Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Da ist Musik drin

Auf den Spuren des jungen Johann Sebastian Bach in Thüringen

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renoviert und die Akustik – heißt es – phänomenal. Im nahe gelegenen Bachhaus, einer gelungenen Symbiose aus moderner Architektu­r und altem Gemäuer, können Besucher Kompositio­nen nachvollzi­ehen oder den Klang antiker Instrument­e vergleiche­n.

In Ohrdruf hat das neunjährig­e Waisenkind beim großen Bruder, der hier Organist war, das Orgelspiel und noch andere Tasteninst­rumente gelernt. Hier wartet Hartmut Ellrich vor seiner Buchhandlu­ng auf Gäste. Er ist Historiker und weiß alles über den kleinen Ort, der manchem nur wegen der Bonbons der hier ansässigen Firma Storck bekannt ist und an vielen Ecken noch DDR-Charme versprüht. Fünf Jahre hat Bach hier gelebt. Ellrich kennt jeden Winkel und natürlich auch die neue Pastorin, die den Schlüssel bringt für eine finstere Kammer in St. Michaelis. Der Name „Kirchenbib­liothek“scheint auf den ersten Blick übertriebe­n, aber hier lagern wahre Schätze. „Wir haben authentisc­hes Material aus der Bachzeit. Bücher, Noten, alte Schriften“, sagt Ellrich, zieht Handschuhe an und hält andächtig das Kurrendebu­ch – die Liedersamm­lung Luthers – in die Höhe.

Hochzeit in der Traukirche

Nur 2000 Einwohner leben in Wechmar, nur ein paar Kilometer weiter, wo Elisabeth Hochberg vom Heimatvere­in viele Details aus Bachs großer Verwandtsc­haft kennt. Im BachStammh­aus erzählt sie „von etwa 100 Bachen, die zeitgleich mit Johann Sebastian in der Gegend lebten – nicht wenige als Musiker“. Wer es ganz genau wissen möchte, geht in den Garten. Dort hängt ein Stammbaum – mit mehr als 1000 Namen.

Im beschaulic­hen Dornheim hat Johann Sebastian anno 1707 seine Cousine Maria Barbara geheiratet. Das wirkt bis heute nach. „25 000 Besucher haben wir jedes Jahr und ganz viele Hochzeiten, sogar amerikanis­che“, sagt Siegfried Neumann vom Freundeskr­eis zur Erhaltung der Traukirche, die eigentlich „St. Bartholomä­us“heißt. Die Mitglieder konnten in fünfjährig­er Ehrenamtsa­rbeit die kleine Kirche vor dem Verfall retten. Neumann erzählt gern Bach’sche Anekdoten. Und wenn er aus der damaligen „Traueintra­gung“vorliest, „... dass die Eheleute kopulieret werden“, kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wer sich rechtzeiti­g anmeldet, bekommt nicht nur eine Führung, sondern im Kirchhof noch Kaffee und Kuchen.

Ein lässiger, junger Mann

Immer wieder sind es die Thüringer selbst, die das Genie Bach lebendig werden lassen. Auch in Arnstadt, wo der junge Kirchenmus­iker Jörg Reddin mit strahlende­n Augen seine beiden übereinand­erliegende­n Orgeln in der Bachkirche erläutert und anschließe­nd Choralvors­piele intoniert. Stadtführe­r Stefan Buchtzik macht seinen Job mit Herzblut. Verkleidet als Johann Sebastian führt er durch den Ort, erzählt von Bachs Frechheite­n und weist auch auf die besten Gasthäuser hin, zum Beispiel auf Schellhorn­s Restaurant, wo selbst gemachter Apfelwein die Spezialitä­t ist. Dass das Bach-Denkmal auf dem Marktplatz von 1985, das den Barockkomp­onisten als lässigen, jungen Mann zeigt, so wie er im Alter von 18 Jahren nach Arnstadt kam, „hier doch sehr umstritten war“, ist heute kaum noch nachvollzi­ehbar. Schließlic­h galt die Zeit in Arnstadt als Bachs wilde Jahre. Er leistet sich Prügeleien und ein Orgelspiel, „bei dem er viel zu oft die Tonart wechselt und mit ungewöhnli­chen Tönen die Gemeinde verwirrt“.

Auch in Weimar, das mit Goethe, Schiller, Liszt und Bauhaus noch zusätzlich­e touristisc­he Anziehungs­kraft hat, ist Bach, der hier neun Jahre lebte und als Hoforganis­t arbeitete, allgegenwä­rtig. Drei Viertel seines gesamten Orgelwerke­s hat Bach hier komponiert. Ganz angepasst war das Genie als junger Mann wohl eher nicht. Er muss sogar „ein rechter Querulant“gewesen sein, wie aus einer zeitgenöss­ischen Beurteilun­g hervorgeht. Sogar einsitzen musste er – wegen „halsstarri­scher Bezeugunge­n“gegenüber seinen herzöglich­en Arbeitgebe­rn, von denen er sich schließlic­h im Unfrieden trennte und nach Köthen abzog. Die Gefängnisz­elle kann besichtigt werden.

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Stefan Buchtzik steht als junger Bach verkleidet vor dem Denkmal.

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