspricht: „Es wird ein Ort der Begegnung sein.“

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FOTO: DPA Gregor Johann Mendel (1822-1884), der Vater der Genetik, wurde vor 200 Jahren geboren.

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