Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Mann mit dem Nagel
Der Künstler Günther Uecker wird 90 Jahre alt – Kriegserinnerungen brachten ihn zu seiner Kunstform
Von Leticia Witte
GDÜSSELDORF (KNA) - Sein Ding ist der Nagel. Mit Nägeln schuf er dreidimensionale Bilder, auf denen sie wogende Felder erzeugen. Auch strudelnde Kreise, federartige Gebilde, schattige Flächen, streng geometrische Formen. Es gibt Gegenstände und Möbel, von denen eine Kaskade aus Nägeln stürzt oder aus denen stachelige Stellen ragen. Damit wurde Günther Uecker berühmt. Er schuf auch Installationen und Performances, war Mitglied der Künstlergruppe „ZERO“und gestaltete sakrale Räume. Der 1930 im mecklenburgischen Wendorf geborene und in Düsseldorf lebende Künstler wird an diesem Freitag 90 Jahre alt.
Seine Kindheit und Jugend verbrachte Uecker auf der Halbinsel Wustrow in der Ostsee, wo sein Vater als Ingenieur auf einem Flugplatz arbeitete. 1949 ging Uecker für ein Malereistudium nach Wismar, bevor er später auf die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee wechselte. Anfang der 50er-Jahre dann der Schritt in den Westen: Von 1955 bis 1957 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf, an der er später, von 1974 bis 1995, als Professor lehrte.
Ende der 50er-Jahre gestaltete Uecker die Avantgardebewegung „ZERO“mit, die sich als Neuanfang und Bruch mit Konventionen verstand. Ebenfalls seit Ende der 50erJahre hantiert Uecker mit dem Nagel, der sein zentrales Instrument werden sollte.
Uecker nahm an unterschiedlichen Aktionen teil wie beispielsweise im Jahr 1968 der „Besetzung“der Kunsthalle Baden-Baden mit seinem Künstlerkollegen Gerhard Richter. „Im April 1968 lebten Richter und ich in der Kunsthalle Baden-Baden. Diese Ausstellung unseres persönlichen Lebensbereichs war ein Beispiel für die Auflösung bestehender Museumspraktiken.“
In Ueckers Arbeiten finden sich auch politische und gesellschaftliche Positionen. Nach der Atomkatastrophe
in Tschernobyl 1986 schuf er den Zyklus „Aschebilder“. Uecker sagte dazu einmal in einem Interview der „Rheinischen Post“zu seinem 80. Geburtstag: „Für den ,Aschemensch’ habe ich mich rücklings auf die Leinwand gelegt, wie ein Epileptiker meine Gefühle zum Ausdruck gebracht. Sprachlich konnte man das nicht zum Ausdruck bringen, damals. Das waren Empfindungshandlungen.“
In dem Interview erklärte er auch seine Bezüge zum Nagel. Im Zweiten Weltkrieg habe ihm die Sowjetarmee Angst gemacht. „Diese Sorge, dass meinen Schwestern und meiner Mutter etwas hätte passieren können, hat mich veranlasst, das Haus abzusichern, zu verbarrikadieren mit Balken und Stämmen. Von innen habe ich alles zugenagelt, die Fenster und Türen verrammelt.“
Auf die Frage, ob der Nagel somit eine existenzielle Bedeutung habe, antwortete Uecker: „Das war sicher eine Schlüsselerfahrung. Eine Verbindung zwischen dem Zarten und Bewahrenswerten der Prävention und der gewaltigen Schutzvorrichtung.“Und an anderer Stelle: „Anstatt eines Bleistifts habe ich dann einen Nagel eingeschlagen, der auch Schatten bildete, sodass es eine kosmische Verbindung gab wie mit einer Sonnenuhr.“Der Nagel sei sein „Zeichen“, sagte Uecker.
Bei dem Künstler finden sich auch Bezüge zur Religion. Zum Beispiel stellt seine Installation „Friedensgebot“Szenen aus Bibel, Thora und Koran nebeneinander. Außerdem erhielt er den Auftrag, nach dem Umzug der Hauptstadt nach Berlin den Andachtsraum im Reichstagsgebäude zu gestalten: Uecker schuf einen offenen und interreligiösen Raum der Stille und des Rückzugs.
Der Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse sowie auch des Staatspreises NRW sagte seinerzeit: „Ich denke: Der jüngste Tag ist immer jetzt. Und es ist der erste, der jüngste, im Gegensatz zu den gelebten Jahren.“Und er bekannte: „Ich wollte immer alt werden.“