CDU-Mittelstandschef fordert: Mehr Gerhard Schröder wagen
Carsten Linnemann verlangt im Stadthaus von seiner Partei klare Wirtschaftskante – Und er sorgt sich um die Demokratie
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ULM - „Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn die Demokratie vor die Hunde geht.“Mit klaren Worten hat Carsten Linnemann auf Einladung der Mittelstandsvereinigung Alb-Donau/Ulm im Ulmer Stadthaus vor einem Zerfall der freiheitlichen Struktur der Bundesrepublik gewarnt. Seine Angst: Dass in Deutschland, das derzeit politisiert sei wie noch nie, keine sachlich-kontroverse Debatte mehr möglich ist. Und das Hetzer am Ende die Oberhand gewinnen. Lernen könne seine Partei, so der Paderborner, von Angela Merkels Vorgänger.
Er spricht frei, die linke Hand lässig in der Hosentasche. Aber ist voller Furor. Den rund 200 Anwesenden im Stadthaus knallt Carsten Linnemann, der sich selbst als Mann klarer Worte bezeichnet, die „Hiobsbotschaften“zu Beginn nur so um die Ohren. Trump, Nordkorea, Boris Johnson, dann der Anschlag auf die Synagoge in Halle: Vieles sei derzeit im Argen, so Linnemann, der am Mittwoch in Ulm in erster Linie als Wirtschafts-Fachmann sprechen sollte. Eingeladen zum Jahresempfang hatte die Mittelstandsvereinigung Alb-Donau/Ulm. Gemütlich wurde es aber erst nach Linnemanns Vortrag, bei Schnittchen und Sekt.
„Nichts ist alternativlos“, wer dies behaupte (natürlich ein Seitenhieb gegen Kanzlerin Merkel), der rede „Quatsch“. Was Deutschland endlich wieder brauche, sei eine vernünftige Debattenkultur, kein Moralisieren. Demokratie, so Linnemann, bedeute Meinungsvielfalt und -freiheit. Wer dem anderen seine Meinung abspreche, spüle diesen irgendwann zwangsläufig dem extremen Rand zu. Seine Angst: „Irgendwann könnte es schlimm werden.“
Im Bezug auf die eigene Partei wirkt Linnemann angstfrei. Genauso wie Vorrednerin Ronja Kemmer. Unverhohlen kritisiert sie Parteifreundin Anja Karliczek, die mit dafür gesorgt hat, dass nicht Ulm, sondern Münster in den Genuss einer Batteriefabrik und einer 400-MillionenEuro-Förderung kommt. Wobei die hiesige Bundestagsabgeordnete damit in der CDU nicht alleine ist.
Lange Wahlprogramme sind für die Tonne
Vieles will, beziehungsweise würde auch Linnemann (denn dazu bräuchte es zunächst entsprechende Mehrheiten) anders machen in der Wirtschaftspolitik. Heutige Wahlprogramme würde eh kein Mensch lesen, drei, vier Seiten, das sollte doch genügen. Linnemann geht es vor allem um Klarheit, um „klare Positionen“. So wie sie einst Gerhard Schröder vertreten und durchgesetzt habe. „Schröder hat das geschafft“, zollt Linnemann dem einstigen SPDKanzler Respekt und meint dessen Agenda 2010, die zumindest damals richtig gewesen sei angesichts von sechs Millionen Arbeitslosen. Auch Linnemann würde gerne Akzente im großen Stil setzen, einen „Deutschlandplan schmieden“.
Was ihm bei seinem Besuch in Ulm gefällt: die Fokussierung der Anwesenden auf die Zukunft. Dies fällt ihm auf bei der anschließenden Frage-Antwort-Runde, bei der es um neue Antriebe und erneuerbare Energien geht. Nach vorne gehe der Blick hier in Ulm, nicht zurück. Das habe er bei anderen entsprechenden Veranstaltungen „sonst fast nie“.
Viel Applaus bekommt der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, der auch Vize-Präsident des SC Paderborn ist, „ein Bundesligist“(ein Seitenhieb gegen das Ulmer Fußballherz), für seine wirtschaftspolitischen Forderungen. Die da lauten: Soli komplett abschaffen, eine Unternehmenssteuer-Reform muss her und Deutschland wieder wettbewerbsfähiger werden. Warum nicht von China lernen? „Die bauen nicht nur einen Flughafen, sondern die eröffnen ihn auch.“