Obermarchtal erfreut sich einer besonders guten Stromversorgung
NetzeBW-Fachmann spricht im Gemeinderat über Versorgungssicherheit und liefert Fakten zum örtlichen Stromnetz
OBERMARCHTAL - Das Thema der Energiesicherheit geriet in letzter Zeit deutlich in den Vordergrund. Klimawandel und der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine sind dafür die Hauptursachen. Hat die Bundesregierung unter Angela Merkel die Energiewende sanft betrieben, ist nun die von Olaf Scholz geführte neue Bundesregierung gezwungen, mit ganz anderer Geschwindigkeit eine unabhängige Energieversicherung für Deutschland zu sichern. Für den Obermarchtaler Gemeinderat war dies am Dienstag in seiner Sitzung das Kernthema, untermauert von einem Vortrag der Netze BW.
Jürgen Müller ist als „Regionalmanager Verteilnetze“für das Netzgebiet Oberschwaben auch für die Stromversorgung in Obermarchtal zuständig. „Wir betrachten die Energiesicherheit heute mit anderen Augen als noch vor einigen Monaten“, sagte der Experte, und bestätigte, „die Politik nahm Fahrt auf“. Wenngleich die Gesetze in Brüssel, Berlin und Stuttgart gemacht würden, so müsse regional eine Umsetzung stattfinden, die einen möglichst hohen Grad der Versorgungssicherheit garantiert.
Der Infrastrukturwandel sei mit hoher Geschwindigkeit im Gange. „Wir erleben einen Komplettumbau des Energiesystems“, so Jürgen Müller,
der dies beschrieb mit den Worten, „es hat sich ein Orkan entwickelt“. Er legte der Gemeinde nahe, in den kommenden Jahren die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um die Stromversorgung zukunftssicher zu machen, und riet dazu, hierfür den Rückenwind aus den Krisen der Zeit voll zu nutzen, und oben auf den Wellen zu reiten. „Die Energiewende findet im Verteilnetz statt“, lautete sein Obersatz. Dazu verdeutlicht er, dass die Energieversorger den Gemeinden diese Entscheidungen nicht abnehmen könnten, sie hätten insoweit lediglich beratende Funktion, und würden Entscheidungen der Kommunen vor Ort umsetzen.
Im Hinblick auf die künftigen Stromnetze sparte Jürgen Müller nicht mit detaillierten Hintergründen. Er prognostizierte, dass die EMobilität in den kommenden zehn Jahren rasant an Fahrt aufnehmen werde. Dies müsse das Stromnetz der Zukunft bewältigen. Um dafür die Voraussetzungen zu schaffen, habe man im ländlichen Raum im Wege eines „Netzlabors“Tests durchgeführt, indem man ein Jahr lang eine komplette Wohnstraße mit kostenlosen E-Autos ausgerüstet habe. „70 Prozent aller Ladevorgänge finden zuhause oder beim Arbeitgeber statt. Das führt zu abendlichen Ladespitzen“, so das Ergebnis.
Um nicht flächendeckend den kostenintensiven Weg des Ersatzes alter Kabel durch leistungsfähigere Kabel gehen zu müssen, sei Intelligenz gefragt. Man habe mit Erfolg die maximale Ladeleistung in Zeiten hoher Belastung auf 50 Prozent reduziert, und so die Ladevorgänge in die Nacht verlagert. Die Landesregierung strebe eine Treibhausgasneutralität bis 2040 an. Für Obermarchtal bedeute dies, dass die Infrastruktur die Ladeleistung für 701 Fahrzeuge bewältigen müsse. Wärmepumpen und Photovoltaik in der Gemeinde sieht Jürgen Müller 2040 auf deutlich höherem Niveau als jetzt, für die Leistung der Wärmepumpen prognostiziert er bis 2040 eine Vervierfachung. Auf der digitalen KomunalPlattform müsse eine Intensivierung des kommunalen Dialogs erfolgen, damit mögliche Synergieeffekte, auch im Hinblick auf den Austausch von Kabeln, frühzeitig koordiniert werden können.
