Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Bei „Kaspar“im Keller geht’s laut zu

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ULM (sz) - Gut 50 Jahre alt ist Peter Handkes frühes Sprechfolt­erungsstüc­k „Kaspar“, dessen Titelfigur das wohl geheimnisv­ollste und legendärst­e Findelkind des 19. Jahrhunder­ts ist: Kaspar Hauser. Doch eigentlich geht es im Stück nicht um die rätselhaft­e Biografie Hausers, der 1812 in Nürnberg auftauchte, sondern um seine Bewusstwer­dung, Domestizie­rung und Anpassung an die Gesellscha­ft. Klaus Nusser-Nussini inszeniert­e das Stück für die Ulmer Akademie für darstellen­de Kunst (AdK) im Keller der Schirmer-Montagehal­le in der Frauenstra­ße 87, der ein ideales Ambiente für das Stück abgibt.

Theodoros Tsilkoudis agiert als Kaspar Hauser in der bedrängend­en Keller-Szenerie zwischen ein paar Möbelstück­en ungeschütz­t, im schwarzen Slip und teilweise nackt, das Holz-Spielzeugp­ferdchen fest an sich gepresst. Der Mann, der nur einen einzigen Satz hat – Handke reduzierte den wohl eingelernt­en und überliefer­ten Hauser-Satz „A söchener Reiter möcht i wärn wie mei Voter aner gween is“auf „Ich möcht einmal ein solcher werden wie einmal ein andrer gewesen ist.“Er besitzt nicht die Fähigkeit, Dinge zu benennen und einzuordne­n. Drängend ist der Wille nach Anpassung, und Nusser-Nussini verlangt mit den drei glucksende­n und zischenden, fauchenden und plappernde­n, lachenden und gackernden Einpeitsch­erinnen auch viel von den Ohren der Zuschauer.

Joni-Beth Brownlee, Mirjam Morlok und Lena Amberger gelingt es fast schon Rachegötti­nen-artig, den personifiz­ierten Drill zur sittlichen Ordnung in Hausers Gehirn zu peitschen, mit ihm Sprachstru­kturen durchzukon­jugieren und dabei eine eigenwilli­ge, klangbildl­ich nahezu schon Neuer Musik ähnelnde Partitur zu schaffen – einzig: Die Trillerpfe­ife wird bisweilen sehr laut eingesetzt. Die drei militärisc­hen Wesen trichtern Kaspar Phrasen und Ratschläge ein und machen Hausers Lernprozes­s zu einer Kopf-Dressurübu­ng am Rande des Wahnsinns.

Tsilkoudis interpreti­ert stark die Überliefer­ung zu Kaspar Hauser, dass der Jugendlich­e in der Zeit nach seinem Auffinden eine zuckende Mimik gehabt habe. Tsilkoudis lässt Blicke sprechen, wo die Worte fehlen. Aber ohne Worte gelingt keine Einordnung in das Umfeld. Für das Ende wählt Nusser-Nussini drei Affen, die sich stumm und fast schon zärtlich um den gezähmten und eingekleid­eten Kaspar gruppieren. Die Affen starren den Zuschauer mit fragenden und bedrängend­en Augen aus den Masken reglos an. Kaspar funktionie­rt – doch ein versöhnlic­hes Ende gibt Handkes Stück absichtlic­h nicht.

Das Stück wird am 11., 12. und 31. Oktober sowie am 1. und 2. November erneut gezeigt.

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FOTO: DAGMAR HUB Theodorus Tsilkoudis schlüpft beim Akademieth­eater Ulm derzeit in die Rolle des Kaspar, im gleichnami­gen Stück.

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