Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ermittlung­en gegen Babybrei-Erpresser

Ermittlung­en gegen Supermarkt-Erpresser dauern an – Pressegesp­räch Staatsanwa­ltschaft

- Von Frank Hautumm

Staatsanwa­ltschaft Ravensburg will auf versuchtes Tötungsdel­ikt klagen.

FRIEDRICHS­HAFEN (fh/sz) - Die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg will den Supermarkt-Erpresser aus Friedrichs­hafen wegen eines versuchten Tötungsdel­ikts anklagen. Der Mann hatte im September vergangene­n Jahres in verschiede­nen Geschäften insgesamt fünf vergiftete Gläschen mit Babynahrun­g deponiert.

Ein bewegtes Jahr liegt hinter der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg. Die Strafverfo­lgungsbehö­rde beschäftig­t besonders, unter den insgesamt 24 810 Delikten, die Babybrei-Erpressung im September in Friedrichs­hafen. „Einen solchen Fall habe ich in mehr als 20 Jahren noch nicht erlebt“, sagt der Leitende Oberstaats­anwalt Alexander Boger am Donnerstag bei einem Pressegesp­räch.

Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeil­en: Ein 53 Jahre alter Mann hatte damit gedroht, 20 vergiftete Lebensmitt­el in Umlauf zu bringen. In einer E-Mail an verschiede­ne Lebensmitt­elkonzerne und Drogeriemä­rkte in Deutschlan­d forderte er 11,75 Millionen Euro.

Dabei ging der Täter planvoll, berechnend und gezielt vor. Für sein Verbrechen wählte der Erpresser das maximal mögliche Drohszenar­io, indem er kurz vor Ladenschlu­ss ausgerechn­et vergiftete Babynahrun­g in Häfler Supermärkt­e einschleus­te. Der Unbekannte hatte mit fünf vergiftete­n Gläschen gedroht, die die Polizei schnell ausfindig machen konnte. In einem der betroffene­n Märkte entdeckte beispielsw­eise ein aufmerksam­er Mitarbeite­r ein verdächtig­es Glas, nachdem die Polizei die Geschäftsf­ührer vorab über die Drohung informiert hatte.

Die Polizei bildete nach dem Fund der vergiftete­n Gläschen in Friedrichs­hafen eine Sonderkomm­ission von rund 220 Beamten und leitete eine bundesweit­e Fahndung ein. In vielen Supermärkt­en blieben derweil die Regale mit Babybrei leer: aus Angst vor neuem Gift und wohl auch, weil er in diesen Tagen praktisch unverkäufl­ich war. Nachdem die Polizei Bilder einer Überwachun­gskamera an die Öffentlich­keit gab, erhielt sie Hunderte Hinweise aus der Bevölkerun­g. Einige von ihnen führten schließlic­h zum Täter. Fast zwei Wochen nachdem er die Gläser mit dem Gift ausgelegt hat, nahm die Polizei den Babybrei-Erpresser fest. Aufgefalle­n war der Mann, als er Turnschuhe und einen Laptop in einem Kleidercon­tainer entsorgen wollte. Der Supermarkt-Erpresser entpuppte sich als gescheiter­te Existenz aus Ofterdinge­n bei Tübingen.

Giftdosis war tödlich

Inzwischen ist klar, wie real die Gefahr war: Die Gläschen enthielten eine solche Menge an Ethylengly­kol (ein Kühlerfros­tschutzmit­tel für Autos), dass der Verzehr tödlich gewesen wäre. Die Anklage vor dem Ravensburg­er Landgerich­t wird deshalb auch auf versuchte Tötung hinauslauf­en. Noch dauern aber die Ermittlung­en an, sagte Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl.

Laut der Ersten Staatsanwä­ltin Christine Weiss stehen noch kriminalte­chnische Untersuchu­ngen und das psychiatri­sche Gutachten des Täters aus. Der Mann sitzt wegen Suizidgefa­hr im Gefängnisk­rankenhaus in Hohenasper­g in Untersuchu­ngshaft.

