Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Plädoyer für Nutzgärten
Karin Seuster hat dem Schaugarten im Zeppelindorf neues Leben eingehaucht
- Der Zuckerwurz ist ein vergessenes Gemüse. Viele Menschen kennen ihn nicht, aber im Schaugarten des Zeppelindorfes ist er zu finden. Die GartenAG um Karin Seuster möchte alte Gemüsesorten bekannter machen. Und sie sieht in Nutzgärten ein Zukunftsmodell: Nutzgärten, in denen keine Pestizide zum Einsatz kommen.
Das Zeppelindorf steht unter Denkmalschutz. Hier haben einst die Arbeiter der Luftschiffsbau Zeppelin GmbH gewohnt. Gemeinsam mit ihren Familien. Ein Haus ist in den Originalzustand von 1914 zurückversetzt worden. Wer möchte, kann sich ein Bild davon machen, wie die alten Zeppeliner gelebt haben. Selbstversorgung war ein großes Thema: Hinter dem Haus gibt es immer noch den Garten, in dem sie ihr Gemüse anbauten. Das Zeppelin Museum verwaltet das Gelände gemeinsam mit dem Amt für Umwelt und Naturschutz, das den Garten gepachtet hat. Karin Seuster hat ihm wieder neues Leben eingehaucht. Heute baut die Garten-AG auf einer Fläche von 300 Quadratmetern Mangold, Kohlrabi, Lauch und viele andere Gemüsesorten an. Ganz im Sinne der alten Zeppeliner.
Seuster hat schon immer eine große Leidenschaft für Pflanzen gehegt. Die ausgebildete Ergotherapeutin ist überzeugt, dass sie eine positive Wirkung auf die Menschen haben: „Pflanzen machen etwas mit uns“, sagt die 61-Jährige. „Nach einem Tag im Garten bin ich müde und dreckig. Aber immer glücklich.“Und sie sieht den Garten als Kraftquelle: „Hier schöpfe ich neue Energie für den Alltag.“
80 verschiedene Gemüsesorten
Im Januar 2015 hat Seuster auf einer Veranstaltung – damals ging es um eine Baumspende – einen Vertreter der Stadt getroffen. Mit ihm sprach sie über ihre Idee, den Schaugarten wieder zu bewirtschaften. So kamen die Dinge ins Rollen. Nach und nach wurde die Anzahl der Beete immer größer. Und inzwischen gibt es im Garten ungefähr 80 verschiedene Gemüsesorten.
Elf Aktive gehören zur GartenAG. Einer von ihnen ist Daniel Neher, der es spannend findet, das Gemüse aufwachsen zu sehen. „Da entwickelt man einen persönlichen Bezug“, sagt er. „Ganz anders als im Supermarkt.“Die GartenAG möchte Begeisterung für Selbstversorgung wecken: Wenn mehr Menschen ihren eigenen Garten nutzen, könne es gelingen, große Mengen an Verpackungsmüll einzusparen. Gleiches gelte für Energiekosten, die für Logistik und Lagerung anfallen. Davon sind die Gartenbegeisterten überzeugt.
Zum Team gehört auch Carlotta Ziegler. Sie macht ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) bei der Stadt Friedrichshafen. „Im Garten lerne ich viel“, erzählt die 19Jährige. Nach dem FÖJ möchte Ziegler studieren, vielleicht etwas im Umweltbereich, lässt sie wissen. Gemeinsam mit Neher beseitigt sie das Unkraut zwischen den Pflanzenreihen. Gräser müssen raus, weil sie sonst wieder wurzeln schlagen. Alle anderen Pflanzenreste bleiben auf dem Beet liegen. Sie dienen als Dünger. Der Vorgang wird als mulchen bezeichnet.
Die Anordnung der Pflanzen in den Beeten folgt einem bestimmten Muster. In der Mischkultur gilt das Prinzip „guter Nachbar, schlechter Nachbar.“Das bedeutet: Nebeneinander stehen Pflanzen, die sich gegenseitig begünstigen. Beispielweise Möhren und Dill. „Schlechte Nachbarn sind in der Regel Gemüsesorten, die man nicht zusammen essen würde“, erzählt Ziegler. „Und Gemüsesorten, die in der Natur nicht zusammen vorkommen. Zum Beispiel Tomaten und Möhren.“
Die Brennnessel ist in vielen Gärten verpönt. Dabei handelt es sich um eine Zeigerpflanze, die auf einen stickstoffreichen Boden hinweist. Den brauchen viele Pflanzen zum Wachsen. Im Schaugarten gilt die Brennnessel als Delikatesse: Als Tee, Brühe oder Salat – es gibt viele Möglichkeiten der Zubereitung. „Die Pflanze enthält viele Vitamine“, erklärt Seuster. Vor der Verarbeitung sei es wichtig, die frisch geernteten Blätter in ein Handtuch zu wickeln und dieses auszuwringen. Als ob es nass wäre. „Dann knicken die Brennhaare, mit der sich die Brennnessel vor Fressfeinden schützt“, so Seuster. „Und es besteht keine Gefahr mehr, sich zu verbrennen.“
Die Garten-AG verzichtet vollkommen auf Pestizide. Stattdessen kommen Ringelblumen und Borretschpflanzen zum Einsatz. „Die halten Schädlinge fern und ziehen Nützlinge an“, erklärt Seuster. Es handle sich um sogenannte Helferpflanzen, die den Menschen schon früher bekannt gewesen seien. Auch die alten Zeppeliner hätten auf sie zurückgegriffen.
„Im Garten lerne ich viel“Carlotta Ziegler