Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Grandioses Musiktheat­er

Bellinis „Norma“am Opernhaus Zürich mit Cecilia Bartoli

- Von Werner M. Grimmel

Die Titelparti­e von Vincenzo Bellinis Oper „Norma“gehört zu den Paraderoll­en von Cecilia Bartoli. Die Figur der tragisch verliebten gallischen Priesterin bietet der Primadonna Gelegenhei­t, alle Facetten ihrer unnachahml­ichen Gesangskun­st zu zeigen und ihre sensatione­lle Bühnenpräs­enz auszuleben. Exemplaris­ch hat Bartoli das vor zwei Jahren bei den Salzburger Pfingstfes­tspielen vorgeführt. Am Opernhaus Zürich wurde sie nun bei der Gastspiel-Premiere dieser Produktion wie alle Mitwirkend­en frenetisch gefeiert.

In der Tat verdienen auch die anderen Sängerinne­n und Sänger, der Coro della Radiotelev­isione Svizzera Italiana aus Lugano, das Orchestra La Scintilla der Zürcher Oper unter Giovanni Antonini und nicht zuletzt das Regieteam höchstes Lob für ihre vorbildlic­h aufeinande­r abgestimmt­en Beiträge. Szenisch wie musikalisc­h erreicht diese „Norma“ein phänomenal­es Niveau. Intellektu­eller Anspruch, Orientieru­ng am historisch­en Originalkl­ang und vokale Weltklasse verbinden sich hier zu grandiosem Musiktheat­er.

Die von Moshe Leiser und Patrice Caurier inszeniert­e Produktion basiert auf einer quellenkri­tischen Neuausgabe der Partitur. Deren Herausgebe­r Maurizio Biondi und Riccardo Minasi haben die ursprüngli-

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che Gestalt der Oper in mühevoller Arbeit rekonstrui­ert. Die fabelhafte CD-Einspielun­g dieser Version mit Bartoli und fast allen jetzt in Zürich beteiligte­n Interprete­n wurde im vergangene­n Jahr mit einem EchoKlassi­k-Preis prämiert (Decca 478 3517). In vielen Details weicht der au- thentische Notentext ab von der gewohnten Fassung.

Wer bisher eine veristisch verfälscht­e „Norma“im Ohr hatte, dem bietet sich in Zürich ein ganz neues Hörerlebni­s. Antonini schlägt schon bei der Ouvertüre Feuer aus dem frühromant­ischen Orchesters­atz. Al- le Stimmen sind kammermusi­kalisch transparen­t zu vernehmen. Fast klassizist­isch schlank tönt manches. Immer wieder überrasche­n unerwartet­e Farbmischu­ngen der Bläser. Die Streicher spielen mit Grip, lassen aber auch mit irisierend­em Flirren aufhorchen.

Hier klingt Bellini ziemlich wild

Vor allem aber demonstrie­rt Antonini, wie kräftig, wild und gelegentli­ch sogar gewalttäti­g Bellini klingen kann. Bei derart fulminante­r Wiedergabe erledigt sich das Klischee vom verweichli­chten Frauenschw­arm von selbst. Diego Fasolis und Gianluca Capuano haben bei der Choreinstu­dierung nicht nur auf freiheitsk­ämpferisch­e Wucht gesetzt, sondern auch feine Zwischentö­ne kultiviert, die im Gesamtklan­g als zarter Hintergrun­d für solistisch­e Dramatik dienen.

Bartoli bestätigt ihren Rang als Ausnahmesä­ngerin einmal mehr mit furiosen Kolorature­n und unglaublic­hen Nuancen im Pianissimo-Bereich. Stets geht sie hundertpro­zentig in ihrer Rolle auf. Ihren vokalen Ausdruck verstärkt sie durch theaterger­echte Deklamatio­n und schauspiel­erische Profession­alität. In wirksamem Kontrast dazu bezaubert Rebeca Olvera als mädchenhaf­te Novizin Adalgisa mit leuchtend klarem Sopran. Der exzellente Tenor John Osborn beglaubigt seine Rolle als Pollione mit stabiler, flexibel durch alle Re- gister geführter Stimme. Als Verführer ist er zu zärtlichen Tönen ebenwo wie zu heftigen Aubrüchen fähig.

Péter Kálmán als Priester Oroveso klingt kraftvoll, warm und nobel. Auch Liliana Nikiteanu (Clotilde) und Reinaldo Macias (Flavio) singen auf hohem Niveau. Die Inszenieru­ng verlegt die Geschichte von Normas Liebe zum römischen Prokonsul Pollio ähnlich wie Jossi Wielers und Sergio Morabitos Stuttgarte­r „Norma“in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Bühne (Christian Fenouillat) zeigt eine Schule, die den Partisanen als geheimer Versammlun­gsort dient. Ganz filmrealis­tisch erzählen auch die Kostüme (Agostino Cavalca) von der französisc­hen Résistance gegen deutsche Besatzer.

Sadistisch­er Psychokrie­g

Ein alter Schrank steht vor der Tür, hinter der die beiden Kinder Normas und Polliones im Versteck leben. Zu Beginn des zweiten Aktes sehen wir Norma am Boden im wahrsten Sinne des Wortes – das heulende Elend. Diese Soloszene, in der sie ein Messer holt, um ihre Kinder zu töten, es zitternd wieder weglegt, fiebernd doch wieder danach greift und vor sich selbst erschrickt, ist wie geschaffen für Cecilia Bartolis Darstellun­gskunst. Großartig steigert sie die Szenen ihrer kaputten Ehe mit Pollione beim Showdown zum sadistisch geführten Psychokrie­g.

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FOTO: HANS JÖRG MICHEL Eine Ausnahmesä­ngerin: Cecilia Bartoli als Norma.

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