Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Vollzeit-Nikolaus
Wolfgang Kimmig-Liebe aus dem Kreis Böblingen ist das ganze Jahr unterwegs als der Heilige von Myra – Dort wird er als Ehrenbürger verehrt
Für Wolfgang Kimmig-Liebe ist nicht nur heute, sondern immer Nikolaustag. Der 62-Jährige ist das ganze Jahr über weltweit mit Mitra und Stab unterwegs (Foto: Jessica Hetke). Myra, die Heimatstadt des historischen Bischofs, hat den Mann aus Böblingen sogar zum Ehrenbürger gemacht.
Mein Weg war weit.“Mit diesen Worten in einer sonoren Stimme schreitet der stattliche Nikolaus Wolfgang Kimmig-Liebe in den Aufenthaltsraum des Seniorenheims Josefinenstift in Sigmaringen. Aus Aidlingen bei Böblingen führt ihn sein Weg und seine Mission nach Hohenzollern. Sein Äußeres ist so, wie es sich für einen Nikolaus gehört: weiße Perücke, wallender Rauschebart, goldene Mitra, feierlich-bischöfliches Gewand, weiße Handschuhe, ein Kreuz um den Hals und ein blitzender Ring am Finger. Die 30 Stift-Bewohner, die an gedeckten Tischen bei Stollen und Kaffee sitzen, werden ganz still. „Hört mir gut zu“, sagt Kimmig-Liebe freundlich, als spräche er zu Kindern. Er erzählt ihnen von dem historischen Nikolaus, der in Myra in der heutigen Türkei, im 3. Jahrhundert Bischof war, und dem man viel Gutes nachsagt, der den Armen, wo er konnte, geholfen und sogar Wunder vollbracht haben soll.
Anerkennung für Senioren
Als er die Bewohner persönlich anspricht, kehren sich deren Blicke, manch einer lächelnd, in sich. „Ihr ward tüchtig. Ihr seid wunderbare Mütter, Väter, Großmütter und Großväter. Ihr habt nie aufgegeben. Ihr habt unser Land mit aufgebaut. Ihr seid ein Vorbild für die ganze Welt. Ihr steht alle in meinem goldenen Buch“, sagt der Nikolaus. Das rührt den 87-jährigen Bruno Brotzer: „So etwas hört man selten.“Diese Anerkennung bringt gute Energie und Schwung in den Raum. Alle singen und klatschen kräftig mit, als der Nikolaus das Lied aus Kindertagen anstimmt: „Lasst uns froh und munter sein!“
So oder so ähnlich macht Kimmig-Liebe seit 32 Jahren als Verkörperung des Heiligen Nikolaus die Menschen glücklich oder hilft ihnen dabei, für kurze Zeit Schmerzen und Leid zu vergessen. Dafür hat der frühberentete Kraftfahrzeug-Meister früher sogar jedes Jahr seine sechs Wochen Urlaub in die Adventszeit gelegt und für seine Besuche verwendet. Heute gibt es für ihn keine Saison mehr. Krankenhäuser, Kindergärten, Hospize, Pflegeheime, jugendliche Suchtkranke: Wann und wo er sich gebraucht fühlt, geht er hin – ehrenamtlich und das ganze Jahr über. Etwa 2500 Nikolaus-Auftritte hatte er bisher. „Menschen brauchen Wärme und Liebe. Und die will ich ihnen geben. So einfach ist das“, sagt der 62-Jährige. Ein Programm hat er dafür nicht. „Ich bete sehr viel und bitte Gott um Kraft und die richtigen Worte“, erzählt er. So kommt es ihm vor, als flüstere ihm der Heilige Nikolaus bei seinen Auftritten von hinten in das Ohr, was er sagen soll.
Eine soziale Ader hatte KimmigLiebe schon immer. Ursprünglich wollte er sogar Priester werden. Doch die Initiation für seine Nikolaus-Rolle erlebte er, als seine Mutter einmal im Krankenhaus war und ihre Zimmernachbarin nie Besuch bekam. Da ging er einfach zu ihr und hielt der fremden Frau aus Mitgefühl die Hand. Die Mutter ahnte es: „Du wärst ein guter Nikolaus.“Das hat in ihm gearbeitet. Immer eindringlicher befasste er sich mit dem historischen Bischof von Myra, und immer mehr versetzte er sich in diese Person hinein. Bis er eines Tages sein erstes Nikolaus-Kostüm kaufte und sich kurzerhand bei einem Kindergarten vorgestellte. Ab da war es um ihn geschehen. „Gutes tun, steckt an“, wurde zu seinem Credo. „So wie es der Heilige Nikolaus getan hat, müssen auch wir auf andere Menschen achten und auf sie Rücksicht nehmen, ihnen helfen“, sagt KimmigLiebe.
