Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Aus dem Skandal zu wenig gelernt
Der Vertrauensbruch könnte gar nicht schlimmer sein: Priester, Ordensleute und Diakone, die das Gute, also Glaube, Liebe und Hoffnung vorleben sollen, missbrauchen ihren Einfluss auf Kinder und Jugendliche: Sie prügeln, vergewaltigen ihre Opfer, quälen sie körperlich und seelisch.
Als vor zehn Jahren der Missbrauchsskandal ans Licht kam, war nicht abzusehen, dass – in Deutschland – jeder zwanzigste Gemeindepfarrer als Missbrauchstäter entlarvt werden sollte. 3677 Kinder konnten als Opfer ermittelt werden. Es wurden 1670 Täter identifiziert, die zwischen 1946 und 2014 aktiv waren.
Nach dem Vertrauensbruch erleidet die katholische Kirche bis heute einen bisher nie gekannten Vertrauensverlust: Nur noch 14 Prozent der Deutschen vertrauen der Institution. Nicht der Glaube an Gott ist ihnen abhandengekommen, sondern die Kirche hat sich aus ihrer Scharnierfunktion als Mittler zwischen Gott und den Menschen verabschiedet.
Doch die wahre Fallhöhe ist unbekannt, da wöchentlich neue, vertuschte Fälle aus der Vergangenheit aufgedeckt werden. Weiter wollen viele Amtsträger nur das erlittene Leid der Opfer anerkennen, nicht aber die eigene Schuld einräumen. Die Opfer wollen sie mit ein paar Euro abspeisen. Dass die Kirche sündig geworden ist, will mancher Bischof nicht eingestehen. Und um die von den Opfern geforderten Entschädigungen im sechsstelligen Bereich streitet man sich ausgiebig.
Erst unter politischem Druck entwickelte die Kirche Verhaltensregeln, Präventionskonzepte und Studien. Doch blieb die Lernkurve viel zu niedrig. Wie beschämend ist es, wenn zehn Jahre nach Aufdeckung des Skandals verschärfte Leitlinien zum Umgang mit Missbrauchsfällen aufgestellt werden und ein Betroffenenbeirat eingerichtet wird?
Nun soll der Synodale Weg in Richtung Umkehr führen. Doch vor der Umkehr muss die Kirche sicherstellen, dass Täterstrukturen zerschlagen und weiterhin ermittelte Täter nie wieder auf Kinder losgelassen werden. Nur so kann sie Vertrauen wiederherstellen.