Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Corona-Hotspot Schlachthof
Verband der Fleischwirtschaft weist pauschale Verurteilung der Branche zurück
Von Mischa Ehrhardt
FRANKFURT - Schlachthöfe sind zur Brutstätte des Corona-Virus mutiert. Das liegt vor allem an der Auslagerung von Arbeitsplätzen an Subunternehmen, die Billiglöhner aus osteuropäischen Staaten anstellen, die wiederum oft in engen Unterkünften leben müssen. Nun ist die Diskussion wieder entbrannt, wie man dieses Problem am besten lösen kann. Vorschläge reichen von strengeren Kontrollen über teureres Fleisch bis zu einem Ende der Leiharbeiterschaft und Mindestlöhnen.
Am Sonntag ist ein neuer Fall eines Covid-19-Infektionsherdes bekannt geworden. In diesem jüngsten Fall sind 92 Mitarbeiter eines Schlachthofes im niedersächsischen Dissen positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Für Infizierte wie deren Kontaktpersonen wurde Quarantäne verordnet, am Montag ist die Produktion in dem Schlachtbetrieb eingestellt worden. Damit ist das Problem fürs Erste gelöst. Für die Branche allerdings besteht es fort – und sei es in Form intensiver Diskussionen.
Hintergrund dieser Debatten sind die nun wieder deutlich sichtbar werdenden Missstände in der Fleischwirtschaft. In den vergangenen Wochen ist es bereits in mehreren Schlachtbetrieben zu CoronaAusbrüchen gekommen. Als Grund für die vielen Infektionen sehen Fachleute vor allem die beengte Unterbringung vieler Beschäftiger in der Fleischbranche an. Die oft bei Subunternehmern beschäftigten Arbeiter kommen häufig aus Ländern Osteuropas, verdienen wenig Geld und leben in Gemeinschaftsunterkünften. Die werden in vielen Fällen von den Subunternehmern selbst betrieben; in ihnen die notwendigen Hygiene-Bedingungen während der Corona-Pandemie einzuhalten ist Beobachtern zu Folge schwierig.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bekräftigte nun am Montag, in diesem Bereich „richtig aufräumen“zu wollen. „Jetzt ist Zeit zu handeln“, sagte Heil mit Blick auf die Arbeitsbedingungen und den Gesundheitsschutz. „Mittwoch ist der Tag der Entscheidung.“Das wiederum sehen andere als Verspätung nicht nur von Tagen. Die Beratungen innerhalb der Bundesregierung waren für Montag geplant, sind aber auf Mittwoch verschoben worden.
„Sämtliche Fakten über die unhaltbaren und menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen der mit Werkverträgen in deutschen Schlachthöfen Beschäftigten liegen seit Monaten und Jahren auf dem Tisch", erklärte der Vizechef der Gewerkschaft Nahrung-GenussGaststätten, Freddy Adjan. „Schlachthöfe sind inzwischen Hotspots der Coronavirus-Pandemie. Die Bundesregierung muss endlich handeln, um Beschäftigte und die Bevölkerung zu schützen.“
Minister Heil betonte, auch er sehe strukturelle Probleme der Fleischindustrie. Dazu gehörten Überbelegung und Wuchermieten bei Unterkünften, Verstöße gegen Corona-Hygieneregeln, Mindestlöhne und Arbeitszeitvorgaben. Eine Wurzel des Übels seien auch dubiose Vertragsstrukturen mit Sub-Unternehmern, die Kontrollen unmöglich machten.
Berichten zu Folge schlägt der Bundesarbeitsminister gegen diese Missstände ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen in Schlachthöfen vor. Mit Blick auf den Partner der großen Koalition sagte Heil aber, es gebe noch Gesprächsbedarf.
Die Grünen fordern hingegen eine grundlegende Reform der Fleischproduktion in Deutschland. Diese müsse unter anderem einen Mindestpreis für Tierprodukte, ein Verbot von Werkverträgen über Subunternehmen, bessere Haltungsbedingungen für Tiere, eine bessere Entlohnung der Mitarbeiter und eine Ausweitung der staatlichen Kontrollen umfassen.
Auch Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein plädierte für höhere Fleischpreise. Nüßlein sprach sich dafür aus, die Fleischpreise über die Mehrwertsteuer anzuheben. Der CSU-Vorstand wies diese Forderung allerdings zurück.
Die Linke sieht höhere Fleischpreise ebenfalls kritisch. „Die Preisdebatte der Grünen springt viel zu kurz und gibt moralisch implizit den Verbrauchern die Schuld“, sagte der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch der „Welt“. „Ich will keine soziale Spaltung über das Schnitzel“. Dennoch bewertet auch die Linke die Zustände in Schlachthöfen als skandalös und fordert einen Mindestlohn von zwölf Euro, bessere Arbeitsbedingungen, lückenlose Kontrollen und eine Abkehr von massenhaften Antibiotika.
Der Verband der Fleischwirtschaft weist eine pauschale Verurteilung der Branche zurück. Die bisher vorliegenden Zwischenergebnisse der behördlichen Untersuchungen hätten ergeben, dass „ein generelles Branchenproblem nicht existiert“. In einem Brief an die Verantwortlichen in der Bunderegierung schlägt die Fleischwirtschaft dennoch vor, die seit 2014 geltenden Selbstverpflichtungen für die Branche verbindlich einzuführen und in Hinblick auf die Unterbringung von Werkvertragsarbeitnehmern zu schärfen.