Das Stromnetz in Obermarchtal mit einer Länge von 59,8 Kilometer teile sich auf in 22,9 Kilometer Mittelspannung mit 20 000 Volt und 36,9 Kilometer Niedrigspannung mit 230 Volt. Der Anteil der Verkabelung gegenüber Freileitungen überwiege inzwischen in beiden Bereichen. 2030 solle der Anteil der Verkabelung bei 90 Prozent liegen. Dies habe den Vorteil, dass die Versorgung witterungsunabhängig sei, lediglich die Kappung von Leitungen durch Bagger stelle ein Risiko dar.
199 Photovoltaikanlagen würden in Obermarchtal derzeit 7,11 Megawatt
Leistung erbringen. „Das entspricht einem Ertrag von drei Millionen Euro, und stellt eine erhebliche Wertschöpfung im ländlichen Raum dar“, so Jürgen Müller. Seine Aussage, „Obermarchtal hat die Energiewende schon umgesetzt, Sie produzieren das Doppelte des von Ihnen verbrauchten Stroms“, wurde im Gremium gerne gehört. Durch Energieeffizienz sinke der Stromverbrauch. Dennoch appellierte Jürgen Müller angesichts der bedrohlichen Lage in Sachen Klima und fehlender Energieunabhängikeit Deutschlands, „wir müssen Gas geben“.
Obermarchtals Versorgungssicherheit sei hoch, da die Gemeinde von Umspannwerken in Munderkingen und Riedlingen aus mit Strom versorgt werden könne. Während in Deutschland jeder Mensch im Schnitt von 10,7 Minuten jährlichen Stromausfalls betroffen sei, liege der Wert aus den Jahren 2018 bis 2021 in der Gemeinde bei 1,8 Minuten. „Deutschland ist weltweit die Nummer 1, was einen Standortfaktor für die Industrie darstellt“, erklärte Jürgen Müller, der inklusive Tornados für die USA den Wert mit 306 Minuten angab.
In Sachen Eigenwerbung nannte Jürgen Müller die Zahl von 1,1 Millionen Euro, die in den Jahren 2017 bis 2021 in Obermarchtal ins Stromnetz investiert worden seien. Für den Ringschluss Luppenhofen würden 650 000 Euro ausgegeben. „In den Jahren 2022 bis 2024 investieren wir weitere 1,7 Millionen Euro in das Stromnetz von Obermarchtal“, versprach Jürgen Müller, und rechnete hoch, dass die Netze BW in den kommenden Jahren insgesamt von jährlichen Investitionen von 700 Millionen Euro ausgehe. Auch werde die Fernüberwachung der Netze intensiviert, damit Wartungsarbeiten rascher erfolgen könnten. Drohnen würden künftig Fotos der Infrastruktur machen, diese mit dem Sollzustand abgleichen, und bei Abweichungen eigenständig Monteure beauftragen.
Auf Frage von Gemeinderat Julius Singer ging der Referent davon aus, dass der Solarpark Deppenhausen von Schafen beweidet wird, da dies für den Anlagebetreiber kostengünstig sei, und für den Landwirt einen Zusatzertrag abwerfe. Ratskollege Dieter Löffler, der als Anlagenbauer bezüglich der Solarenergie das Problem aufwarf, dass in der Nacht keine Sonne scheint, erhielt die Antwort, dass nur ein Mix aus verschiedenen erneuerbaren Energien, also Wind, Wasser, Sonne und Biogas, die künftige Versorgungssicherheit gewährleiste. „Sie haben Wasserkraft und Biogas vor Ort, beides ist grundlastfähig“, lautete das Schlusswort von Jürgen Müller. Bürgermeister Martin Krämer resümierte, „wir sind gut aufgestellt“.