Fünf Gramm zur Nervenberuhigung
Wie ein Azubi aus der Gastronomie bei der Suche nach Stresslinderung auf Abwege gerät
M● it seinen fünf Gramm Marihuana wollte der junge Mann sicher kein Drogenimperium gründen. Aber in Bayern – und dazu gehört das Grenzstädtchen Lindau nunmal – hat die Polizei noch ein sehr feines Näschen für Hanfprodukte aller Art, während Beamte in anderen Bundesländern bei solchen Kleinmengen schon mal sämtliche Hühneraugen zudrücken. Doch im Freistaat ist das berauschende Zeugs ein Fall fürs Amtsgericht, vor dem der 20-Jährige an diesem sonnigen Morgen fast schon ein bisschen zu feierlich gekleidet erscheint: gepflegte Anzughose in grauem Fischgrätmuster, Hemd von blütenweißer Unschuld, blaue Segeltuchschuhe. Sein Gesicht ziert ein Fünftagebart, dessen Wuchs noch irgendwo zwischen der Grenze des Erwachsenseins und der Pubertät verläuft. Schuldbewusst blickt er auf seine Knie. Der Vater sitzt mit ernster Miene im Zuschauerraum, als sich der Staatsanwalt erhebt und mit einer gewissen Langeweile in der Stimme das Drogenvergehen des jungen Mannes anklagt: Demnach hatte er, als Beamte ihn beim Grenzübertritt aus Österreich kontrollierten, besagte fünf Gramm Marihuana bei sich. „Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz“, rattert es mechanisch aus der Richtung des Anklägers auf den Angeklagten ein.
Die Richterin zieht während des Vortrags gelegentlich die Augenbrauen hoch und fragt dann: „Und warum haben Sie das gemacht?“Er, der Angeklagte, sei Auszubildender in der Gastronomie und als solcher habe er just zu jener Zeit, im April, Stress bei Zwischenprüfungen gehabt, zusätzlich zum ganz normalen Stress eines Menschen, der im Hotel unter anderem Gäste bedienen muss. Wer sich ein bisschen auskenne, der wisse, was für eine Last das gelegentlich sein könne. Da habe er nach einem Ausgleich gesucht, einem zuverlässigen Mittel der Ent- spannung. Und weil bei uns die Ärzte Hanf – trotz inzwischen vielstimmiger Forderungen – noch nicht gegen anstrengende Lebensphasen auf Rezept verschreiben, hat sich der Lehrling das pflanzliche Beruhigungsmittel eben ilegal bei einem Bregenzer Dealer besorgt.
„Und? Haben Ihre Eltern Sie, bei denen Sie ja noch wohnen, dafür bestraft?“Der Angeklagte zögert, bevor er mit einem halben Lächeln antwortet: „Was sollen sie denn machen – ich bin 20 Jahre alt.“Immerhin hätten sie ihn spüren lassen, dass sie den Vorfall mehr als missbilligen. „Es war eine komische Stimmung zu Hause“, erinnert sich der Azubi. Der Verteidiger an seiner Seite zieht jetzt ein Blatt Papier aus einem Stapel und präsentiert es der Richterin. Es handelt sich um ein ärztliches Attest, das dem jungen Mann Drogenfreiheit zum Zeitpunkt der Untersuchung vor ein paar Tagen bescheinigt. „Ich nehme nichts mehr. Und werde auch nichts mehr nehmen.“
Die Ausbildung sei nächstes Jahr beendet. „Dann will ich mir erst einmal die Welt ansehen“, sagt der 20Jährige. Im Ausland arbeiten. Und die Richterin mahnt: „Aber lassen Sie nach dieser Probierphase jetzt die Finger von Drogen!“Der junge Mann hatte zuvor betont, dass er seinen Führerschein machen wolle, und ein solcher werde nur bei nachweislicher Drogenfreiheit ausgehändigt. „Darauf können Sie sich verlassen“, bekräftigt der Angeklagte, während er die Falten aus seinem schneeweißen Hemd streicht.
Und weil die Dame von der Gerichtshilfe keine schauerlichen Geschichten über den Auszubildenden zu erzählen weiß, und auch keinerlei Vorstrafen zu vermelden hat, bleibt es bei einer Verwarnung, die den jungen Mann 250 Euro kostet. Zu zahlen an einen örtlichen Verein, der in der Jugendarbeit aktiv ist. Außerdem muss er im kommenden Halbjahr zwei unangemeldete Drogentests machen lassen.
Konsum tonnenweise trotz Verbot
Übrigens: Mit seiner Menge von fünf Gramm ist der Auszubildende einer von rund 200 000 polizeilich erfassten Cannabis-Fällen in der Bundesrepublik Deutschland pro Jahr. 2017 haben die Behörden rund 0,9 Tonnen Haschisch und Marihuana sichergestellt. Nach Schätzungen des Deutschen Hanfverbands gehen in Deutschland aber alljährlich 200 bis 400 Tonnen Cannabis in Rauch auf.