Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Beim DFB ist viel zu verändern“
Neu-TV-Experte Uli Hoeneß spricht über die Nationalmannschaft, Bundestrainer Löw und eine Müller-Rückkehr
DÜSSELDORF (dpa) - Uli Hoeneß hat einen neuen Job. Der Ehrenpräsident des FC Bayern München wird bei den drei WM-Qualifikationsspielen der Nationalmannschaft gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien als RTL-Experte auftreten. „Mich reizt das ungemein“, sagt Hoeneß im Interview mit Klaus Bergmann. Er will sagen, was Sache ist, auch im Gespräch mit Bundestrainer Joachim Löw. Schon jetzt spricht er Klartext in Sachen Thomas Müller und Hansi Flick.
Mit 69 Jahren machen Sie noch einmal etwas Neues und werden als RTL-Experte die anstehenden Länderspiele verbal begleiten. Was ist Ihre Motivation? Ist Ihnen nach dem weitgehenden Rückzug beim FC Bayern ein wenig langweilig geworden am Tegernsee?
Das kann ich nicht behaupten. Aber es gibt einige Gründe, warum ich das mache. Erstens hat RTL unheimlich um mich geworben. Anfangs dachte ich, nein. Nach längerem Überlegen habe mir dann gedacht, warum eigentlich nicht. Mich reizen Herausforderungen. Ich habe so etwas noch nie gemacht, und die, die es gemacht haben, habe ich belächelt. Darum habe ich mich auch erst mal nur für drei Spiele verpflichten lassen, auch wenn die Herrn von RTL gleich ein paar Spiele mehr vereinbaren wollten.
Warum noch?
Es gibt auch ein gutes Honorar. Und da ich meine außerordentlichen Einkünfte spende und durch die Pandemie Vorträge und dergleichen wegfallen, sind die Stiftungen, die ich mit diesem Geld sonst bediene, etwas zu kurz gekommen. So habe ich jetzt eine wunderbare Gelegenheit, das Honorar für die drei Spiele an drei Stiftungen zu spenden.
Sie standen und stehen für Klartext: Blüht Joachim Löw jetzt die Abteilung Attacke?
Nein. Erstens bin ich kein Kommentator während des Spiels, sondern schaue es mir im Studio zusammen mit Moderator Florian König an. Wir werden vor dem Anpfiff über die Situation des deutschen Fußballs sprechen, in der Halbzeitpause und nach dem Spiel. Da werden wir dann auch ein Gespräch mit Jogi Löw führen. Und da werde ich sagen, was ich gesehen habe. Ich werde mich sicherlich auch mit der aus meiner Sicht schwierigen Situation beim DFB beschäftigen. Ich sehe es als großes Problem an, was da im Moment passiert.
Worüber wollen Sie noch reden?
Wir müssen auch mal über den Nachwuchsfußball nach der Pandemie sprechen. Da brechen im Moment viele Dämme. Jugendliche treten aus den Vereinen aus, weil sie keine Möglichkeit mehr haben, Fußball zu spielen. Wie geht es da weiter? Was macht der DFB? Was können wir als Profivereine tun? Rund um das Länderspiel gibt es also viele Themen zu besprechen.
Sie wollen lieber über das große Ganze reden als über falsche Neuner und Gegenpressing?
Das sollen Kommentator Marco Hagemann und der ehemalige Nationalspieler Steffen Freund als Co-Kommentar während des Spiels machen. Ich werde eher den Einsatz der Spieler bewerten und ob nach dem 0:6 in Spanien ein Aufwärtstrend zu sehen ist. Ich will das gerne positiv begleiten, weil ich sehr daran interessiert bin, dass der deutsche Fußball vorankommt. Denn die Bundesliga lebt von der Nationalmannschaft – zumindest war das lange so. Es muss darüber gesprochen werden, was man tun kann, um die Attraktivität der Nationalmannschaft zu verbessern und ihr wieder den Stellenwert in der Gesellschaft zu geben, den sie verdient.
