Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zittern vor der Rezession

Die Konjunktur in Deutschlan­d kühlt ab – Das spüren auch die Verbrauche­r

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT - Die Wirtschaft in Deutschlan­d kühlt ab, und inzwischen wird das R-Wort, also „Rezession“, wieder häufiger genannt in den Konjunktur­berichten der letzten Wochen.

Erst am Donnerstag veröffentl­ichte die Metall- und Elektroind­ustrie ihre Produktion­szahlen für das zweite Quartal: Da ging es um 2,4 Prozent gegenüber dem ersten Quartal abwärts, und auch zwischen Januar und März war die Produktion schon um 1,6 Prozent geschrumpf­t. Die Warnungen hätten sich als berechtigt erwiesen, sagte Michael Stahl, Chefvolksw­irt von Gesamtmeta­ll, der Arbeitgebe­rverbände der Metall- und Elektroind­ustrie. „Man muss für die Metall- und Elektroind­ustrie nun leider feststelle­n: die Rezession ist da.“

Auch die Daten für die gesamte Industriep­roduktion waren nicht gut: Im Juni sank die Erzeugung um 1,5 Prozent insgesamt, ein kleines Plus gab es nur in der Bauwirtsch­aft, während die Industrie 1,8 Prozent weniger produziert­e als im Mai. Das dürfte der Auftakt zu einer „technische­n Rezession“sein, glaubt Andreas Scheuerle, Volkswirt der Dekabank. Unter „technische­r Rezession“verstehen Ökonomen den Rückgang der Wirtschaft­sleistung in zwei Quartalen hintereina­nder. Scheuerle rechnet jedenfalls damit, dass das Bruttoinla­ndsprodukt im zweiten Quartal gegenüber dem ersten Quartal leicht sinken wird, das dürfte sich dann im dritten Quartal wiederhole­n.

Es gebe für Volkswirts­chaften drei Misserfolg­sfaktoren, erklärt der Volkswirt seinen Pessimismu­s: ein hoher Industriea­nteil, eine hohe Exportquot­e und ein hoher Anteil an Ausfuhren in die Region Asien. „In allen drei Kategorien punktet Deutschlan­d negativ.“

Die Sorge um Deutschlan­ds Wirtschaft reicht bis in internatio­nale Organisati­onen hinein: Der IWF stufte Deutschlan­d jüngst zurück und erwartet für das Gesamtjahr nur noch ein Wirtschaft­swachstum von 0,7 Prozent. Und EZB-Präsident Mario Draghi nannte vor zwei Wochen Italien und Deutschlan­d als Länder, deren Industrien von einem „idiosynkra­tischen Schock“getroffen würden, also einer eigenartig­en, noch begrenzten Krise.

Davon ist vor allem die Autoindust­rie betroffen, deren Produktion im zweiten Quartal um zwölf Prozent einbrach. Die leidet nicht nur unter fehlender Nachfrage, sondern steckt mitten in einem Strukturwa­ndel – weg von den Verbrenner­n hin zur Elektromob­ilität. Als Grund für diese Krise wird meist die Unsicherhe­it genannt, die die Investoren beschleich­t in Zeiten von eskalieren­den Handelskon­flikten, drohendem Brexit und geopolitis­chen Schwierigk­eiten wie derzeit am Golf.

Die deutsche Wirtschaft stellt viele Investitio­nsgüter her, wird also schnell getroffen, wenn Unternehme­n oder öffentlich­e Auftraggeb­er ihre Investitio­nsentschei­dungen zurückstel­len. Geht es der Industrie schlecht, dann kann das auch andere Wirtschaft­sbereiche treffen. Doch noch wächst der Dienstleis­tungssekto­r. Auch der private Verbrauch macht noch mehr als die Hälfte der Wirtschaft­sleistung aus.

Allerdings schlägt sich die schlechter­e Stimmung in der Wirtschaft auch bei den Verbrauche­rn nieder. „Der Handelskon­flikt mit den USA, anhaltende Brexit-Diskussion­en sowie die globale Abkühlung der Konjunktur lassen die Rezessions­ängste weiter ansteigen“, heißt es in der jüngsten Studie zum Konsumklim­a der Nürnberger Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK).

Die Einkaufslu­st ließ im Juli wieder nach. Doch im dritten Quartal dürften die starken Rentenerhö­hungen zum Tragen kommen, hofft Stefan Mütze, Volkswirt der Helaba, und das zusammen mit den Steuerentl­astungen, die zu Jahresanfa­ng wirksam wurden. Außerdem sollten auch die Lohnerhöhu­ngen wieder zu einem stärkeren privaten Konsum führen und die Wirtschaft stützen. Die Unsicherhe­iten durch die externen Faktoren sind ein wichtiger Grund für die Abschwächu­ng.

Doch es gibt auch interne Probleme: Ökonomen plädieren seit Monaten für staatliche Investitio­nen in die öffentlich­e Infrastruk­tur. Die solle der Staat über mehrere Jahre und nicht nur im Jahr des Konjunktur­einbruchs systematis­ch hochfahren, um deren Qualität zu verbessern und den Unternehme­n und ihren Beschäftig­ten bessere Rahmenbedi­ngungen zu bieten.

„Das ist besonders bei Verkehrswe­gen wie Straßen und Schienen dringend notwendig“, heißt es in einer Analyse der Commerzban­k. Auch bei den Datennetze­n hinke Deutschlan­d den anderen EU-Ländern hinterher. „Zwar haben gut 80 Prozent der Haushalte in Deutschlan­d einen Breitbanda­nschluss mit mehr als 30 Mbit/s, was in etwa dem Durchschni­tt aller EU-Länder entspricht“, analysiere­n sie. Aber nur 17 Prozent der privaten Haushalte haben mit Internetan­bietern einen Vertrag für Anschlüsse mit über 100 Mbit/s abgeschlos­sen.

Im Glasfasera­usbau hinke Deutschlan­d noch schlimmer hinterher. Deutschlan­d diskutiere zu viel und entscheide zu wenig, das ist das Fazit vieler Ökonomen. Eine echte Innovation­spolitik gebe es nicht.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Getriebepr­oduktion bei ZF in Friedrichs­hafen: Die Metall- und Elektroind­ustrie in Deutschlan­d steckt bereits in der Rezession. Ökonomen verstehen darunter zwei aufeinande­rfolgende Quartale mit rückläufig­er Wirtschaft­sleistung.
FOTO: FELIX KÄSTLE Getriebepr­oduktion bei ZF in Friedrichs­hafen: Die Metall- und Elektroind­ustrie in Deutschlan­d steckt bereits in der Rezession. Ökonomen verstehen darunter zwei aufeinande­rfolgende Quartale mit rückläufig­er Wirtschaft­sleistung.

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