Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein Plädoyer für Nutzgärten

Karin Seuster hat dem Schaugarte­n im Zeppelindo­rf neues Leben eingehauch­t

- Von Christoph Dierking

- Der Zuckerwurz ist ein vergessene­s Gemüse. Viele Menschen kennen ihn nicht, aber im Schaugarte­n des Zeppelindo­rfes ist er zu finden. Die GartenAG um Karin Seuster möchte alte Gemüsesort­en bekannter machen. Und sie sieht in Nutzgärten ein Zukunftsmo­dell: Nutzgärten, in denen keine Pestizide zum Einsatz kommen.

Das Zeppelindo­rf steht unter Denkmalsch­utz. Hier haben einst die Arbeiter der Luftschiff­sbau Zeppelin GmbH gewohnt. Gemeinsam mit ihren Familien. Ein Haus ist in den Originalzu­stand von 1914 zurückvers­etzt worden. Wer möchte, kann sich ein Bild davon machen, wie die alten Zeppeliner gelebt haben. Selbstvers­orgung war ein großes Thema: Hinter dem Haus gibt es immer noch den Garten, in dem sie ihr Gemüse anbauten. Das Zeppelin Museum verwaltet das Gelände gemeinsam mit dem Amt für Umwelt und Naturschut­z, das den Garten gepachtet hat. Karin Seuster hat ihm wieder neues Leben eingehauch­t. Heute baut die Garten-AG auf einer Fläche von 300 Quadratmet­ern Mangold, Kohlrabi, Lauch und viele andere Gemüsesort­en an. Ganz im Sinne der alten Zeppeliner.

Seuster hat schon immer eine große Leidenscha­ft für Pflanzen gehegt. Die ausgebilde­te Ergotherap­eutin ist überzeugt, dass sie eine positive Wirkung auf die Menschen haben: „Pflanzen machen etwas mit uns“, sagt die 61-Jährige. „Nach einem Tag im Garten bin ich müde und dreckig. Aber immer glücklich.“Und sie sieht den Garten als Kraftquell­e: „Hier schöpfe ich neue Energie für den Alltag.“

80 verschiede­ne Gemüsesort­en

Im Januar 2015 hat Seuster auf einer Veranstalt­ung – damals ging es um eine Baumspende – einen Vertreter der Stadt getroffen. Mit ihm sprach sie über ihre Idee, den Schaugarte­n wieder zu bewirtscha­ften. So kamen die Dinge ins Rollen. Nach und nach wurde die Anzahl der Beete immer größer. Und inzwischen gibt es im Garten ungefähr 80 verschiede­ne Gemüsesort­en.

Elf Aktive gehören zur GartenAG. Einer von ihnen ist Daniel Neher, der es spannend findet, das Gemüse aufwachsen zu sehen. „Da entwickelt man einen persönlich­en Bezug“, sagt er. „Ganz anders als im Supermarkt.“Die GartenAG möchte Begeisteru­ng für Selbstvers­orgung wecken: Wenn mehr Menschen ihren eigenen Garten nutzen, könne es gelingen, große Mengen an Verpackung­smüll einzuspare­n. Gleiches gelte für Energiekos­ten, die für Logistik und Lagerung anfallen. Davon sind die Gartenbege­isterten überzeugt.

Zum Team gehört auch Carlotta Ziegler. Sie macht ein Freiwillig­es Ökologisch­es Jahr (FÖJ) bei der Stadt Friedrichs­hafen. „Im Garten lerne ich viel“, erzählt die 19Jährige. Nach dem FÖJ möchte Ziegler studieren, vielleicht etwas im Umweltbere­ich, lässt sie wissen. Gemeinsam mit Neher beseitigt sie das Unkraut zwischen den Pflanzenre­ihen. Gräser müssen raus, weil sie sonst wieder wurzeln schlagen. Alle anderen Pflanzenre­ste bleiben auf dem Beet liegen. Sie dienen als Dünger. Der Vorgang wird als mulchen bezeichnet.

Die Anordnung der Pflanzen in den Beeten folgt einem bestimmten Muster. In der Mischkultu­r gilt das Prinzip „guter Nachbar, schlechter Nachbar.“Das bedeutet: Nebeneinan­der stehen Pflanzen, die sich gegenseiti­g begünstige­n. Beispielwe­ise Möhren und Dill. „Schlechte Nachbarn sind in der Regel Gemüsesort­en, die man nicht zusammen essen würde“, erzählt Ziegler. „Und Gemüsesort­en, die in der Natur nicht zusammen vorkommen. Zum Beispiel Tomaten und Möhren.“

Die Brennnesse­l ist in vielen Gärten verpönt. Dabei handelt es sich um eine Zeigerpfla­nze, die auf einen stickstoff­reichen Boden hinweist. Den brauchen viele Pflanzen zum Wachsen. Im Schaugarte­n gilt die Brennnesse­l als Delikatess­e: Als Tee, Brühe oder Salat – es gibt viele Möglichkei­ten der Zubereitun­g. „Die Pflanze enthält viele Vitamine“, erklärt Seuster. Vor der Verarbeitu­ng sei es wichtig, die frisch geernteten Blätter in ein Handtuch zu wickeln und dieses auszuwring­en. Als ob es nass wäre. „Dann knicken die Brennhaare, mit der sich die Brennnesse­l vor Fressfeind­en schützt“, so Seuster. „Und es besteht keine Gefahr mehr, sich zu verbrennen.“

Die Garten-AG verzichtet vollkommen auf Pestizide. Stattdesse­n kommen Ringelblum­en und Borretschp­flanzen zum Einsatz. „Die halten Schädlinge fern und ziehen Nützlinge an“, erklärt Seuster. Es handle sich um sogenannte Helferpfla­nzen, die den Menschen schon früher bekannt gewesen seien. Auch die alten Zeppeliner hätten auf sie zurückgegr­iffen.

„Im Garten lerne ich viel“Carlotta Ziegler

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FOTO: CHRISTOPH DIERKING Carlotta Ziegler und Daniel Neher entfernen das Unkraut zwischen den Pflanzenre­ihen.
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Karin Seuster hat schon immer eine große Leidenscha­ft für Pflanzen gehegt. Im Garten schöpft sie neue Energie für den Alltag.

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