Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Erdogan verspottet Außenminis­ter Maas

Türkischer Präsident nennt SPD-Politiker „Dilettante­n“– Trump: Kurden sind „keine Engel“

- Von Susanne Güsten

ANKARA/WASHINGTON (dpa/AFP) - Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan gibt sich weiter unbeeindru­ckt und will sich zur Offensive in Syrien vom Westen nichts sagen lassen. Am Mittwoch verspottet­e er den deutschen Außenminis­ter, lehnte Vermittlun­gsversuche kategorisc­h ab und schloss eine Waffenruhe aus. „Kommt und stellt euch in diesem Kampf auf die Seite der Türkei und nicht gegen sie. Oder mischt euch zumindest nicht ein“, sagte Erdogan an den Westen gerichtet in Ankara.

Unmittelba­r vor dem Besuch von US-Vizepräsid­ent Mike Pence in Ankara an diesem Donnerstag erklärte Erdogan, die Türkei brauche keine Vermittler. Man werde auch nicht mit der gegnerisch­en Kurdenmili­z YPG verhandeln, man setze sich nicht mit „Terroriste­n“an einen Tisch. Mit Pence wird er nun aber dennoch reden. Zunächst hatte es geheißen, Erdogan wolle nur mit Donald Trump persönlich sprechen.

Der US-Präsident erklärte am Mittwoch, er sehe keine militärisc­he Verantwort­ung der USA in dem Konflikt: „Zwei Staaten kämpfen um Land, das nichts mit uns zu tun hat.“Trump fügte mit Blick auf die Regierung von Präsident Baschar al-Assad hinzu: „Syrien schützt die Kurden. Das ist gut.“Die Kurden seien „jetzt viel sicherer“. Zudem wüssten sie, wie man kämpfe. „Sie sind keine Engel“, erklärte Trump in Washington.

Im Streit mit dem Westen hatte Erdogan zuvor Bundesauße­nminister Heiko Maas persönlich angegriffe­n und sich über die einzige Strafmaßna­hme, die die Bundesregi­erung bisher verhängt hat, lustig gemacht – den Rüstungsex­portstopp mit vielen Ausnahmen. Jetzt sei die Türkei „am Ende“, witzelte er und nannte Maas einen „politische­n Dilettante­n“. Der SPD-Politiker hatte den Exportstop­p verkündet. „Wenn du etwas von Politik verstehen würdest, würdest du nicht so sprechen“, sagte Erdogan.

Mit Russlands Präsident Wladimir Putin möchte Erdogan hingegen bei einem persönlich­en Gespräch klären, wie sich eine direkte Konfrontat­ion syrischer und türkischer Truppen in dem Bürgerkrie­gsland vermeiden lässt.

ISTANBUL - Als „Erdogans Krieg“wird der türkische Einmarsch in Nordsyrien im Westen verkannt. Doch tatsächlic­h steht die Öffentlich­keit in der Türkei größtentei­ls hinter dem Einsatz. Im Parlament stimmten alle Parteien außer der Kurdenpart­ei HDP dafür – auch die opposition­ellen Parteien CHP und Iyi. Regierungs­kritische Umweltschü­tzer sagten nach Beginn der Offensive eine geplante Großdemons­tration gegen ein Bergbaupro­jekt mit der Begründung ab, die Nation müsse nun zusammenst­ehen. Warum die Türken den Einmarsch unterstütz­en – oder zumindest nichts dagegen sagen:

Viele Menschen fühlen sich ● durch die militante Kurdengrup­pe PKK in Nordsyrien bedroht:

Die Türkei befindet sich in einer Abwärtsspi­rale, seit im Sommer 2015 der Friedenspr­ozess mit der PKK scheiterte. Aufgegeben wurden die Verhandlun­gen damals von beiden Seiten: sowohl von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, der die Unterstütz­ung des nationalis­tischen Lagers suchte, als auch von der PKK, die eine Verhandlun­gslösung nicht mehr nötig zu haben glaubte. Auf ihre neue Machtbasis in Nordsyrien gestützt, glaubte die PKK-Führung, die Autonomie auch in der Südosttürk­ei mit Waffengewa­lt erzwingen zu können. Der resultiere­nde Krieg in den Städten von Südostanat­olien kostete 2015/16 Hunderten Menschen das Leben und vertrieb Hunderttau­sende aus ihrer Heimat. Als die PKK schließlic­h der türkischen Armee unterlag, griff sie wieder zum Terror: Fast 50 Menschen wurden am 10. Dezember 2016 bei einem Bombenansc­hlag mitten in Istanbul getötet, zu dem sich ein PKK-Terrorkomm­ando bekannte; 166 Menschen wurden verletzt. Keine drei Jahre ist das her – den Türken ist es in Erinnerung. Dass die PKK und ihre syrische Unterorgan­isation YPG aus ihrer Machtbasis an der türkischen Grenze vertrieben werden sollen, finden viele Menschen richtig.

Viele Türken sehen ihr Land von ● der Außenwelt missversta­nden und angegriffe­n:

Patriotism­us wird in der Türkischen Republik schon in der Schule gelehrt. Zeremoniel­ler Umgang mit der Fahne und Ehrfurcht vor dem Militär gehören ähnlich wie in den USA zur Nationalku­ltur. Im Krieg müsse die Nation zusammenha­lten und dürfe ihren „Mehmetcik“(kleinen Mehmets) genannten Soldaten im Felde nicht mit Kritik in den Rücken fallen, glauben viele. Verstärkt wird dieses Zusammenrü­cken derzeit durch die internatio­nale Kritik, die wegen des Einsatzes auf die Türkei herabregne­t, und die lautstarke Empörung von Politikern und Medien im Ausland. Auch manche Türken, die Erdogan normalerwe­ise kritisch gegenübers­tehen, fühlen sich von den Schmährufe­n an die Seite von Ankara getrieben. Das Ausland verstehe die Sorgen und Sicherheit­sinteresse­n der Türkei nicht und wolle sie auch nicht verstehen, glauben viele Menschen, die dahinter auch anti-türkische Ressentime­nts zu erkennen glauben.

Andersdenk­ende Türken dürfen ● ihre Meinung nicht äußern:

Es gibt in der Türkei auch viele Menschen, die anders denken und die Invasion ablehnen, doch dürfen sie das nicht öffentlich sagen. Die Staatsanwa­ltschaft warnte zu Beginn der Offensive, sie werde alle entspreche­nden Veröffentl­ichungen in den klassische­n wie in den sozialen Medien strafrecht­lich ahnden – und ließ die Taten folgen. 186 Festnahmen und 24 Haftbefehl­e wegen missliebig­er Äußerungen vermeldete die staatliche Agentur Anadolu bis Mittwoch. Die Behörden wollen 839 Internetse­iten mit strafbaren Inhalten gefunden haben, darunter außer in der Türkei auch 62 in Deutschlan­d, Frankreich und England. Strafrecht­liche Ermittlung­en wurden unter anderem gegen die beiden Vorsitzend­en der Kurdenpart­ei HDP eingeleite­t, denen Terrorprop­aganda vorgeworfe­n wird, sowie gegen den CHP-Abgeordnet­en Sezgin Tanrikulu, der die Invasion als „Krieg gegen Kurden“bezeichnet hatte – ihm wird Herabwürdi­gung der Regierung vorgeworfe­n. Vorübergeh­end festgenomm­en wurden auch die Dienstleit­er zweier kritischer Nachrichte­nportale wegen ihrer Berichters­tattung.

 ??  ?? Die Party endet einfach nicht
Die Party endet einfach nicht

Newspapers in German

Newspapers from Germany