Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der lange Weg zurück zur Normalität
Amokfahrt von Trier beschäftigt auch Monate danach Überlebende und Zeugen ebenso wie Seelsorger und Krisenhelfer
TRIER (KNA) - Strahlender Sonnenschein lässt die Trierer Innenstadt Anfang März leuchten. Schwarz ragt die Porta Nigra, das Wahrzeichen der Stadt, am Ende der Fußgängerzone auf. Mit den Lockerungen füllt sich die Innenstadt täglich mehr mit Passanten. Auf dem Weg in die Fußgängerzone schlendern Menschen über den Vorplatz der Porta, wo in der rechten Ecke ein Kranz mit roten und gelben Blumen steht – Kerzen davor bilden ein Herz. Ein provisorischer Gedenkort, der 100 Tage später an die Opfer der Amokfahrt vom 1. Dezember erinnert.
An diesem Tag tötete ein 51 Jahre alter Mann bei einer Amokfahrt durch die Fußgängerzone gezielt Menschen und verletzte zahlreiche weitere. Fünf Menschen starben; ein neun Wochen altes Baby, der 45 Jahre alte Vater sowie drei Frauen im Alter von 25, 52 und 73 Jahren. Viele wurden verletzt, teilweise sehr schwer. Mindestens 300 Menschen, die an dem Nachmittag in der Stadt unterwegs waren und die Tat miterlebten, erlitten nach Angaben der Stadt psychische Verletzungen.
Bis heute ist das Motiv des Täters unklar. Politische oder religiöse Gründe schließt die Staatsanwaltschaft aus. Klar ist aber, dass der Täter mit der Amokfahrt mitten am Tag durch die beliebte Fußgängerzone auf das Herz der Stadt zielte. „Da hätte auch ich sein können“, so der Gedanke
vieler Trierer nach der Tat. Wochenlang zeugten an den Tatorten in der Innenstadt Blumen, Kerzen, Fotos, Briefe und Kuscheltiere von Fassungslosigkeit, Trauer und Anteilnahme. Diese kleinen Gedenkorte ließ die Stadt Mitte Januar auf Wunsch der Angehörigen abbauen. Die Stadt selbst erinnert mit ihrem geänderten Profilbild auf Twitter – schwarze Porta Nigra auf grauem Grund anstatt dunkellila und rot – weiter an den traurigen Tag.
Aber auch weniger sichtbar hat die Tat in der Stadt Spuren hinterlassen. Als „leiser und nachdenklicher“ beschrieb Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) seinen Eindruck zuletzt. Ein anderer, der die Stadt und die Menschen kennt, ist Pater Aloys Hülskamp. Viele Trierer kennen ihn als Seelsorger, der fast täglich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs ist. Auch Monate später werde er immer wieder auf den 1. Dezember angesprochen, sagt Pater Aloys. „Ich bin überzeugt, dass das Ereignis die Menschen noch jahrelang beschäftigen wird.“
Er selbst war am Tattag als Notfallseelsorger im Einsatz; einer derjenigen, bei denen Betroffene Fragen,
Sprachlosigkeit, Ängste äußern und über das Erlebte sprechen konnten. „Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen durch Hilfsangebote und Therapeuten gut aufgefangen wurden“, sagt der Salesianerpater. Von einigen habe er Telefonnummern aufgeschrieben und ein paar Tage später nachgefragt, wie es ihnen gehe.
Vielfach wurde nach der Amokfahrt der schnelle und professionelle Einsatz von Polizei, Feuerwehr und Krisenhelfern sowie die Solidarität in der Stadt gelobt. „Mich hat sehr beeindruckt, dass alle sich eingebracht haben“, sagt Pater Aloys. „Diese Erfahrung hat gut getan – wenn Not und Bedarf ist, stehen alle parat.“Oberbürgermeister Leibe sprach von zwei Geschichten; einer von „brutalstem Mord“und einer von Menschen, die einen „exzellenten Job gemacht“und geholfen haben.
Dazu trug auch der Opferbeauftragte der Landesregierung, Detlef Placzek, bei. Drei Telefonhotlines wurden für Betroffene eingerichtet, zudem übernahm das Land die Kosten für fünf Therapiestunden, vermittelte Therapieplätze, informierte über Hilfen und Entschädigung. Nun geht es um die langfristige Nachsorge. Diese Phase kann nach Worten des Opferbeauftragten mehrere Jahre dauern. Manche Zeugen merkten erst später, dass sie Hilfe brauchen, so Placzek.
Zu einem späteren Zeitpunkt soll es laut Stadt auch eine öffentliche Gedenkveranstaltung geben. Über Format und Zeitpunkt entscheiden demnach die Betroffenen. Auch lässt die Stadt nach der Amokfahrt das Sicherheitskonzept etwa mit Blick auf versenkbare Poller prüfen.
Ein erstes dauerhaftes Symbol der Trauer schufen Zeichner Johannes Kolz und Steinmetz Henning Wirtz mit einer weinenden Porta Nigra. Zeichnung und Skulptur stehen wenige Meter von der echten Porta entfernt im Stadtmuseum Simeonstift, durch eine Glasscheibe für jeden Passanten zu sehen.