„Fühle mich als Leichenfledderer“
Mehrere Firmenchefs berichten von eigenen Erfahrungen und bedrohten Betrieben
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ULM - Vermehrte Firmenpleiten, verschleppte Probleme, verödete Innenstädte: Einmal mehr haben regionale Unternehmer vehement vor den Folgen des Corona-Lockdowns gewarnt. Bernd Mack, IHK-Vizepräsident für den Landkreis Neu-Ulm, nannte konkrete Beispiele: Die Barfüßer-Brauerei mit ihren hiesigen Standorten in Neu-Ulm, Weißenhorn und Ulm habe weiterhin monatliche Lohnkosten von mehr als einer Million Euro zu stemmen. Und der Geschäftsführer der unter anderem in der Ulmer Fußgängerzone ansässigen Mode-Kette Reischmann habe zuletzt über drohende Probleme und aufgezehrte Reserven gesprochen. „Das geht nicht mehr lange gut“, warnte Mack. Dann seien die Stadtzentren verödet.
Mack ist selbst Autohändler, er betreibt Mercedes-Niederlassungen in Senden und Illertissen und beschäftigt 60 Angestellte. „Unsere Werkstätten sind geöffnet, aber die Arbeit ist nicht sehr viel. Es wird nicht sehr viel gefahren“, berichtete Mack. Er diskutierte mit anderen Unternehmern, Bürgern und dem Grünen-Politiker Dieter Janecek über die regionale wirtschaftliche Lage in der CoronaPandemie. Die Sendener Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz (Grüne) hatte zu der Online-Diskussion eingeladen und moderierte die Gesprächsrunde. Mack und Deligöz betonten, sie stünden in einem guten Austausch miteinander.
Unternehmer Mack prangerte die Probleme bei den wirtschaftlichen Hilfen der Politik an. Er selbst habe im März 2020 sicherheitshalber Unterstützung beantragt und dabei eidesstattlich versichern müssen, über keine eigenen Mittel mehr zu verfügen. Normalerweise bedeute so etwas die Insolvenz, sagte Mack. „Ich habe es trotzdem gemacht, weil ich nicht wusste, was kommt“, berichtete der Sendener. Monate später habe er 50 000 Euro bewilligt bekommen, obwohl er bloß 13 000 Euro beantragt habe. Dieses Geld habe er zurückbezahlt, weil er doch keinen Bedarf gehabt habe.
Sein eigenes Beispiel zeigt Mack, wie schlecht das System funktioniere: unklare Bedingungen, unklare Entscheidungen über ausbezahlte Summen, langwierige Prozesse. Auch eine Handwerksmeisterin aus Franken berichtete in der Video-Diskussion von Schwierigkeiten bei den Unterstützungsleistungen.
Kritik äußerte Mack auch am zweiten Lockdown, der seit dem Spätherbst läuft. Zuvor seien Hygienekonzepte eingefordert und auch eingeführt worden. Dann seien die Betriebe dennoch geschlossen worden. „Es gibt keine Zahlen, die öffentlich wären, dass in normalen Speiserestaurants irgendwelche Infektionsgeschehnisse waren, geschweige denn im Einzelhandel.“
Dass ausschließlich die Supermärkte geöffnet bleiben dürften, sei nicht nachvollziehbar. Zumal die Sicherheitsvorkehrungen in diesen Läden inzwischen vielerorts nur noch lax gehandhabt würden. Mack forderte einen klaren Wenn-dann-Plan für den weiteren Verlauf der Pandemie. Dazu gehörten eine Impfstrategie, ein Hygienekonzept und eine Teststrategie. Es dürfe nicht sein, dass die Ministerpräsidenten der Länder alle 14 Tage immer neue Regeln vorlegten. Die Kritik aus der Wirtschaft werde immer lauter, auch in der Region.
Mack sagte auch: „Die Politik kann die Wirtschaft nicht retten.“Die Wirtschaft könne sich nur selbst retten, aber dazu müsse sie wirtschaften dürfen. Die Unternehmen seien bereit, strenge Vorgaben einzuhalten. Marcello Danieli, geschäftsführender
Gesellschafter von Harder Logistics in Neu-Ulm, brachte einen weiteren dringenden Wunsch vor. In jedem Bundesland seien die Vorgaben unterschiedlich. „Uns wäre eine einheitliche Linie lieber. Es wäre vielleicht härter, aber das wäre uns lieber“, sagte Danieli.
Der Unternehmer äußerte auch grundsätzliche Sorgen um die deutsche Wirtschaft und berichtete aus seinem Alltag als Spezialist für Betriebsverlagerungen. Immer wieder würden Firmen aus finanziellen Gründen in osteuropäische Länder umziehen. „Ich fühle mich als Leichenfledderer, das sage ich Ihnen ganz offen“, so Danieli. Die deutsche Wirtschaft müsse stark bleiben, um die Anforderungen in der Zukunft stemmen und den jüngeren Menschen eine gute Perspektive bieten zu können. Er denke dabei auch an seine eigene Familie.
Ein Unternehmensberater aus dem Raum Augsburg schilderte, dass er bei Partnerfirmen immer mehr Insolvenzen kommen sehe. Das bereite ihm Sorgen. IHK-Vizepräsident Mack wollte keine Prognose für die Region abgeben: Statistisch werde man wohl die etwa gleiche Quote von Insolvenzen haben wie der Rest der Republik. Zumindest den ersten Lockdown habe die Wirtschaft gut überstanden, nun seien viele Unternehmer aber pessimistisch eingestellt. Auch die Lage an den Schulen bereitet Sorgen. Die guten Schüler könnten von zu Hause aus lernen. Manche bräuchten den Druck aus dem Klassenverband und direkte Hilfe oder eine strenge Ansage ihrer Lehrer. Gut ausgebildete junge Menschen seien unabdingbar. Unklar sei die Lage auf dem Ausbildungsmarkt, sagte Mack. Im Herbst seien viele Lehrverhältnisse abgeschlossen worden, oft auf den letzten Drücker.