Knipser und Kapitän
Wie Serge Gnabry und Joshua Kimmich, beide beim VfB Stuttgart sozialisiert und beim FC Bayern spielend, die Nationalmannschaft erobert haben
DORTMUND - Das muss Serge Gnabry erst einmal einer nachmachen: Jede Woche ein Eintrag in die Geschichtsbücher. Serge, setzen - eins!
Vor neun Tagen traf der 24-Jährige im Trikot des FC Bayern bei der 7:2Gala gegen Tottenham in London viermal, sackte folgende Rekorde ein: Vier Tore in der zweiten Halbzeit eines Champions League-Matches hatte nie zuvor jemand geschafft und vier auswärts kein deutscher Profi in der Königsklasse. Und diese Woche erzielte Gnabry, der in Stuttgart geborene Sohn einer Schwäbin und eines Ivorers, beim glänzend begonnenen und am Ende ein wenig ernüchternden 2:2 im Testländerspiel gegen Argentinien mit dem 1:0 seinen bereits zehnten Treffer im erst elften Einsatz – so schnell hat seit der Wiedervereinigung noch kein deutscher Nationalspieler die Marke von zehn Toren in der DFB-Auswahl erreicht. Auf den Rängen folgt ziemliche Prominenz: WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose, aktuell U17-Coach des FC Bayern München, benötigte dafür 13 Partien, der heutige Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff 15. Dass Gnabry mit sechs Toren die interne Torschützenliste der Nationalelf im Kalenderjahr 2019 anführt, überrascht nicht wirklich.
„Selten einen gesehen, der so zielstrebig ist Richtung Tor“
Das kann einen auch mal sprachlos machen. Kommentarlos bestieg Gnabry den vor der Kabine geparkten DFB-Mannschaftsbus. Sollten lieber andere reden – und ihn feiern. Taten sie auch. „Serge ist ein wahnsinniges Tempo gegangen und hat unglaubliche Wege gemacht, ist überall aufgetaucht und war ständig brandgefährlich“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, der beeindruckt festhielt: „Er hat die ganze Abwehr der Argentinier verunsichert.“Steht auch nicht in jeder Fußballervita.
„Ich habe selten einen Spieler gesehen, der so zielstrebig ist Richtung Tor“, feierte ihn sein Kumpel Joshua Kimmich, auch 24, auch gebürtiger Baden-Württemberger, auch in der Jugend des VfB Stuttgart sozialisiert. „Für mich war er in unserem Jahrgang immer der beste Spieler“, so Kimmich.
Während Gnabry bei Bayern meist auf der Außenbahn zum Einsatz kommt – die Mitte ist durch Toptorjäger Robert Lewandowski besetzt – darf er bei Bundestrainer Joachim Löw zentral ran. „Mir persönlich gefällt Serge in der Mitte sehr, sehr gut“, meinte Kimmich, „da kann er noch mehr zeigen von seinem Spektrum. Er hat ein sehr gutes Gespür, was die Mannschaft in den Momenten braucht und einen sehr guten Abschluss.“Sprach der Kapitän über den Knipser.
In seinem 45. Länderspiel durfte der gebürtige Bösinger erstmals von Beginn an Kapitän sein – als erfahrenster DFB-Akteur auf dem Platz.
„Eine große Ehre und ein ganz besonderes, überragendes Gefühl. Das ist ein besonderer Moment in meiner Karriere“, sagte Kimmich, der Manuel Neuer und Marco Reus (beide geschont) vertreten durfte. Jedoch war Kimmich, der in der Nationalmannschaft schon länger im zentralen Mittelfeld spielt als beim FC Bayern, nicht der Älteste im Nationalteam, diese Wertung ging an den eingewechselten Wieder-Hoffenheimer Sebastian Rudy mit seinen 29 Jahren.
Neuer gegen Estland im Tor
Kimmich, der aufgrund seines auch außerhalb des Platzes meinungsstarken und entschlossenen Auftretens als Kapitän der Zukunft gilt (bei Bayern und in der Nationalelf!) war nicht das Amt eine Nummer zu groß, sondern das Stück Stoff: die Kapitänsbinde. „Vielleicht muss der DFB mal eine Binde in XS herstellen. Sie ist mir ein paar Mal runtergerutscht. Ich glaube, ich muss den linken Bizeps mal ein bisschen aufpumpen.“Er lachte und meinte zweideutig: „Ich glaube, dass die Binde Manuel Neuer fast besser passt.“Am Sonntag in der EM-Qualifikation gegen Estland wird Neuer sie wieder übernehmen. Das war ohnehin ausgemacht und wäre auch so gewesen, wenn das Intermezzo von Marc-André ter Stegen im Tor erfolgreicher gewesen wäre. Doch dies nur nebenbei.
Löw schwärmte von seinem neuen Anführer Kimmich: „Der Jo ist ein Vorbild in seiner ganzen Einstellung, ein Vorbild an Einsatz. Und er kann auch verbal eine Mannschaft auf dem Platz führen. Er ist in der Organisation sehr klug und gibt Anweisungen. Er ist immer omnipräsent auf dem Platz.“Ein echtes XL-Lob für den Mann mit dem XS-Bizeps.
„Das Wichtigste wäre ein Sieg gewesen“, kommentierte Kimmich, „dann wäre es perfekt gewesen.“Aus 2:0 wurde, mal wieder, ein 2:2. Lag es an der mangelnden Reife einer Startelf mit lediglich 15,5 Nationalelf-Einsätzen im Schnitt, einer Mannschaft, in der erstmals nach 64 Länderspielen keiner der Rio-Weltmeister von 2014 auf dem Platz stand?
„Natürlich ärgert es einen immer, wenn man ein 2:0 noch verspielt“, befand Löw. Wegen zu vieler Ballverluste sei man „ins Schwimmen gekommen“. Er habe sich „noch ein bisschen mehr Ruhe gewünscht, aber diesmal muss man das ein wenig nachsehen“. Den Einbruch, mitten im Umbruch.
„Vielleicht muss der DFB eine in XS herstellen. Mir ist sie immer wieder runtergerutscht, da muss ich meinen Bizeps aufpumpen.“Joshua Kimmich über die Kapitänsbinde