Die äußere Hülle des NikolausGewands ist ihm sehr wichtig: „Es verleiht einem Kraft und die richtige Ausstrahlung.“Die Symbolkraft seines Vorbilds soll so durch ihn wirken. Er will auch ein weithin sichtbares Zeichen setzen. Sechs Kostüme hat er, eines schenkte ihm der Wiener Erzbischof Hans Hermann Kardinal Groer.
Eine elegante Erscheinung
Von den Bewohnern des Josefinenstifts bekommt er für seine äußere Erscheinung auch viele Komplimente. „Er ist so elegant angezogen. So schön waren die Nikoläuse früher nicht“, schmeichelt ihm die 83-jährige Leonie Rebholz. Doch immer wieder wird er in der Öffentlichkeit wegen seines Auftretens auch belächelt. Nicht selten hat er es gehört: „Der hat eine Meise.“Doch das stört ihn nicht, denn er ist sich seiner Mission sicher. Und Bestätigung erhält er bei Weitem mehr, auch von hohen Würdenträgern, Geistlichen und Politikern.
Jedes Jahr am 6. Dezember ist er beim Oberbürgermeister von Aachen zu Besuch. Sogar Papst Benedikt XVI. habe sich bei einer Audienz gefreut, dass Kimmig-Liebe auf seine Art Werbung für die katholische Kirche mache. Der ehemalige Kultusminister der Türkei, Ertugrul Günay, hat ihn zum Ehrenbürger der Stadt Myra ernannt. Was Kimmig-Liebe besonders stolz macht: Man hat ihm ein Grab auf dem Friedhof von Myra geschenkt, 300 Meter entfernt von dem Platz, wo auch der Heilige Nikolaus begraben wurde. „Dort will ich bestattet werden“, sagt er. Auf die Einladung des Bürgermeisters von Myra fliegt er jedes Jahr in die Türkei. Es ist für ihn wie ein Auftanken der Nikolaus-Energie: „Dort fühle ich mich dem echten Mann, dem ich nachfolge, sehr nahe.“
Aber auch aus anderen Ländern erhält er Einladungen und hat sie als Nikolaus bereist: Italien, Spanien, USA, Algerien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Tunesien, Israel. „Hätte ich das Geld für mehr Reisen, wäre ich das ganze Jahr unterwegs“, erzählt Kimmig-Liebe. Da er für seine Auftritte kein Honorar nimmt, ist er nämlich auf Sponsoren seines Vereins „Menschen brauchen Liebe“angewiesen, wenn er ein ferneres Ziel erreichen will.
Einen Hauptsponsor hat er in Hermann Bühlbecker, dem Geschäftsführer des Lambertz-Unternehmens, gefunden. Der unterstützt ihn mit einem jährlichen Geldbetrag, den er für Reisekosten und Spesen verwenden kann. Dafür verteilt Kimmig-Liebe bei seinen Auftritten Lambertz-Lebkuchen und trägt das Firmenlogo am Revers. „Soziale Verantwortung ist auch für mich als Unternehmer ein großes Thema, deshalb passen wir so gut zusammen“, sagt Hermann Bühlbecker. Für ihn hat Kimmig-Liebe nicht nur ein großes Charisma, sondern auch psychologische Kompetenz. „Er gibt den Menschen durch seine Worte Hilfe und Unterstützung“, sagt Bühlbecker.
Privat hat Kimmig-Liebe für sein gesellschaftliches Engagement einen hohen Preis gezahlt. Die Ehe des zweifachen Vaters erwachsener Kinder ist vor ein paar Jahren zerbrochen. Er ist davon überzeugt, dass das an seiner Tätigkeit als Nikolaus lag: „Ich war einfach zu oft unterwegs.“Auch der Kontakt mit den vielen leidenden Menschen ist nicht immer einfach für ihn. Er erhält nirgends Supervision, verarbeitet seine Erfahrungen aber im Gebet. „Ohne meinen Glauben könnte ich gar nichts.“Auch täglich zu schwimmen hilft ihm.
Zufriedene Gesichter
Im Josefinenstift in Sigmaringen sieht er bei seinem Besuch an diesem Nachmittag aber nur zufriedene Gesichter. Und bevor er sich verabschiedet, wendet er sich noch einmal mit seinen wertschätzenden Worten an sie: „Jeder von euch ist ein Diamant, ihr seid einzigartig. Ich habe euch alle ganz arg lieb. Und denkt daran: Seid wie der Nikolaus, nur ohne Gewand!“