Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Übers Datum wie ein Joghurt
Es gibt heutzutage kein ideales Alter mehr. Man ist immer schon drüber; wie ein abgelaufener Joghurt. Das ist leicht zu erkennen, an der erstaunlichen Karriere, die der Buchstabe „Ü“in den letzten Jahren hingelegt hat: Es gibt „Ü20“-, „Ü30“-, Ü40-“und „Ü50“Parties. Uli Boettcher hat den Lebensaltern „Ü40“und „Ü50“zwei ganze Kabarettprogramme gewidmet. Beide handeln davon, was im jeweiligen „Ü“-Alter körperlich nicht mehr geht und welche Illusionen man sich abgeschminkt hat. Mit jeder weiteren „Ü“-Stufe ist man paradoxerweise ein Stück weiter auf dem absteigenden Ast.
Aber das kann nur zur Hälfte richtig sein. Sonst würden all die Werbeplakate für die „Ü-Parties“nicht so stolz an den Laternenpfählen hängen wie Mitgliederausweise für einen Club, in den nicht jeder rein darf. Wer sich bei der „Ü 50“Party herumtreibt, will unter seinesgleichen sein. Jedenfalls nicht mit jungem Gemüse auf einer Tanzfläche, die mit der falschen Musik bedröhnt wird. Damit wird ein bestimmter Geburtsjahrgang aber so sehr überhöht, dass die Altersgenossen zugleich im Licht von Gesinnungsgenossen erscheinen. Und die Gesinnung ist in unserer Gegenwart der Social-Media-Gruppen ja wieder ungeheuer wichtig geworden. Im Netz tauscht man sich am liebsten mit denjenigen aus, die sowieso dasselbe denken. Hängt der Trend zur Abgrenzung von den anderen, den die „Ü“-Party signalisiert, also mit Social Media zusammen? Falls ja, könnte man eine einfache Gleichung aufmachen: Ohne Facebook keine „Ü“-Parties.
Das Ganze hat nur einen Haken: Die Abgrenzung funktioniert lediglich in eine Richtung: nach unten. Auf einer Ü40-Party kann man sich sicher vor allen fühlen, die das Schwabenalter noch nicht erreicht haben. Aber wenn der 40-Jährige an der Theke auf die eigene Vätergeneration trifft, sollte er sich nicht wundern. Wenn Papa nicht Ü40 ist, wer dann? Solange aber kein Mensch weiß, wer mit Ü-was-auch-immer gemeint sein soll, ist alles in Ordnung. Es wäre ja noch schöner, wenn einem erst im Netz und dann im wahren Leben niemand mehr begegnet, der nicht ins eigene Schema passt.
Die Kulturtipps der Woche: Angelika Klüssendorf liest am Montag, 8. Oktober, um 20 Uhr im Kiesel aus ihrem neuen Roman „Jahre später“. In der Zeppelin-Universität im Fallenbrunnen wird am Dienstag, 9. Oktober, um 19.15 Uhr die Ausstellung „71% (play)“von Martina Mächler eröffnet. Im Graf-Zeppelin-Haus wird am Mittwoch, 10. Oktober, um 19.30 Uhr das neue Jahrbuch „Leben am See“vorgestellt. Das Theater Lindenhof spielt im Bahnhof Fischbach am Mittwoch, 10. Oktober, und Donnerstag, 11. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr, Franz Xaver Otts Stück „Konrad Kujau ein echter Fälscher“. In St. Nikolaus wird am Freitag, 12. Oktober, um 19.30 Uhr die Lyrik von Emily Dickinson vorgestellt – auch in Liedvertonungen. Mitwirkende sind Kurt Drechsel, Ulrich Murtfeld und Ina Weißbach.
Zeitgleich findet auch in der Buchhandlung Gessler 1862 eine musikalisch-lyrische Hommage statt: Sven Görtz singt und spricht Lieder und Texte von Leonard Cohen. Am Samstag, 13. Oktober, findet in Friedrichshafen wieder das Kneipenfestival „City of Music“statt. Unter Leitung von Marita Hasenmüller werden die Missa Latina von Bobbi Fischer und die Missa Festiva von John Leavitt aufgeführt – am Samtag, 13. Oktober, um 18 Uhr in der Kirche St. Columban und am Sonntag, 14. Oktober, um 18 Uhr in der Kirche St. Magnus. Ausführende sind der Jugendchor und der Junge Chor St. Columban.
Am Sonntag, 14. Oktober, um 17 Uhr, gibt das Werksorchester der MTU Friedrichshafen im GZH ein Benefizkonzert zu Gunsten des Häfler Hospizvereins. Ebenfalls am Sonntag erinnert in der Erlöserkirche um 19.30 Uhr ein Lieder- und Lyrikabend mit John Gilliard und seinem Ensemble an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren.