Mit wehenden Fahnen in den Himmel
Staatsgalerie feiert den venezianischen Maler Tiepolo – Eine Schau mit Stärken und Schwächen
STUTTGART - Giovanni Battista Tiepolo war das, was man heute einen Senkrechtstarter nennt: Mit 17 Jahren aufgenommen in das Zunftverzeichnis der venezianischen Maler, ein Jahr später machte er sich selbstständig, mit 21 wurde er Meister und schon bald gehörten Kunden wie der Bischof von Udine zu seinen Auftraggebern. Um sein bekanntestes Werk zu sehen, müssen deutsche Kunstfans nicht bis nach Italien fahren: Als Hauptwerk Tiepolos gilt das größte Deckenfresko der Welt. Zu finden ist es in der Residenz von Würzburg. Die Vorzeichnungen dazu und viele weitere Skizzen des Barockkünstlers befinden sich seit Langem in der Staatsgalerie Stuttgart. Anlass genug für das Museum dem Maler zum 250. Todestag eine umfangreiche Ausstellung mit 120 Arbeiten zu widmen. Im Zentrum steht der eigene bedeutende Tiepolo-Bestand. Hinzu kommen Leihgaben aus Europa und Übersee, darunter auch einige Gemälde.
Eleganz und Luftigkeit
Der Name Tiepolo (1696-1770) steht für virtuos komponierte Bildräume, für Eleganz und Luftigkeit, für sich bauschende Stoffe, brillante Farben und Putti, die direkt in den Himmel zu fliegen scheinen. Schon von seinen Zeitgenossen wurde er deshalb als „der beste Maler Venedigs“gefeiert. Tiepolo, erklärt Kuratorin Annette Hojer, sei auch „ein Maler der Zeitenwende“, der den Wertewandel in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts hin zur Aufklärung thematisiert. Als Hofkünstler einerseits noch ganz den Traditionen des Barock verpflichtet, bricht er andererseits mit herkömmlichen Sehgewohnheiten. Er setzt historische oder mythologische Motive unkonventionell um, macht versteckte Anspielungen, irritiert mit Humor und Ironie.
Bestes Beispiel ist das Ölgemälde des eiligen Jakobus der Ältere (1749/ 50), eine Leihgabe aus Budapest. Mit diesem drei Meter hohen Altarbild, das für die spanische Botschaft in London bestimmt war, schuf Tiepolo, so Annette Hojer, eine „der originellsten Darstellungen des spanischen Nationalheiligen“: Mit flatternder rot-weißer Fahne und zum Himmel aufgerichteten Blick sitzt Jakobus auf einem prächtig aufgezäumten Schimmel. Im Hintergrund der Bergfestung von Clavijo tobt eine Schlacht. Zu seinen Füßen kniet der gegnerische Heerführer, ein dunkelhäutiger Fürst. Jakobus berührt ihn mit dem Schwert an der Schulter – gerade so als ob er ihn enthaupten wollte. Die moderne Forschung interpretiert dagegen diese Geste als verstecktes politisches Statement, als Allegorie auf die Machtansprüche des spanischen Weltreiches. In London wurde es deshalb nie aufgehängt.
Ein Ausschnitt dieses Gemäldes dient als Plakatmotiv und wäre auch in der Schau ein furioser Auftakt gewesen. Stattdessen hat man sich für eine locker-chronologische Hängung entschieden. Mit der Folge: Es geht los mit eher kleinformatigen Frühwerken, die zwar kunsthistorisch interessant sein mögen, auf den Besucher aber keine Funken überspringen lassen. Und das gilt auch trotz manch beeindruckender Leihgabe, wie etwa „Apoll und Daphne“(1743/45) aus dem Louvre, für große Teile der Ausstellung. Abgesehen davon begeistert Tiepolo bis heute vor allem mit seinen Deckengemälden, und die lassen sich natürlich nicht transportieren. In Stuttgart sind stattdessen einige Ölskizzen dieser Fresken zu sehen, die Originale ersetzen sie nicht.
Der 1964 geborene Foto- und Videokünstler Christoph Brech, der mit vier Interventionen einen aktuellen Zugang zu Tiepolo in der Ausstellung schaffen soll, bringt diese Lücke an einer Stelle gut zum Ausdruck: Sein Foto der Scuola Grande dei Carmini, einer Bruderschaft in Venedig, zeigt nicht das grandiose Deckengemälde, das Tiepolo hier geschaffen hat, sondern nur die Spiegelung des Sonnenlichts auf dem Terrazzoboden des Raumes.
An manchen Stellen ist die Präsentation gelungen. Näher kommt man Tiepolos Welten beispielsweise im Saal zum berühmten Treppenhausfresko in der Würzburger Residenz (1752-53). An der Decke befindet sich eine verkleinerte Reproduktion dieser Darstellung der vier Kontinente, während an den Wänden die Rötel-Vorzeichnungen auf blauem Papier hängen. Mit sicherem Strich lässt der Künstler die dargestellten Personen und Tiere lebendig werden: Mit männlich-muskulösen Beinen flieht der Vogel Strauß, lässig thront die Figur der Afrika auf dem Kamel, auf einem Blatt fliegt sogar ein Tennisschläger durch die Luft. Die passenden Stellen darf der Besucher wie beim Puzzle selber suchen.
Ob in Malerei oder Grafik – in Tiepolos Werk findet sich enorm viel Dynamik. Christoph Brech hat diesen Aspekt in einem wandfüllenden Video aufgegriffen. Zu beobachten sind Vogelschwärme, die immer wieder neue Formationen am Himmel bilden. Solche Bezüge erschließen sich dem aufmerksamen Besucher, im Gegensatz zur Mehrdeutigkeit in manchem Bild des venezianischen Malers. Da hilft nur eine Führung oder der Audioguide, der einen mit neuen Barockmusik-Einspielungen in die Welt zu Zeiten Tiepolos eintauchen lässt.
Bis 2. Februar, Di.-So. 10-17 Uhr, Do. 10-20 Uhr. Zur Tiepolo-Schau sind ein Katalog und eine CD erschienen. Als Ergänzung wird im Grafikkabinett Zeichenkunst in Venedig vom 16. bis 18. Jahrhundert gezeigt. www.staatsgalerie.de