Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Schweizer Kapital als Motor der Industrialisierung Oberschwabens
Der Wirtschaftsraum Bodensee blühte im 19. Jahrhundert auf
Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schweiz ein großer einheitlicher Wirtschaftsraum ohne Zollschranken. Wenige Jahre später setzte der Bau von Eisenbahnstrecken in ganz Mitteleuropa ein. Diese Entwicklung stellte auch die Eidgenossen vor neue Herausforderungen und beflügelte die unternehmerische Phantasie einiger weitsichtiger Schweizer Fabrikanten und Kaufleute.
Industriefreundliche Politik
Die Chancen, die sich hier Schweizer Unternehmen boten, erkannte ziemlich früh die Direktion der großen, 1805 von Hans Caspar Escher und Salomon von Wyss gegründeten Maschinenfabrik Escher Wyss & Cie. in Zürich, die auf die Herstellung von Wasserrädern, Pumpen und Spinnmaschinen, Dampfmaschinen und Dampfschiffen spezialisiert war.
Oberschwaben, das seit 1853 Bahnanschluss an das ganze bis dahin bestehende deutsche Eisenbahnnetz besaß, das zudem nicht allzu weit von Zürich entfernt lag und als alte Textilgewerbelandschaft ein großes Potenzial an Handwerkern aufwies, erschien den Unternehmern an der Limmat besonders interessant. Hinzu kam eine industriefreundliche Politik der württembergischen Regierung, die sich um die Ansiedlung neuer Industriebetriebe bemühte und versuchte, fremde Firmen mit steuerlichen Vergünstigungen und herabgesetzten Bahntarifen ins Land zu locken.
Der Standort Ravensburg
1853 entsandte Escher Wyss den Ingenieur und Wasserkraftspezialisten Walter Zuppinger (1814–1889) nach Oberschwaben, um einen geeigneten Standort für einen Zweigbetrieb der Firma ausfindig zu machen. In Ravensburg fand Zuppinger in Stadtschultheiß Franz von Zwerger einen aufgeschlossenen Partner, der erkannte, dass sich hier seiner Stadt eine einzigartige Chance bot. Die Entscheidung fiel für Ravensburg, nachdem ein geeignetes Grundstück westlich der Altstadt an der Schussen, gegenüber dem Bahnhof, gefunden war und die Stadt eine Kanalisierung der Schussen zugesagt hatte, um so die Wasserkraft des Flüsschens besser nutzen zu können.
Anfänge der „Filialwerkstätte“
Schon Ende 1857 waren die ersten Fabrikgebäude fertig gestellt. 1858 begann die Produktion mit 18 Arbeitern aus Ravensburg und einigen Fachkräften aus Zürich. Produziert wurden zunächst Pumpen, Wasserräder und Spinnmaschinen. 1862 folgten Turbinen und Papiermaschinen. Der Erfolg der ersten deutschen Niederlassung von Escher Wyss unter der Leitung von Walter Zuppinger war durchschlagend. 1860 waren bereits 130 Personen in der Ravensburger „Filialwerkstätte“beschäftigt, 1862 wurde eine Gießerei eröffnet, 1868 begann die Produktion von Dampfschiffen für den Bodensee.
Weitere Schweizer Firmen folgen
Escher Wyss blieb nicht die einzige Fabrikgründung Schweizer Unternehmer in Oberschwaben. Wenig später, 1859, eröffnete Hans Heinrich Hüni aus Horgen eine Lederfabrik in Friedrichshafen, die bis heute besteht. 1863 gründeten die beiden Schaffhauser Fabrikanten Eduard Widmer und Johann Blattmann eine Baumwollspinnerei in Wangen im Allgäu, 1871 der Aarauer Johannes Näf-Schäppi zusammen mit Walter Zuppinger die Papierfabrik Baienfurt und 1881 der Basler Ingenieur Alfons Simonius eine Zellulosefabrik in Wangen, um nur die größten und erfolgreichsten Unternehmen mit Schweizer Wurzeln zu nennen.
Der internationale BodenseeGeschichtsverein feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass veröffentlicht die „Schwäbische Zeitung“in einer kleinen Serie Beiträge aus dem Jubiläumsverband, der Ende Oktober erscheint. Auch der vorstehende Text von Peter Eitel, ehemaliger Stadtarchivar von Ravensburg, ist dem Buch entnommen: Harald Derschka/Jürgen Klöckler (Hg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiven. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2018, 25 Euro.