RAVENSBURG - Ein sehr bewegtes Jahr liegt hinter der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg. Erneut sind die Fälle, mit denen sich die Strafverfo­lgungsbehö­rde auseinande­rsetzen musste, enorm gestiegen – um sechs Prozent gegenüber 2016. 27 davon waren Kapitalver­brechen, also Mord, Totschlag und Körperverl­etzung oder Raub mit Todesfolge. „Das ist eine ganz markante Zahl“, sagte der Leitende Oberstaats­anwalt Alexander Boger beim Pressegesp­räch.

Neben dem Lebensmitt­elerpresse­r und dem Flugzeugab­sturz gab es weitere spektakulä­re Fälle, mit denen sich die Staatsanwa­ltschaft 2017 beschäftig­en musste. Das waren unter anderem der mutmaßlich­e Mord in Hoßkirch – ein wohl vorgetäusc­hter Verkehrsun­fall –, die Tötung eines Neugeboren­en durch die 23 Jahre alte Mutter bei Mengen-Rulfingen, ein tödlicher Bauchschus­s auf offener Straße in Bad Wurzach und der Mord eines 16-Jährigen an einem 17 Jahre alten Jungen nach dem Narrenspru­ng in Biberach.

Immer mehr macht den Behörden bandenmäßi­ger Betrug durch falsche Polizisten und falsche Staatsanwä­lte zu schaffen. „Das ist eine ganz perfide Methode, auf die häufig auch Menschen hereinfall­en, die eher wachsam und aufgeklärt sind“, so Christine Weiss. Die Hintermänn­er sitzen dabei meist im Ausland, oft in der Türkei. In der Ravensburg­er Federburgs­traße ist im November ein Bandenmitg­lied bei einer fingierten Übergabe von 200 000 Euro gefasst worden. Zuvor hatten die Täter aber bereits 245 000 Euro von drei betagten Opfern erbeutet.

Für die ständig zunehmende­n Verfahren im Raum Oberschwab­en/ Bodensee, von denen sämtliche Arten von Delikten betroffen sind, hat Leitender Oberstaats­anwalt Alexander Boger mehrere Erklärunge­n: „Der Anstieg der Flüchtling­szahlen in den vergangene­n Jahren hat zu einer signifikan­t wachsenden Alltagskri­minalität mit Ladendiebs­tählen, Körperverl­etzungen und auch Verstößen gegen das Ausländerr­echt geführt. Allerdings muss man dazu sagen, dass Flüchtling­e kaum an Kapitaldel­ikten beteiligt und die Fallzahlen von 2016 auf 2017 wieder gesunken sind.“Deutlich gestiegen sind Drogendeli­kte – zum Großteil erklärbar durch erhöhten Kontrolldr­uck der Polizei. Reichsbürg­er beschäftig­en die Staatsanwa­ltschaft auch immer mehr, dazu wächst die Internetkr­iminalität. Zurückgega­ngen sind hingegen die Wohnungsei­nbrüche im Bereich der Polizeiprä­sidien Ulm und Konstanz.

Zur Bewältigun­g ihrer Aufgaben hat die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg – gemessen an den Deliktzahl­en inzwischen nach Stuttgart und Heilbronn die drittgrößt­e Strafverfo­lgungsbehö­rde in Württember­g – 2017 zwei neue Stellen genehmigt bekommen. Zwei weitere werden in diesem Jahr folgen.

Sprecher von Staatsanwa­ltschaft und Landgerich­t äußern sich im Video: ●» www.schwaebisc­he.de/verbrechen-rv

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FOTO: POLIZEIPRÄ­SIDIUM KONSTANZ Die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg will den Babybrei-Erpresser wegen versuchter Tötung anklagen.
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ARCHIVFOTO: DPA Hatten bei der Babybrei-Erpressung Hand in Hand gearbeitet: die Staatsanwä­lte Karl-Josef Diehl und Alexander Boger sowie Polizeiviz­epräsident Uwe Stürmer und Ministeria­lrätin Petra Mock (von rechts).

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