Was hat denn Ihre Frau zu Ihrer neuen Aufgabe gesagt?
Die hat ein bisschen den Kopf geschüttelt und gesagt, ob mir langweilig sei, so wie Sie es auch gefragt haben (lacht). Aber sie kennt mich ja! Ich habe manchmal verrückte und auch spontane Ideen. Mich reizt das jetzt ungemein. Wer aber glaubt, dass ich alles in Schutt und Asche rede, der täuscht sich. Ich will konstruktiv und kritisch, aber – wenn möglich – auch positiv die Länderspiele begleiten.
Joachim Löw hat seinen Rückzug als Bundestrainer nach der EM im Sommer angekündigt. Wie bewertet Sie diese Entscheidung?
Ich habe sie sehr begrüßt, weil Jogi damit das Heft des Handelns wieder in die Hand bekommen hat. Er wäre doch zum Spielball geworden. Nach jedem Länderspiel hätte man die Trainerfrage gestellt. So hat er Fakten und klare Verhältnisse geschaffen. Das ist für ihn und für sein Nervenkostüm, nachdem was er geleistet hat, eine gute Lösung. Ich finde es auch gut, dass er das frühzeitig angekündigt hat. Jetzt kann sich der DFB in aller Ruhe um die Nachfolge kümmern. Ich bin überzeugt, dass beim DFB ohnehin viel zu verändern ist – nicht nur der Bundestrainer.
Was erwarten Sie vom Nationalteam in den anstehenden Partien?
Ich bin überzeugt, dass die Mannschaft viel besser spielen wird als zuletzt. Ich erinnere an die Überbelastung der Spieler vom FC Bayern im vergangenen Herbst. Teilweise waren sie gar nicht dabei oder verletzt. Ich kenne ja meine Münchner Pappenheimer, die sind auch im Nationaltrikot sehr ehrgeizig. Und wenn die sich mal alle wieder richtig reinhängen, dann wird das schon gut werden.
Ist Löws Team aktuell ein Titelkandidat bei der EM?
Nein. Man kann nicht 0:6 in Spanien verlieren und dann sagen, zur EM fahre ich als Favorit. Aber Deutschland als Außenseiter ist vielleicht auch mal eine gute Ausgangsposition.
Corona hat Europa weiter fest im Griff. Halten Sie da eine EM in zwölf Ländern, noch dazu mit Zuschauern, wie vom UEFA-Präsidenten jüngst gefordert, für eine angesagte Lösung?
Ich kann mir derzeit kaum vorstellen, dass sich das in zwölf Ländern realisieren lässt. Wir müssen abwarten, wie sich die Inzidenzwerte entwickeln. Auch die Zuschauerfrage kann sich nur dann positiv entwickeln, wenn die Werte bis zum Turnier so sind, dass keine Gefahr für die Zuschauer besteht. Das ganze Geschäftliche muss hinten anstehen.
Sieben Bayern-Profis stehen in Löws Kader. Über einen, der nicht dabei ist, wird heiß debattiert: Thomas Müller. Glauben Sie, dass ihn Löw für die EM zurückholt?
Jogi Löw kennt meine Meinung. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die deutsche Nationalmannschaft bei der EM mit Thomas Müller spielen wird. Man kann ja nicht auf einen Spieler verzichten, der in der Bundesliga und in der Champions League eine prägende Figur ist beim FC Bayern. Es geht ja nicht um eine Nachwuchsmannschaft, die man aufbauen muss, sondern um eine Mannschaft, die etwas gewinnen soll. Gerade jetzt, wo es das letzte Turnier von Jogi Löw ist, müssen die Besten spielen. Und Thomas gehört zweifellos zu den Besten in Deutschland.
Was würden Sie nach der EM von einem Trainertausch halten: Flick zum DFB und Löw zum FC Bayern?
Naja, jetzt wollen wir uns nicht die Köpfe der anderen zerbrechen. KarlHeinz Rummenigge hat sich ja ziemlich festgelegt, was Hansi Flick anbelangt. Und dem ist im Moment nichts hinzuzufügen.