Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Denkmal demontiert sich selbst
Gerichtsdokumente zeichnen ein beschämendes Bild des amerikanischen Komikers Bill Cosby
- Neulich stand Barack Obama an einem Rednerpult im Weißen Haus und sagte, dass er schwebende juristische Fälle eigentlich nicht kommentiere. Dann aber äußerte er sich zur Causa Bill Cosby mit einer Deutlichkeit, dass es dem Komödianten wie eine schallende Ohrfeige vorgekommen sein muss.
„Wenn Sie einer Frau, oder auch einem Mann, wenn wir schon davon sprechen, ein Medikament geben, ohne dass sie oder er es weiß, wenn Sie dann ohne Einverständnis Sex mit dieser Person haben, ist das Vergewaltigung.“Die 2002 verliehene Freiheitsmedaille, die höchste zivile Auszeichnung der Republik, könne man Cosby freilich nicht nachträglich wegnehmen, dafür gebe es kein Procedere, fügte der US-Präsident hinzu. Es klang, als bedaure er das.
Damit brach Obama den Stab über einen jener Wegbereiter, auf die er sich immer berief, wenn er von Pionieren sprach, die Schneisen schlugen, damit irgendwann ein Kandidat mit dunkler Haut ins Weiße Haus einziehen konnte. Von Bürgerrechtlern wie Martin Luther King, aber auch Entertainern wie Bill Cosby. Dessen Cliff Huxtable war von 1984 bis 1992 eine der populärsten Fernsehfiguren des Landes gewesen. Mal ein strenger, mal ein witziger Familienvater, mit dem sich die weißen Mittelschichten anfreunden konnten, weil er nichts gemein hatte mit dem Klischee des zornigen schwarzen Mannes. Cosby gehört in eine Reihe mit Eddie Murphy oder Whoopi Goldberg, gefeierten Stars der Unterhaltungsbranche, die mit subtilem Humor alte Stereotype zerpflückten. Was Amerika seit Monaten erlebt, ist also nicht weniger als die Demontage eines Denkmals.
Inzwischen sind es 36 Frauen, die Cosby, 78 Jahre alt und seit 51 Jahren verheiratet, sexuelle Nötigung vorwerfen. Meist soll es nach dem gleichen Muster gelaufen sein: Er verabreichte ihnen Beruhigungsmittel, und während sie vor sich hin dämmerten, schlief er mit ihnen. Die einzige, die deswegen klagte, in einem Verfahren, das 2006 mit einem Vergleich endete, ist Andrea Constand, eine frühere Basketballtrainerin der Temple University in Philadelphia, an der auch Cosby studierte. Nach langem Ringen hat die „New York Ti- mes“die Freigabe aller Akten erzwungen, die Cosbys Gespräche mit Constands Anwälten dokumentieren. Die Lektüre ist aufschlussreich. Sie skizziert einen Macho, der sich zum väterlichen Beschützer seiner unfreiwilligen Sexpartnerinnen aufspielt und genau zu wissen glaubt, was in ihrem Innern vorgeht. „Ich begleite sie nach draußen“, schildert er einen Abend mit Andrea Constand. „Sie wirkt nicht verärgert. Sie sagt nicht, mach das nie wieder.“Er irre sich nicht, „denn ich kann Menschen und ihre Gefühle bei diesen romantischen, sexuellen Sachen, wie immer Sie das nennen wollen, ziemlich gut lesen“. Im Leben Andrea Constands habe er die Rolle eines Mentors gespielt, er habe ihr Tipps gegeben – und sich geärgert, dass sie sich seines Beziehungsnetzwerks nicht bediente, als er ihre eine Karriere als Sportreporterin nahelegte.
Einmal, belegen die Akten, versuchte er, ein junges Model ins Bett zu kriegen, indem er den Fürsorglichen gab und sich nach dem Krebsleiden ihres Vaters erkundigte. Und auf die Frage, warum sie erst jetzt die Öffentlichkeit suche, gut vier Jahrzehnte nach ihrem „Rendezvous“mit Cosby, antwortet Cindra Ladd, damals in der Kinosparte tätig, in einem Essay: „Es war eine andere Zeit. Beim Rendezvous vergewaltigt zu werden, war eine Sache, die es nicht geben durfte.“
„Stell den Ton mal leiser“
Die Scheinheiligkeit der ComedyIkone, Hannibal Buress hatte sie als Erster zum Thema gemacht. Den afroamerikanischen Satiriker nervte der pädagogische Zeigefinger, mit dem Cosby junge Schwarze in den Armenghettos aufforderte, den Hosenbund gefälligst nicht so tief rutschen zu lassen, dass es aussieht wie das Erkennungszeichen einer Drogenbande. „Da setzt er sich hin und predigt: ‚Zieht eure Hosen hoch, ich war im Fernsehen, ich darf von oben herab zu euch reden, denn ich hatte eine erfolgreiche Sitcom‘. Yeah, Bill Cosby, aber du vergewaltigst Frauen, also stell den Ton mal ein bisschen leiser.“Im vorigen Oktober war das; es wirkte, als hätte Buress die Schleusen geöffnet. Von da an nahm der Denkmalsturz seinen Lauf.
Cosby hüllt sich noch immer in eisernes Schweigen, wahrscheinlich auf Anraten seiner Juristen. Es ist nicht so, dass er völlig allein auf weiter Flur steht. Eddie Murphy nahm ihn mit den Worten in Schutz, man trete nicht nach einem, der schon am Boden liege. Phylicia Rashad, einst seine Bildschirmgattin Claire Huxtable, sprach von einer Kampagne, mit der ein Vermächtnis zerstört werden soll. Auch Whoopi Goldberg hielt lange Zeit zu ihrem Kollegen, nun aber geht sie auf Distanz. „Es sieht schlecht aus, Bill. Entweder redest du jetzt, oder du bist abgemeldet.“