Milliarden für Rind, Schwein und Huhn
Mehr Tierwohl macht Fleischprodukte in Deutschland teurer – Institut hat höhere Erzeugerkosten berechnet
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BERLIN - Und ewig lockt das Billigfleisch. Anders lässt es sich nicht erklären, warum den Deutschen in Umfragen das Wohl von Tieren durchaus wichtig ist, an der Fleischtheke im Supermarkt dann allerdings weniger – dort zählt wohl jeder Cent. Das Ergebnis dieses Konsumverhaltens: Die Lebensbedingungen von Nutztieren in Deutschland sind schlechter, als sie es sein könnten, wenn die Preise höher wären. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, das Tierwohl in deutschen Ställen langfristig zu verbessern. Gleichzeitig will sie aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte erhalten. Wie das funktionieren könnte, hat eine von ihrem Ministerium beauftragte Kommission, die sogenannte Borchert-Kommission, ausgearbeitet. Auf eine im März dieses Jahres vorgestellte Machbarkeitsstudie zu den Tierwohl-Plänen folgte am Montag eine weitere Studie zu den Auswirkungen des Vorhabens auf Landwirte, Verbraucher und die Entwicklung in den ländlichen Räumen.
Eines war auch schon vorher klar: Zum Nulltarif wird es nicht möglich sein, die Haltungsbedingungen von Nutztieren in Deutschland zu verbessern. „Wir haben über alle Szenarien hinweg berechnet, dass es die Gesellschaft drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr kosten wird“, sagte Folkhard Isermeyer, Präsident des bundeseigenen Thünen-Instituts, in Berlin. Das klänge nach viel Geld, räumte der Wissenschaftler ein. Umgerechnet auf eine Mahlzeit pro Tag bedeute es aber: „Fünf Cent pro Mahlzeit“, so Isermeyer. Die Landwirtschaftsministerin zeigte sich überzeugt, dass die Verbraucher bereit seien, diese Mehrkosten zu tragen. Fleisch werde dadurch noch nicht zum Luxus, so Klöckner. Zudem gebe es „kein Recht auf Billigstfleisch“. Um 46 Cent würde ein Kilogramm Fleisch bei höheren Tierwohlstandards teurer werden.
Die Landwirtschaftsministerin will in der Nutztierhaltung ein großes Rad drehen. Bis zum Jahr 2040 sollen Rinder, Schweine und Hühner stufenweise mehr Platz in deutschen Ställen bekommen. Zu den 13 Kriterien, an denen das Wohl von Nutztieren, beispielsweise von Schweinen, festgemacht wird, zählen unter anderem die Qualität des Futters und die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere im Stall. Der „Umbau der Nutztierhaltung“, von dem Klöckner spricht, setzt allerdings auch einen ganz konkreten Umbau oder Neubau von Stallungen voraus. Projekte, die sich in Deutschland auch wegen des Baurechts über einen langen Zeitraum ziehen können und mit hohen Ausgaben verbunden sind. Diese Investitionen müssten die Landwirte tragen – aber sie sollen, so die Pläne des Ministeriums, nicht auf diesen Kosten sitzen bleiben.
„Wer einen Stall umbaut oder neu baut, nimmt richtig viel Geld in die Hand“, sagte Klöckner bei der Vorstellung der Folgekosten in Berlin. Umso wichtiger sei es deshalb, für die Landwirte Verlässlichkeit zu schaffen – und zwar unabhängig von der regierenden Koalition in Berlin. Diese Planungssicherheit will die CDU-Politikerin dadurch erreichen, dass die Bauern Verträge mit der Regierung abschließen können, in denen eine Tierwohlprämie festgeschrieben wird. Eine weitere Hürde muss Klöckner allerdings noch in Brüssel nehmen. In der Europäischen Union sei bislang nur eine Förderung für sieben Jahre zulässig. Derzeit stehe sie in Verhandlungen mit der europäischen Kommission, dafür eine Lösung zu finden, so die Landwirtschaftsministerin.
Doch mit dem Stallbau allein ist mehr Tierwohl nicht zu erreichen – das sagte Folkhard Isermeyer, der Leiter des Thünen-Instituts, sehr deutlich. Bessere Erzeugungsbedingungen machten Fleisch, Milch und Käse auf Dauer um zehn bis 20 Prozent teurer. Bei den Masthühnern könnten die Kosten sogar noch höher steigen, sollte das Landwirtschaftsministerium bei seinen bisherigen Flächenplänen pro Huhn bleiben. Im europäischen Binnenmarkt wären solche Produktionsbedingungen allerdings ein „K.o.-Kriterium“, so Isermeyer. Deshalb müssten sie über eine Tierwohlprämie abgefedert werden. Im Vertrauen auf die „Marktkräfte“könne das Ziel, mehr Tierwohl, nicht erreicht werden.
Die entscheidende Frage, wie die höheren Kosten der Erzeuger finanziert werden sollen, blieb am Montag offen. Drei mögliche Wege hatte die sogenannte Borchert-Kommission in ihrer Machbarkeitsstudie im März vorgestellt. Der Plan, eine Art Soli für Huhn, Schwein und Rind zu erheben, sei, so Klöckner, politisch chancenlos. Bei dieser Finanzierungsform würden auch Veganer und Vegetarier für die besseren Haltungsbedingungen von Nutztieren herangezogen. Die Ergänzungsabgabe hätte zudem keinen Einfluss auf den Preis von Fleisch- und Milchprodukten. Eine andere Möglichkeit sieht die Kommission darin, die Mehrwertsteuer für tierische Produkte von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen. Die dritte, eine Verbrauchsteuer „Tierwohlabgabe“einzuführen. Sie halte sowohl eine Mehrwertsteuererhöhung als auch die Verbrauchsteuer für machbar, machte Klöckner deutlich. Der frühere Landwirtschaftsminister Jochen Borchert, der Namensgeber des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, ergänzte: Das sei eine politische Entscheidung, über die in den Fraktionen abgestimmt werden müsse.
Die Landwirte sind nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes grundsätzlich bereit, den vorgeschlagenen Weg mitzugehen. Neben einem verlässlichen und langfristigen Förderkonzept sei eine verbindliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung
nötig, an der Verbraucher höhere Tierwohlstandards erkennen, außerdem ein einfacheres Baurecht für Ställe. Noch vor den Bundestagswahlen müsse den Betrieben ein verlässlicher Weg aufgezeigt werden, verlangt etwa die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Auch aus der Opposition kommt die Forderung, nun endlich in die Gänge zu kommen. Über den Umbau der Tierhaltung werde seit Jahren gesprochen, „aber nichts umgesetzt“, kritisierten die Grünen am Montag. Die Bundesregierung müsse sich nun endlich zusammenraufen und für ein Finanzierungsmodell entscheiden, so Friedrich Ostendorff, Sprecher für Agrarpolitik.
Die FDP hält hingegen nichts davon, Tierwohl über „Klöckner’sche Tierwohlkennzeichen oder teure Machbarkeitsstudien“erreichen zu wollen. Tierwohl müsse sich „langfristig einzig und allein über die Ladentheke und nicht über den Staatssäckel finanzieren“, so der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDPBundestagsfraktion Gero Hocker.