Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Rumäniens Führung weicht zurück
Massenproteste erzwingen Wende beim Kampf gegen Korruption
- Der Sinneswandel kam überraschend. Noch am Samstag zeigte sich Liviu Dragnea, Chef der postkommunistischen Sozialdemokraten (PSD) in Rumänien, unbeeindruckt von den größten Massenprotesten seit dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu vor 27 Jahren. „Das Dekret wird in Kraft treten, daran gibt es keine Zweifel“, sagte er. Tags darauf nahm Dragnea allerdings die umstrittene Verordnung zurück, die die Strafverfolgung von Amtsmissbrauch einschränkt. „Wir haben die Stimme der Straße gehört“, beschwichtigte sein Ministerpräsident Sorin Grindeanu.
Zuvor hatten der deutschstämmige Präsident Klaus Iohannis, die Justizaufsichtsbehörde und Ombudsman Victor Ciorbea beim Verfassungsgericht gegen das Dekret geklagt. Grindeanus Begründung für die Kehrtwende klang fadenscheinig: „Die Verordnung ist nicht sehr gut kommuniziert worden“, sagte er, daher hätten die Bürger „vieles missverstanden“.
Dafür machte er Justizminister Florin Iordache verantwortlich, dem jetzt wohl die Rolle des Sündenbocks zufällt. Tatsächlich konnte man an dem Dekret nichts missverstehen. Laut der sogenannten „Notverordnung“sollten Korruption und Amtsmissbrauch unter einer Schadenssumme von rund 45 000 Euro straffrei gestellt werden. Das anrüchige Papier war in einer Nacht- und Nebelaktion beschlossen und hinterher mit dem Argument gerechtfertigt worden, damit überfüllte Gefängnisse von Kleinkriminellen zu leeren.
Doch ging es eher um die nützlichen „Nebeneffekte“. So wären Hunderte laufende Verfahren gegen Politiker und zwielichtige Geschäftemacher eingestellt worden. Das Papier hätte damit der Korruption auf allen Verwaltungsebenen Tür und Tor geöffnet. Parteichef Dragnea selbst wäre der größte Nutznießer der Neuregelung gewesen. Im April 2016 wurde er wegen Wahlbetrugs zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Derzeit läuft gegen ihn ein weiteres Verfahren wegen Amtsmissbrauchs; im Falle eines Schuldspruchs wäre die Bewährung hinfällig und Dragnea müsste ins Gefängnis.
Für die Demonstranten ist die Aufhebung der Verordnung nur ein Teilsieg. Die meisten verlangen nun den Rücktritt der Regierung.