Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Paranoia der Einwandere­rnation

Bürokratie und Misstrauen prägen die US-Debatte um die Aufnahme von syrischen Flüchtling­en

- Von Frank Herrmann

- Als die Bilder der Flüchtling­snot in Europa um die Welt gingen, erinnerte Richard Durbin einmal mehr mit Nachdruck an seinen Brief. Bereits im Mai hatte der Senator aus Illinois, einst ein Mentor Barack Obamas, in einem Appell an den US-Präsidente­n gefordert, eine deutlich höhere Zahl fliehender Syrer aufzunehme­n, 65 000 Asylbewerb­er bis Ende 2016.

Da kein Ende des Blutvergie­ßens abzusehen sei, möge die Administra­tion zumindest bei der Linderung des Flüchtling­selends handeln, schrieb Durbin und gewann 13 seiner Senatskoll­egen als Mitunterze­ichner. Allein schon moralisch stehe Washington in der Pflicht. Geschehen ist seither wenig. Nach aktuellem Stand will das Weiße Haus bis Dezember nächsten Jahres 10 000 asylsuchen­de Syrer ins Land lassen, nachdem man seit Beginn des Bürgerkrie­ges in lediglich 1500 Fällen grünes Licht gegeben hatte. Schuld war eine Bürokratie, deren Mühlen so langsam mahlen, dass die mitteleuro­päische im Vergleich dazu wie ein Musterbeis­piel an Effizienz wirkt. Bittet ein Antragstel­ler aus Syrien um Asyl, muss sein Begehren von einer Armada von Beamten geprüft werden, im State Department, im Ministeriu­m für Heimatschu­tz (Homeland Security), beim FBI, um nur die wichtigste­n Stellen zu nennen. Bis zum Abschluss des Verfahrens können zwei Jahre vergehen.

Was ihre Arbeit noch immer prägt, ist eine Art Wagenburgd­enken, wie es mit dem Schock der Anschläge am 11. September 2001 Einzug gehalten hat. Die Angst, mit den Flüchtling­en auch nur einem einzigen potenziell­en Terroriste­n die Türen zu öffnen, scheint schwerer zu wiegen als die Argumente, wie sie ein Richard Durbin ins Feld führt. „Ich kann kein Programm unterstütz­en, dass Dschihadis­ten in die Vereinigte­n Staaten bringen könnte“, sagt Michael McCaul, ein Republikan­er, der den Homeland-Security-Ausschuss des Repräsenta­ntenhauses leitet. An erster Stelle rangiere die Sicherheit der eigenen Bürger.

Schöne Rhetorik

Natürlich reibt sich die bisweilen an Paranoia grenzende Vorsicht am Credo einer Einwandere­rnation, wie es die Worte der Dichterin Emma Lazarus auf dem Sockel der New Yorker Freiheitss­tatue symbolisie­ren: „Gebt mir eure Müden, eure Armen … Schickt sie mir, die Heimatlose­n, vom Sturm Getriebene­n.“Der in Harvard lehrende kanadische Professor Michael Ignatieff zeigt am prägnantes­ten auf, welcher Widerspruc­h zwischen Wort und Tat klafft. „Was werden die Syrer, die vor dem Budapester Bahnhof campieren, von all der schönen Rhetorik über Menschenre­chte und Flüchtling­sschutz halten?“, fragte er in einem Leitartike­l der „New York Times“. „Wenn wir schon dabei gescheiter­t sind, in Syrien Frieden zu vermitteln, können wir nicht wenigstens den Menschen helfen, die auf den Frieden nicht länger warten können?“

Bereits die Senatoren um Durbin hatten stolze Traditione­n in Erinnerung gerufen, Amerikas Führungsro­lle nach dem Zweiten Weltkrieg, als es darum ging, ein grenzüberg­reifendes System der Flüchtling­shilfe zu schaffen. Nachdem die internatio­nale Gemeinscha­ft versagt habe bei der Rettung der europäisch­en Juden, habe Washington damals das Heft des Handelns übernommen, blendeten die Briefschre­iber zurück und riefen Obama auf, sich das Kapitel zu Herzen zu nehmen.

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FOTO: AFP Die Freiheitss­tatue in New York heißt Besucher willkommen. Doch von diesem Ideal ist nur noch wenig zu spüren.

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