Erdogan verspottet Außenminister Maas
Türkischer Präsident nennt SPD-Politiker „Dilettanten“– Trump: Kurden sind „keine Engel“
ANKARA/WASHINGTON (dpa/AFP) - Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan gibt sich weiter unbeeindruckt und will sich zur Offensive in Syrien vom Westen nichts sagen lassen. Am Mittwoch verspottete er den deutschen Außenminister, lehnte Vermittlungsversuche kategorisch ab und schloss eine Waffenruhe aus. „Kommt und stellt euch in diesem Kampf auf die Seite der Türkei und nicht gegen sie. Oder mischt euch zumindest nicht ein“, sagte Erdogan an den Westen gerichtet in Ankara.
Unmittelbar vor dem Besuch von US-Vizepräsident Mike Pence in Ankara an diesem Donnerstag erklärte Erdogan, die Türkei brauche keine Vermittler. Man werde auch nicht mit der gegnerischen Kurdenmiliz YPG verhandeln, man setze sich nicht mit „Terroristen“an einen Tisch. Mit Pence wird er nun aber dennoch reden. Zunächst hatte es geheißen, Erdogan wolle nur mit Donald Trump persönlich sprechen.
Der US-Präsident erklärte am Mittwoch, er sehe keine militärische Verantwortung der USA in dem Konflikt: „Zwei Staaten kämpfen um Land, das nichts mit uns zu tun hat.“Trump fügte mit Blick auf die Regierung von Präsident Baschar al-Assad hinzu: „Syrien schützt die Kurden. Das ist gut.“Die Kurden seien „jetzt viel sicherer“. Zudem wüssten sie, wie man kämpfe. „Sie sind keine Engel“, erklärte Trump in Washington.
Im Streit mit dem Westen hatte Erdogan zuvor Bundesaußenminister Heiko Maas persönlich angegriffen und sich über die einzige Strafmaßnahme, die die Bundesregierung bisher verhängt hat, lustig gemacht – den Rüstungsexportstopp mit vielen Ausnahmen. Jetzt sei die Türkei „am Ende“, witzelte er und nannte Maas einen „politischen Dilettanten“. Der SPD-Politiker hatte den Exportstopp verkündet. „Wenn du etwas von Politik verstehen würdest, würdest du nicht so sprechen“, sagte Erdogan.
Mit Russlands Präsident Wladimir Putin möchte Erdogan hingegen bei einem persönlichen Gespräch klären, wie sich eine direkte Konfrontation syrischer und türkischer Truppen in dem Bürgerkriegsland vermeiden lässt.
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ISTANBUL - Als „Erdogans Krieg“wird der türkische Einmarsch in Nordsyrien im Westen verkannt. Doch tatsächlich steht die Öffentlichkeit in der Türkei größtenteils hinter dem Einsatz. Im Parlament stimmten alle Parteien außer der Kurdenpartei HDP dafür – auch die oppositionellen Parteien CHP und Iyi. Regierungskritische Umweltschützer sagten nach Beginn der Offensive eine geplante Großdemonstration gegen ein Bergbauprojekt mit der Begründung ab, die Nation müsse nun zusammenstehen. Warum die Türken den Einmarsch unterstützen – oder zumindest nichts dagegen sagen:
Viele Menschen fühlen sich ● durch die militante Kurdengruppe PKK in Nordsyrien bedroht:
Die Türkei befindet sich in einer Abwärtsspirale, seit im Sommer 2015 der Friedensprozess mit der PKK scheiterte. Aufgegeben wurden die Verhandlungen damals von beiden Seiten: sowohl von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der die Unterstützung des nationalistischen Lagers suchte, als auch von der PKK, die eine Verhandlungslösung nicht mehr nötig zu haben glaubte. Auf ihre neue Machtbasis in Nordsyrien gestützt, glaubte die PKK-Führung, die Autonomie auch in der Südosttürkei mit Waffengewalt erzwingen zu können. Der resultierende Krieg in den Städten von Südostanatolien kostete 2015/16 Hunderten Menschen das Leben und vertrieb Hunderttausende aus ihrer Heimat. Als die PKK schließlich der türkischen Armee unterlag, griff sie wieder zum Terror: Fast 50 Menschen wurden am 10. Dezember 2016 bei einem Bombenanschlag mitten in Istanbul getötet, zu dem sich ein PKK-Terrorkommando bekannte; 166 Menschen wurden verletzt. Keine drei Jahre ist das her – den Türken ist es in Erinnerung. Dass die PKK und ihre syrische Unterorganisation YPG aus ihrer Machtbasis an der türkischen Grenze vertrieben werden sollen, finden viele Menschen richtig.
Viele Türken sehen ihr Land von ● der Außenwelt missverstanden und angegriffen:
Patriotismus wird in der Türkischen Republik schon in der Schule gelehrt. Zeremonieller Umgang mit der Fahne und Ehrfurcht vor dem Militär gehören ähnlich wie in den USA zur Nationalkultur. Im Krieg müsse die Nation zusammenhalten und dürfe ihren „Mehmetcik“(kleinen Mehmets) genannten Soldaten im Felde nicht mit Kritik in den Rücken fallen, glauben viele. Verstärkt wird dieses Zusammenrücken derzeit durch die internationale Kritik, die wegen des Einsatzes auf die Türkei herabregnet, und die lautstarke Empörung von Politikern und Medien im Ausland. Auch manche Türken, die Erdogan normalerweise kritisch gegenüberstehen, fühlen sich von den Schmährufen an die Seite von Ankara getrieben. Das Ausland verstehe die Sorgen und Sicherheitsinteressen der Türkei nicht und wolle sie auch nicht verstehen, glauben viele Menschen, die dahinter auch anti-türkische Ressentiments zu erkennen glauben.
Andersdenkende Türken dürfen ● ihre Meinung nicht äußern:
Es gibt in der Türkei auch viele Menschen, die anders denken und die Invasion ablehnen, doch dürfen sie das nicht öffentlich sagen. Die Staatsanwaltschaft warnte zu Beginn der Offensive, sie werde alle entsprechenden Veröffentlichungen in den klassischen wie in den sozialen Medien strafrechtlich ahnden – und ließ die Taten folgen. 186 Festnahmen und 24 Haftbefehle wegen missliebiger Äußerungen vermeldete die staatliche Agentur Anadolu bis Mittwoch. Die Behörden wollen 839 Internetseiten mit strafbaren Inhalten gefunden haben, darunter außer in der Türkei auch 62 in Deutschland, Frankreich und England. Strafrechtliche Ermittlungen wurden unter anderem gegen die beiden Vorsitzenden der Kurdenpartei HDP eingeleitet, denen Terrorpropaganda vorgeworfen wird, sowie gegen den CHP-Abgeordneten Sezgin Tanrikulu, der die Invasion als „Krieg gegen Kurden“bezeichnet hatte – ihm wird Herabwürdigung der Regierung vorgeworfen. Vorübergehend festgenommen wurden auch die Dienstleiter zweier kritischer Nachrichtenportale wegen ihrer Berichterstattung.