Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Knipser und Kapitän

Wie Serge Gnabry und Joshua Kimmich, beide beim VfB Stuttgart sozialisie­rt und beim FC Bayern spielend, die Nationalma­nnschaft erobert haben

- Von Patrick Strasser

DORTMUND - Das muss Serge Gnabry erst einmal einer nachmachen: Jede Woche ein Eintrag in die Geschichts­bücher. Serge, setzen - eins!

Vor neun Tagen traf der 24-Jährige im Trikot des FC Bayern bei der 7:2Gala gegen Tottenham in London viermal, sackte folgende Rekorde ein: Vier Tore in der zweiten Halbzeit eines Champions League-Matches hatte nie zuvor jemand geschafft und vier auswärts kein deutscher Profi in der Königsklas­se. Und diese Woche erzielte Gnabry, der in Stuttgart geborene Sohn einer Schwäbin und eines Ivorers, beim glänzend begonnenen und am Ende ein wenig ernüchtern­den 2:2 im Testländer­spiel gegen Argentinie­n mit dem 1:0 seinen bereits zehnten Treffer im erst elften Einsatz – so schnell hat seit der Wiedervere­inigung noch kein deutscher Nationalsp­ieler die Marke von zehn Toren in der DFB-Auswahl erreicht. Auf den Rängen folgt ziemliche Prominenz: WM-Rekordtors­chütze Miroslav Klose, aktuell U17-Coach des FC Bayern München, benötigte dafür 13 Partien, der heutige Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff 15. Dass Gnabry mit sechs Toren die interne Torschütze­nliste der Nationalel­f im Kalenderja­hr 2019 anführt, überrascht nicht wirklich.

„Selten einen gesehen, der so zielstrebi­g ist Richtung Tor“

Das kann einen auch mal sprachlos machen. Kommentarl­os bestieg Gnabry den vor der Kabine geparkten DFB-Mannschaft­sbus. Sollten lieber andere reden – und ihn feiern. Taten sie auch. „Serge ist ein wahnsinnig­es Tempo gegangen und hat unglaublic­he Wege gemacht, ist überall aufgetauch­t und war ständig brandgefäh­rlich“, sagte Bundestrai­ner Joachim Löw, der beeindruck­t festhielt: „Er hat die ganze Abwehr der Argentinie­r verunsiche­rt.“Steht auch nicht in jeder Fußballerv­ita.

„Ich habe selten einen Spieler gesehen, der so zielstrebi­g ist Richtung Tor“, feierte ihn sein Kumpel Joshua Kimmich, auch 24, auch gebürtiger Baden-Württember­ger, auch in der Jugend des VfB Stuttgart sozialisie­rt. „Für mich war er in unserem Jahrgang immer der beste Spieler“, so Kimmich.

Während Gnabry bei Bayern meist auf der Außenbahn zum Einsatz kommt – die Mitte ist durch Toptorjäge­r Robert Lewandowsk­i besetzt – darf er bei Bundestrai­ner Joachim Löw zentral ran. „Mir persönlich gefällt Serge in der Mitte sehr, sehr gut“, meinte Kimmich, „da kann er noch mehr zeigen von seinem Spektrum. Er hat ein sehr gutes Gespür, was die Mannschaft in den Momenten braucht und einen sehr guten Abschluss.“Sprach der Kapitän über den Knipser.

In seinem 45. Länderspie­l durfte der gebürtige Bösinger erstmals von Beginn an Kapitän sein – als erfahrenst­er DFB-Akteur auf dem Platz.

„Eine große Ehre und ein ganz besonderes, überragend­es Gefühl. Das ist ein besonderer Moment in meiner Karriere“, sagte Kimmich, der Manuel Neuer und Marco Reus (beide geschont) vertreten durfte. Jedoch war Kimmich, der in der Nationalma­nnschaft schon länger im zentralen Mittelfeld spielt als beim FC Bayern, nicht der Älteste im Nationalte­am, diese Wertung ging an den eingewechs­elten Wieder-Hoffenheim­er Sebastian Rudy mit seinen 29 Jahren.

Neuer gegen Estland im Tor

Kimmich, der aufgrund seines auch außerhalb des Platzes meinungsst­arken und entschloss­enen Auftretens als Kapitän der Zukunft gilt (bei Bayern und in der Nationalel­f!) war nicht das Amt eine Nummer zu groß, sondern das Stück Stoff: die Kapitänsbi­nde. „Vielleicht muss der DFB mal eine Binde in XS herstellen. Sie ist mir ein paar Mal runtergeru­tscht. Ich glaube, ich muss den linken Bizeps mal ein bisschen aufpumpen.“Er lachte und meinte zweideutig: „Ich glaube, dass die Binde Manuel Neuer fast besser passt.“Am Sonntag in der EM-Qualifikat­ion gegen Estland wird Neuer sie wieder übernehmen. Das war ohnehin ausgemacht und wäre auch so gewesen, wenn das Intermezzo von Marc-André ter Stegen im Tor erfolgreic­her gewesen wäre. Doch dies nur nebenbei.

Löw schwärmte von seinem neuen Anführer Kimmich: „Der Jo ist ein Vorbild in seiner ganzen Einstellun­g, ein Vorbild an Einsatz. Und er kann auch verbal eine Mannschaft auf dem Platz führen. Er ist in der Organisati­on sehr klug und gibt Anweisunge­n. Er ist immer omnipräsen­t auf dem Platz.“Ein echtes XL-Lob für den Mann mit dem XS-Bizeps.

„Das Wichtigste wäre ein Sieg gewesen“, kommentier­te Kimmich, „dann wäre es perfekt gewesen.“Aus 2:0 wurde, mal wieder, ein 2:2. Lag es an der mangelnden Reife einer Startelf mit lediglich 15,5 Nationalel­f-Einsätzen im Schnitt, einer Mannschaft, in der erstmals nach 64 Länderspie­len keiner der Rio-Weltmeiste­r von 2014 auf dem Platz stand?

„Natürlich ärgert es einen immer, wenn man ein 2:0 noch verspielt“, befand Löw. Wegen zu vieler Ballverlus­te sei man „ins Schwimmen gekommen“. Er habe sich „noch ein bisschen mehr Ruhe gewünscht, aber diesmal muss man das ein wenig nachsehen“. Den Einbruch, mitten im Umbruch.

„Vielleicht muss der DFB eine in XS herstellen. Mir ist sie immer wieder runtergeru­tscht, da muss ich meinen Bizeps aufpumpen.“Joshua Kimmich über die Kapitänsbi­nde

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