Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Freispruch war unmöglich
Die Anklageschrift ist dürftig, der Angeklagte weit weg, die außenpolitischen Folgen des Falles für die Türkei sind enorm. Ein Freispruch am ersten Prozesstag im Verfahren gegen Deniz Yücel hätte zur Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen beitragen können. Doch ein Freispruch war unmöglich. Mindestens drei Gründe sprachen dagegen – und sie sagen viel aus über den politisierten Zustand der türkischen Justiz.
Zuallererst wäre ein sofortiger Freispruch für den deutschtürkischen Journalisten so etwas wie ein Schuldeingeständnis der türkischen Justiz gewesen. Immerhin hat die Türkei dem Reporter durch die Untersuchungshaft ein Jahr seines Lebens gestohlen. Zweitens ist Yücel wegen eines staatsfeindlichen Deliktes angeklagt: Ihn sang- und klanglos freizusprechen, ginge gegen die nationalistische Grundeinstellung vieler Richter und Staatsanwälte in der Türkei. Drittens hätte Präsident Erdogan Yücel persönlich als „Agent“bezeichnet. Da ist es für Juristen ratsam, genau nachzuschauen.
Auch die Istanbuler Richter wissen, dass Yücel eine mögliche Haftstrafe wahrscheinlich nie antreten wird. Vielleicht wird er am Ende eines langen Prozesses auch freigesprochen, aber zu Prozessbeginn kam das nicht in Frage. Mehr als Paragraphen und Vorschriften gelten in einem solchen Fall politische Erwägungen.
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