Im Sonnenstaat für besseres Klima
Beim Gipfel der Regionen in Kalifornien schmiedet auch Baden-Württemberg Bündnisse
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SAN FRANCISCO - Die Nationalstaaten kommen bei Klimaschutz kaum voran? Dann eben eine Nummer kleiner: Beim Global Climate Action Summit (GCAS) in San Francisco haben sich Vertreter von Regionen, Städten und Ländern auf mehr Engagement eingeschworen – darunter auch Baden-Württemberg. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bekräftigte am Freitag (Ortszeit), was im Landesklimaschutzgesetz festgehalten ist: Bis 2040 soll die Landesverwaltung klimaneutral werden, und bis 2050 möglichst das ganze Land.
Große Show im Stile Amerikas
Für deutsche Augen und Ohren ist der Gipfel „schon sehr amerikanisch“, wie Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) bilanziert, „die ganz große Show“. Warum auch nicht, fragt Kretschmann. „Wenn man die Herzen der Menschen nicht erreicht, bringt man sie auch nicht dazu zu kooperieren.“Und das ist das Ziel des Gipfels: weltweite Bündnisse zum Schutz von Umwelt und Klima zu schließen und voneinander zu lernen, wie das geht.
Palmer ist Teil der Delegation um Kretschmann, der auch Vertreter von Behörden, Unternehmen, Hochschulen und weitere Landesminister angehören. Der kalifornische Gouverneur Jerry Brown, der sich gern als Anti-Trump inszeniert, hat den Gipfel auf die Beine gestellt. Er hat nicht nur laut Veranstalter 4500 Besucher in die ehemalige Hippie-Metropole gelockt, sondern auch Entscheider aus Politik und Wirtschaft aus der ganzen Welt. Einheizer sind Prominente wie US-Schauspieler Harrison Ford, der dem begeisterten Publikum zuruft: „Ihr seid hier, ich bin hier, weil es uns wichtig ist.“Umjubelt auch die Auftritte der legendären Schimpansen-Forscherin Jane Goodall und des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore.
Ein Bündnis haben Brown und Kretschmann vor drei Jahren ins Leben gerufen, auf Initiative von Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne): die Under-2-Coalition. Die Mitglieder – alles Einheiten unterhalb von Nationalstaaten – verpflichten sich, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten. Dafür wollen sie unter anderem bis 2050 CO2-neutral werden. Im Laufe des Gipfel ist die Koalition um 16 Mitglieder auf nun 222 gewachsen, die gemeinsam 43 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung umfassen. Neben dem Gründungsmitglied Baden-Württemberg sind auch Bayern und sechs weitere Bundesländer dabei.
Auch Konzerne kündigen beim Gipfel an, mehr für den Klimaschutz zu tun. „Es ist beeindruckend, wie viele Unternehmer sich zu konkreten Klimaschutzzielen verpflichtet haben“, sagt Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Das sei in Deutschland doch noch sehr ausbaufähig. Hermann selbst hat Baden-Württemberg auch in ein neues Bündnis geführt, eine internationale Koalition für Zero Emission Vehicles – also Fahrzeuge, die keine Schadstoffe ausstoßen. Deutschland hat sich darin schon verpflichtet, seine Fahrzeuge bis 2050 emissionsfrei zu machen. Dieses Bekenntnis hat nun auch der Südwesten abgelegt. „Es gibt keine Klimapolitik ohne entsprechende Verkehrspolitik“, sagt Hermann.
Was können Bündnisse unter Regionen überhaupt erreichen, wenn doch nur Nationalstaaten verbindliche Verträge miteinander abschließen können? „Der Sturm muss kommen, und zwar weltweit“, sagt Kretschmann. „Dazu trägt das hier bei.“Umweltminister Untersteller blickt auf den Weltklimagipfel im Dezember im polnischen Kattowitz und sagt: „Es ist kein Zufall, dass der Gipfel jetzt wenige Woche davor stattfindet.“Die Kleinen wollen Druck auf die Großen machen. Das mag in Deutschland nicht so nötig sein wie etwa in den USA. Während Präsident Donald Trump das Pariser Klimaschutzabkommen aufgekündigt hat, führt Kaliforniens Gouverneur Brown die Gegenbewegung unter dem Motto „We’re still in“(Wir machen weiter mit) an – ein Bündnis aus US-Bundesstaaten und Kommunen, die an den vereinbarten Zielen festhalten.
„Ihr seid hier, ich bin hier, weil es uns wichtig ist.“US-Schauspieler Harrison Ford sendet ein lautes Klimasignal ins Trump-Land
Kritik an Kernkraft kein Thema
Wie die einzelnen Akteure die gemeinsamen Ziele erreichen, bleibt ihnen überlassen. So erntet beim Gipfel etwa auch Jean-Bernard Lévy, Chef des staatlich dominierten französischen Energiekonzerns EDF, kräftigen Applaus. Er kündigt Investitionen von acht Milliarden Euro in Energiespeicher an. Mit erneuerbaren Energien und Atomenergie werde sein Unternehmen ausschließlich klimaneutralen Strom erzeugen. Ein kritischer Umgang mit Kernenergie ist auf dem Gipfel kein Thema. Dass Deutschland der Nutzung von Atomstrom längst eine Absage erteilt hat und ein Umsteigen auf 100 Prozent sauberen Strom daher ungleich schwieriger ist, bleibt unbeachtet. „Es sind Akteure dabei, die an der Nutzung von Nuklearenergie festhalten“, sagt Umweltminister Untersteller. „Das muss ich akzeptieren.“Umjubelt sind auch alle Bekenntnisse, die Flotten an Elektroautos auszubauen. Dass für die Batterien Lithium gebraucht und unter fragwürdigen Bedingungen gewonnen wird, bleibt unerwähnt. „Zu diesen Fragen habe ich hier nichts gehört“, kritisiert etwa Tübingens Oberbürgermeister Palmer.
Dennoch überwiegt bei den baden-württembergischen Gipfelteilnehmern mehrheitlich die Bewunderung für die ambitionierten Ziele. „Es ist schon beeindruckend, dass sich der Chef von Unilever hinstellt und sagt: Wir werden klimaneutral“, sagt etwa Markus Wolperdinger, Leiter des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik. Volker Kienzlen, Geschäftsführer der Klimaschutz- und Energieagentur des Landes BadenWürttemberg, nimmt sich vor, weniger mit Zahlen, Daten, Fakten zu operieren. „Wir müssen amerikanischer werden“, sagt er. Diese Lehre scheint auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann gezogen zu haben, wenn er nach dem Gipfel sagt: „Diesen Spirit nehme ich gerne mit.“