Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Antibabypille für Waschbären
Jäger, Tierschützer und Minister streiten um invasive Arten
- Sie sind in Deutschland eigentlich nicht heimisch, haben sich hier aber angesiedelt und stören das ökologische Gleichgewicht: Arten wie Waschbären, Nutria oder der Signalkrebs. Die EU fordert von ihren Mitgliedern Pläne, um diese sogenannten invasiven Arten zu stoppen. Doch wie das gehen soll, ist umstritten. Die Vorschläge reichen von Verhütungsmitteln für Waschbären bis zum Abschuss der Tiere.
Im vergangenen August verabschiedete die EU eine Liste. Darauf stehen bislang 37 Arten, die in Europas Ökosystemen nicht von Natur aus vorkommen. Sie schädigen die Ökosysteme und sind deshalb nicht erwünscht. Mitte Juli fügte die EU zwölf weitere Arten hinzu. Waschbären etwa ernähren sich von Vogeleiern oder Sumpfschildkröten – die eine geschützte Art sind. Der Allesfresser stammt eigentlich aus Nordamerika, breitet sich aber seit Jahren in Deutschland aus (siehe Kasten).
Verhütung statt Abschuss
Doch was tun gegen die Pelztiere? Der Deutsche Tierschutzbund schreibt in einem Positionspapier: „Tötungen von Tieren, nur weil sie als invasiv gelten, wären aus Tierschutzsicht absolut inakzeptabel.“Es sei sinnvoller, Tiere in Fallen zu fangen, zu kastrieren und wieder freizulassen. Zum einen bleiben die Waschbären am Leben, zum anderen besetzen auch kastrierte Tiere ein Revier – und nehmen es einem anderen Zuwanderer weg. „Statt in Richtung vergeblicher Ausrottungsversuche sollten die Maßnahmen eher in Richtung Unfruchtbarmachung gehen“, heißt es in dem Papier der Verbände.
Stefan Hitzler, Chef des badenwürttembergischen Tierschutzverbandes, teilt diese Position. Der Waschbär darf im Land zwar gejagt werden, Hitzler hält das aber nicht nur aus Tierschutzgründen für wenig sinnvoll. „Waschbären haben sich hier sehr gut etabliert, durch Tötung erreicht man keine Ausrottung der Art“, sagt er. Außerdem lebten viele Waschbären in Städten oder Wohngebieten. „Da kann man ohnehin nicht jagen“, so Hitzler. Fallen oder Giftköder scheiden aus seiner Sicht ebenfalls aus – um keine Haustiere zu gefährden.
Kastrieren ist teuer
Das sieht der Deutsche Jagdverband (DJV) anders. „Die Vorschläge der Tierschützer mögen sich zwar eignen, um Spenden zu sammeln, sie helfen aber weder dem Tier- noch dem Artenschutz, weil sie keine praktikable Lösung darstellen“, sagt Jürgen Ellenberger, vom DJV. Er sieht nur zwei Möglichkeiten, die Forderungen der Tierschützer zu erfüllen: Die Tiere werden kastriert oder sie erhalten eine Antibabypille über ausgelegtes Futter. Beides sei teuer und nicht effizient.
Die Jäger rechnen vor: Jedes Jahr müssten in Deutschland mehr als 130 000 Waschbären gefangen und kastriert werden. Die reinen Kastrationskosten belaufen sich nach ihren Schätzungen auf 100 Euro pro Tier. Tierschutzgerechte Fallen kosteten zwischen 150 und 500 Euro pro Stück. „Kostenargumente dürfen doch nicht über das Leben eines Tieres entscheiden“, sagt dazu Tierschützer Hitzler. Doch Verhütungsmittel sind aus Sicht der Jäger ebenfalls problematisch. Denn ausgelegte Köder könnten andere Tiere fressen, die Folgen sind schwer abzuschätzen.
Die letzte Entscheidung über den Umgang mit den Waschbären und anderen invasiven Arten hat in Baden-Württemberg das Umweltministerium. Die Wahl der Waffen möchten die Experten von Minister Franz Untersteller (Grüne) mit dem Landwirtschaftsministerium abstimmen. „Wir gehen davon aus, dass in diesem Prozess auch die Themen ,Kastration‘ und ,Tötung‘ diskutiert werden“, so ein Sprecher. Allerdings: Bei Arten wie etwa dem Waschbären sei eine Bekämpfung weder leistbar noch sinnvoll. Man könne allenfalls versuchen, eine weitere Ausbreitung in „naturschutzfachlich wertvolle“oder noch nicht vom Wachbären besiedelte Bereiche zu verhindern.
Ministerium warnt vor Schäden
Damit scheint ein Konflikt mit dem Landwirtschaftsministerium programmiert. Dort will man sich keineswegs damit zufrieden geben, den Waschbären dort in Ruhe zu lassen, wo er bereits lebt. „Es geht nicht alleine um den Schutz naturschutzfachlich wertvoller Bereiche oder den Einfluss des Waschbärs auf die Biodiversität, sondern auch um den Schutz anderer Rechtsgüter“, teilt die Sprecherin von Minister Peter Hauk (CDU) mit. „Waschbären können teilweise erhebliche Schäden an Gebäuden, in Gärten, in der Landwirtschaft und in öffentlichen Bereichen verursachen.“Deswegen müssten Waschbären auf jeden Fall gejagt werden – und zwar überall, wo sie vorkommen.