Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Grammys und Kretschmänner
Dieser Tage wurden in Los Angeles die Grammy Awards verliehen, kurz Grammys genannt. Da darf man hier schon mal der Frage nachgehen, woher dieser Ausdruck für die begehrten Musikpreise eigentlich kommt. Ganz einfach: Pate stand das Grammophon, und ein kleines goldenes Grammophon ist auch die Siegestrophäe. Der Name Grammy geht auf gram zurück, die Kurzform von gramophone – im Englischen nur mit einem m. Grammophon nannte Emil Berliner sein 1887 erfundenes Wundergerät zunächst, später auch Schallplattenspieler. Warum Grammophon? Weil hier Töne quasi auf eine Scheibe geschrieben
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
wurden. Griechisch phone heißt Ton, gramma heißt Geschriebenes – und dieses Erbe lebt nun ausgerechnet in einem Begriff wie Grammy weiter, der symptomatisch ist für die heutige digitalisierte Musikwelt, in der man kaum mehr ans Schreiben denkt. Schreiben – ohnehin eine aussterbende Kulturtechnik? Da fällt einem unwillkürlich Ministerpräsident Kretschmann ein, der dieser Tage befand, in unserer digitalisierten Gesellschaft habe die Rechtschreibung an Bedeutung verloren. Man schreibe nur noch selten handschriftlich, und für das Eintippen von Text auf elektronischen Medien habe man schlaue Korrekturprogramme. Halten zu Gnaden, aber erstens ist deren Schläue immer noch begrenzt – was Kretschmann mittlerweile eingeräumt hat, und zweitens wird mit einer solchen Äußerung ohne Not der bislang doch geltende Konsens aufgekündigt, dass korrektes Schreiben eine über die Schule hinausreichende Grundkompetenz darstellt.
Wenn Kretschmann sich schon Gedanken über Orthografie macht, so gäbe es ein sehr lohnendes Betätigungsfeld: Zusammen mit seinen Amtskollegen aus den anderen Bundesländern könnte er für mehr Nachdruck bei der von Staats wegen vorgesehenen Weiterentwicklung der Rechtschreibreform sorgen, etwa in puncto Variantenschreibungen. Nur ein Beispiel für deren Aberwitz: die Zusammensetzungen mit hoch. Hochinteressant wird laut Regelwerk verbindlich zusammengeschrieben, desgleichen hochberühmt oder hocherfreut. Bei hochbeglückt jedoch hat man die Wahl: hoch beglückt ist ebenso korrekt. Und das gilt auch für hochbegabt/hoch begabt. Unbedingt getrennt schreiben muss man in dem Satz: „Trump will Importe hoch besteuern.“Danach sind diese Importe allerdings hoch besteuert oder hochbesteuert. Hier gelten wieder beide Varianten… Da mögen Sprachwissenschaftler noch so spitzfindige Erklärungen parat haben, für die überwältigende Mehrheit der schreibenden Bevölkerung sind diese nicht nachvollziehbar. Der schlimme Nebeneffekt: Wenn ich die Wahl habe zwischen mithilfe und mit Hilfe, warum dann nicht bei infolge? So fragt sich kopfschüttelnd der unbedarfte Zeitgenosse – und nimmt das alles fortan nicht mehr ernst.
Beim zuständigen Rechtschreibrat wird gerne darauf verwiesen, diese Varianten sollten ja nur zur Überprüfung dienen, wohin die Schreiber bei Ungereimtheiten der alten Rechtschreibung nach der Reform letztlich tendierten. Aber die fragwürdige Regelung hatte vor allem einen ganz anderen Grund: Da der 40-köpfige Rat aus sechs Ländern immer mit Zweidrittel-Mehrheit beschließen musste, entschied er sich bei Uneinigkeit schlichtweg für Varianten. Und die Leidtragenden des Wirrwarrs sind wir.
Aber das muss ja nicht so bleiben. Da wären hoch dosierte/hochdosierte Muntermacher von irgendwelchen Kretschmännern hochwillkommen – hochwillkommen verbindlich zusammengeschrieben.
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