Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Neues US-Werk für Hymer-Mobile
Die Erwin-Hymer-Gruppe und ihre US-Mutter Thor bauen in den USA eine gemeinsame Produktion für europäische Wohnmobile
BAD WALDSEE (ben) - Wohnmobile der Marke Hymer entstehen künftig auch in den USA: Zusammen mit seinem amerikanischen Mutterkonzern Thor baut der Bad Waldseer Fahrzeughersteller Erwin Hymer im USBundesstaat Indiana eine Produktion mit europäischen Herstellungsverfahren auf. Das teilte der US-Konzern am Donnerstag mit. Die Produktion der ersten Fahrzeuge werde für das vierte Quartal 2020 erwartet. Thor will etwa acht bis zehn Millionen Dollar investieren.
BAD WALDSEE/BRISTOL - Wenn amerikanische Marktführer von europäischen lernen wollen: Thor, der Mutterkonzern von Europas größtem Wohnmobilhersteller, der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) mit Sitz in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg), will in Zukunft auch in den USA Fahrzeuge anbieten, die nach europäischen Herstellungsverfahren gebaut sind. Dazu kündigte das US-Unternehmen am Donnerstag die Gründung der Tochter Hymer USA an.
Nach Angaben des Konzerns mit Sitz in Elkhart im US-Bundesstaat Indiana investiert Thor in diesem Jahr acht bis zehn Millionen Dollar in die Sanierung einer Werksanlage in der Stadt Bristol nahe der Thor-Zentrale, um dort im vierten Quartal eine Produktion von Wohnmobilen der Marke Hymer anlaufen zu lassen. „Die Innovationskraft, das Design und die Qualität, für die die Marke Hymer bekannt ist, wird den Kunden und Vertriebspartnern auch im nordamerikanischen Markt zugutekommen – und die führende Marktposition von Thor weiter stärken“, erklärte ThorChef Bob Martin.
Die neue Tochter soll die insbesondere am Stammsitz der EHG im oberschwäbischen Bad Waldsee erprobten Fertigungsabläufe übernehmen. Im Hinblick auf automatisierte Prozesse ist die US-Wohnmobilindustrie noch nicht so weit wie Hersteller in Europa. „Unsere europäischen Standorte und Produkte unterscheiden sich in vier Aspekten von den nordamerikanischen: einen hohen Automatisierungsgrad, besonders hohe Qualitätsstandards in Entwicklung und Fertigung sowie einen stärker ausgeprägten Lean ManagementAnsatz. Zudem ist Leichtbau ein wesentlich wichtigeres Thema in
Europa und daher als Konstruktionsprinzip viel stärker verankert“, sagte EHG-Vorstandschef Martin Brandt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die von Hymer USA gebauten Mobile werden im Vergleich zu den US-Modellen der verschiedenen Thor-Marken kleiner und kompakter sein. Brandt nennt den Aufbau einer gemeinsamen Wohnmobilproduktion von Thor und EHG „den nächsten logischen Schritt, nachdem der US-Konzern das oberschwäbische Traditionsunternehmen Anfang 2019 übernommen hat. „Wir freuen uns darauf, unsere europäischen Produkte und Arbeitsmethoden bald in Nordamerika einzuführen und sehen dies als große Auszeichnung und eine Entwicklung, auf die wir alle stolz sein können“, sagte der EHG-Chef weiter.
Sicherstellen, dass das neue Unternehmen die Methoden auch wirklich umsetzt, soll ein EHG-Experte, der seit sieben Jahren in Bad Waldsee arbeitet: der technische Geschäftsführer der EHG-Marke Hymer, Jochen Hein. Der Manager soll von September an den Produktionsstandort von Hymer USA in Briostol leiten. „Wir freuen uns sehr, einen so erfahrenen Kollegen für diese wichtige Position gewinnen zu können“, erklärte Brandt weiter. „Wir sehen auf dem nordamerikanischen Markt großes Potenzial für unsere europäischen Produkte, insbesondere in der Kategorie der multifunktionalen Fahrzeuge.“
Jochen Hein soll bei Hymer USA ein gemischtes Team aus EHG- und Thor-Mitarbeitern führen. Der USKonzern verspricht sich von der Zusammenarbeit „erhebliche Vorteile“, wie Thor-Chef Martin erklärt. „Jetzt beginnen wir, die gemeinsamen Talente unserer Unternehmen zu nutzen und bewährte Verfahren weltweit auszutauschen. Dadurch blicken wir optimistischer denn je in die Zukunft“, sagte Martin.
Heins Nachfolge bei Hymer am Stammsitz der EHG in Bad Waldsee wird Hans-Georg Rauh antreten. Der Manager bringe 20 Jahre Erfahrung im Bereich Produktentwicklung und Produktionsorganisation mit, wie es bei der EHG heißt. Unter anderem arbeitete der Manager für den Autozulieferer BOS mit Sitz in Ostfildern und den Spezialisten für Autoheizungssysteme WET Automotive aus dem bayerischen Odelzhausen. Zuletzt arbeitete Rauh als unabhängiger Unternehmensberater und Management-Coach.
Der US-Marktführer Thor hatte die EHG im Februar 2019 für rund 1,9 Milliarden Euro von Gerda Hymer, der Witwe des Firmengründers Erwin Hymer, und den Kindern Carolin und Christian gekauft. Nach finanziellen Unregelmäßigkeiten bei der Nordamerika-Tochter der EHG war dieser Teil des Unternehmens kurz vor Abschluss des Vertrags aus dem Geschäft herausgenommen worden. Die Familie Hymer veräußerte die Nordamerika-Sparte daraufhin wenige Monate später an die französische Rapido-Gruppe. Zusammen kommen Thor und die EHG auf einen Gesamtumsatz von knapp zehn Milliarden Euro und beschäftigen fast 25 000 Menschen.